Gewässernetzwerk von Wien
48° 13' 54.81" N, 16° 23' 57.78" E zur Karte im Wien Kulturgut
Das Gewässernetz von Wien wird von der Donau dominiert. Die Donau sah nicht immer so aus wie heute. Vor der großen Donauregulierung in den Jahren 1870 bis 1875 mäandrierte sie auf breiter Fläche durch die Stadt. Eingriffe in die Donaulandschaft begannen nicht erst mit der großen Donauregulierung, bereits Jahrhunderte zuvor wurden zahlreiche regulierende Maßnahmen getroffen. Neben Hochwasserschutz waren auch die Sicherstellung der Schiffbarkeit und die Gewinnung bzw. Stabilisierung von Stadterweiterungsflächen zentrale Motive für regulierende Eingriffe.
Aber nicht nur die Donau ist Teil des Wiener Gewässernetzes - das Stadtgebiet ist von zahlreichen kleineren Bächen durchzogen, den Wienerwaldbächen. Der Wienfluss mit einem historischen mittleren Abfluss von etwa 2000 l/s und die Liesing im Süden von Wien mit etwa 600 l/s sind die beiden größten der Wienerwaldbäche. Daneben gab und gibt es noch zahlreiche kleinere Fließgewässer. Gemeinsam haben sie ihren Ursprung im Flyschgebiet des Wienerwaldes und das sich daraus ergebende, mit den Witterungsverhältnissen stark schwankende Abflussregime. Während die Wienerwaldbäche bei trockenem Wetter kaum oder wenig Wasser führen, kommt es bei starkem Regen oder Schneeschmelze häufig zu plötzlich auftretenden und intensiven Hochwasserereignissen. Dies beruht auf der geringen Wasserdurchlässigkeit der Böden, die aus Sandstein und (Ton-)Mergel bestehen. Die meisten der Wienerwaldbäche wurden jedoch innerhalb des dicht verbauten Stadtgebietes bereits im "langen" 19. Jahrhundert überwölbt und in die Kanalisation integriert. Sanitäre Überlegungen waren der ausschlaggebende Grund für die Errichtung der Bachkanäle. Schritt für Schritt verschwanden sie aus dem Stadtbild. Am Stadtrand fließen sie jedoch meist auch heute noch oberirdisch.
Die weit verästelten Wienerwaldbäche bestehen aus mehreren kleinen Bachsystemen. Ohne Wienfluss und Liesingbach kommt man auf 28 nennenswerte Einzugsgebiete bzw. Zubringersysteme, die einst in die Donau, den Wiener Arm (Donaukanal), den Wienfluss oder in den Liesingbach mündeten. Größere Einzugsgebiete wie das des Alserbachs und vor allem des Mauerbachs reichen über die heutige Stadtgrenze hinaus. Dazu kommen noch kleinere Anteile der fünf Zubringer Reiche Liesing, Dürre Liesing, Petersbach, Schwechat und Laaber Bach, die großteils außerhalb von Wien liegen. Während die nördlichsten Zubringer Waldbach, Schablerbach und Hammerschmiedgraben immer schon direkt in die Donau mündeten, war dies bei Schreiberbach, Nesselbach, Krottenbach und Wolfsgraben nur bis um 1566 der Fall. Danach mündeten sie bis zum Bau des Kanalsystems in den heutigen Donaukanal. Elf Zubringer mündeten bis zur großen Regulierung um 1900 in den Wienfluss. Aufgrund der Lage des Ottakringer Bachs an der Schnittstelle zwischen Wienflusstal und Donau-Auen konnte seine Mündung relativ einfach vom Wiener Arm zum Wienfluss umgeleitet werden. An der Liesing gab es neben den beiden Quellbächen noch drei nennenswerte Zubringer: den Gütenbach, den Lindgraben- mit dem Knotzenbach sowie den Altmannsdorfer Graben. Abgesehen vom Mauerbach, der zum Teil außerhalb Wiens liegt, war der Alsbach mit einem mittleren Abfluss von rund 150 l/s bzw. 190 l/s, wenn man seinen Zubringer Währinger Bach mitrechnet, mit Abstand der wasserreichste und längste der Wiener Bäche. Das war einer der Gründe, weshalb die Als im ausgehenden Mittelalter zur Stadt hin umgeleitet wurde. Auch der Lainzer Bach bot mit ca. 90 l/s attraktive Wasserressourcen.
Nördlich der Donau, d.h. im heutigen 21. und 22. Bezirk, gab es lediglich bei Stammersdorf ein größeres zusammenhängendes Bachsystem, das seinen Ursprung an den Abhängen des Bisambergs hatte. Meist handelte es sich dabei um nicht viel mehr als Rinnsale entlang von Wegen. Sie fielen oft trocken und versiegten, bevor sie die Donau erreichten. Das größte dieser Gewässer, der heute noch in einigen Abschnitten vorhandene Senderstraßengraben (Stammersdorfer Ortsgraben), mündete bei höherem Abfluss in eine Geländesenke, wo sich seit 1992 der Marchfeldkanal befindet. Bei stärkeren Niederschlägen verwandelten sich die Rinnsale in kleine Wildbäche, was sich angesichts der heutigen großen Regenwasser-Rückhaltebecken bei Stammersdorf noch erahnen lässt. Daneben existierten in den ebenen Bereichen links der Donau auch mehrere Aubäche, die großteils von Grundwasser gespeist wurden. Sie flossen in Geländesenken, die aus verlandeten Donauarmen hervorgegangen waren und sind deshalb als Teil des Donau-Gewässersystems zu betrachten.
Auch das Grundwasser war und ist Teil des Wiener Wasserhaushalts und wurde über die Jahrhunderte durch menschliche Eingriffe wie Wasserentnahme über Hausbrunnen oder bauliche Maßnahmen und natürliche Prozesse verändert.
Zum Wiener Fließgewässersystem gehören:
Nördliche Donauzubringer
- Waldbach
- Schablerbach
- Hammerschmiedgraben
- Schreiberbach
- Nesselbach
- Arbesbach bzw. Erbsenbach
- Krottenbach
- Wolfsgraben
- Währinger Bach
- Als bzw. Alserbach
- Ottakringer Bach
Nördliches Einzugsgebiet des Wienflusses
- Ameisbach
- Baumgartner Graben
- Rosenbach
- Halterbach
- Mauerbach
- Wurzbach
Südliches Einzugsgebiet des Wienflusses
- Lainzerbach
- Marienbach
- Grünauerbach
- Rotwassergraben
- Mooswiesengraben
Südliche Donauzubringer
- Liesingbach: entsteht aus dem Zusammenfluss von Reicher und Dürrer Liesing und mündet in die Schwechat.
- Gütenbach: wichtigster Zubringer des Liesingbachs.
- Petersbach
Östliche Donauzubringer
- Senderstraßengraben
Vielfältige Gewässernutzungen
Die Stadt und ihre Gewässer verbindet eine lange Geschichte der wechselseitigen Beeinflussung. Die natürlichen Eigenschaften der kleinen und großen Gewässer prägten die Geschichte der Stadt genauso wie die Gewässer durch die Stadt immer mehr geprägt und verändert wurden. Wasser ist essentiell für die Entstehung menschlicher Siedlungen, Gewässer beeinflussen wo Städte entstehen und wie diese wachsen und sich entwickeln können. Viele der Wiener Vororte entstanden entlang des Wienflusses oder an einem der Wienerwaldbäche. Die vielfach verzweigte Flusslandschaft der Donau verhinderte dagegen über Jahrhunderte die Ausbreitung der Stadt an das linke Flussufer in Richtung Nordosten. Auch entlang der kleineren Flüsse siedelten sich Menschen und Gewerbe in sicherem Abstand zu den Flussläufen an, um das Risiko von Hochwasserschäden zu verringern. Baupraktiken berücksichtigten die Dynamik der Flüsse. Zugleich ermöglichten die Flüsse viele verschiedene Nutzungen und boten unterschiedliche Ressourcen. Welche Nutzungen möglich waren und welche Ressourcen genutzt werden konnte, hing stark von den Charakteristika der Gewässer wie etwa Größe, Abflussmenge, saisonale Abflussschwankungen, Gefälle, Untergrund und flussmorphologische Dynamiken ab. Die Flusseigenschaften beeinflussten auch die Art und Weise, wie die städtischen Akteure verändernd und regulierend in die Flusslandschaften eingriffen. Praktiken der Gewässernutzung sowie die dafür notwendigen Bauwerke, wie Uferbefestigungen, Wehre, Brücken, Kanäle, Mühlräder, etc. lassen Rückschlüsse auf die Eigenschaften der genutzten Gewässer zu.
Wien verfügt über eine Gewässerlandschaft mit hoher Diversität, die eine Vielzahl von Nutzungen erlaubte: Die Donau und der Donaukanal waren die wichtigsten Transportwege für die Versorgung der Stadt, ihre Aulandschaften lieferten Brennholz und Fische, wurden landwirtschaftlich z.B. für den Gemüseanbau (siehe z.B. Erdberger Maiß) und als herrschaftliche Jagdgebiete genutzt. In den alluvialen Schichten der Donau war Grundwasser reichlich und gut verfügbar. Kleinere Gewässer waren Quelle für Trink- und Brauchwasser, sie dienten zum Waschen und trieben Wassermühlen an, schwemmten Abwässer und Abfälle davon. Trinkwasser stammte aber vor allem aus den unzähligen Brunnen, die vom Grundwasser gespeist wurden. Auch die kleineren Flüsse waren Habitate für Fische und Krebse, die zumindest lokal genutzt wurden. Am Wienfluss wurde bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts Holz getriftet und der Wiener Neustädter Kanal war ab 1803 ein wichtiger Transportweg für Kohle, Holz und Baumaterialien. Viele verschiedene Nutzungen existierten nebeneinander, wie aus Quellen wie der Wienflussaufnahme 1847-1857 oder dem Huber-Plan 1778 ersichtlich wird. Verschiedene technische Einrichtungen zur Gewässernutzung bestanden kleinteilig nebeneinander und bedeuteten lokal oft tiefgreifende Veränderungen der Gewässermorphologie. Die multiple Nutzung der Gewässer war Gegenstand formeller Regelungen, wie der Mühlordnungen, führte immer wieder zu Konflikten, gab aber auch Anlass zu Kooperation. Verschiedene Gewässer eigneten sich allerdings unterschiedlich gut für bestimmte Nutzungen. Das führte schon in der Neuzeit zu einer gewissen Ausdifferenzierung der Nutzungen: die kleinen Wienerwaldbäche führten oft zu wenig Wasser, um Mühlen anzutreiben, während Wienfluss und Liesingbach aufgrund ihrer Abflussmengen und Gefälle dafür gut geeignet waren. Kleine Gewässer wurden dagegen oft vom Hof oder von einflussreichen Adeligen mit Hilfe von Wasserleitungen zur Wasserversorgung für ihre Anwesen und Gärten heran- und somit den Anrainern für deren Nutzungen entzogen.
Die wachsende Bevölkerung und die zahlreichen technischen Neuerungen bedeuteten zusätzlichen Nutzungsdruck auf die Gewässer. Die Flüsse wurden intensiver zur Wasserver- und –entsorgung genutzt, Wasserkraftnutzung und Transport auf dem Wasserweg nahmen zu. Bevor durch fossile Brennstoffe und die Technologien, die diese ermöglichten, viele der Funktionen von Gewässern substituiert werden konnten, mussten diese wachsenden Ansprüche und die damit verbundenen Nutzungskonflikte lokal geregelt werden. Es kam zu einer weiteren Ausdifferenzierung von Nutzungen. Neue technischen Arrangements machten andere Nutzungen unmöglich oder erschwerten sie. An den kleineren Fließgewässern trat die Entsorgung von Abwässern in den Vordergrund. Fische konnten in den stark verschmutzten Gewässern nicht überleben. Die Donau wurde verstärkt als möglichst leistungsfähige Wasserstraße gedacht. Hochwasserschutz und die dadurch ermöglichte Gewinnung von Siedlungs-, Gewerbe- und Verkehrsflächen gewann an Bedeutung. Wasserleitungen brachten Trink- und Brauchwasser aus weiter entfernteren Regionen in die Stadt - bis die Erste und Zweite Hochquellenleitung die Stadt von lokalem Trinkwasser unabhängig machten. An der Donau stellte die umfassende Regulierung 1870 bis 1875 einen entscheidenden Wendepunkt für ihre Nutzungen und Rolle in der Stadtentwicklung dar.
Am Wienfluss und am Liesingbach erfolgte eine umfassende Regulierung 1894 bis 1904 bzw. 1939 bis 1977. Kleinere Fließgewässer wurden im dicht bebauten Stadtgebiet in das Kanalsystem eingegliedert, der Wiener Neustädter Kanal 1930 in Wien nach einigen Verkürzungen und Adaptionen vollständig aufgelassen. Anstelle der vielfältigen Nutzungen von Gewässern trat meist eine dominante Nutzung. Ein Großteil der Gewässerlandschaften ist heute technisch überformt, einige Teile wurden dagegen unter Naturschutz gestellt. Die Spuren der Gewässer und ihrer Nutzungen sind dennoch in der ganzen Stadt zu finden. Der Verlauf mancher Bäche und Flussarme ist in Straßenverläufen (z.B. Porzellangasse, Mollardgasse, Bertha-Löwi-Weg) und Parzellengrenzen eingeschrieben. Auch viele der heutigen Ver- und Entsorgungsnetzwerke gehen auf sie und ihre speziellen Eigenschaften zurück oder sind sogar auf sie als wesentlicher Bestandteil angewiesen. So wäre die Schwemmkanalisation ohne die vielen kleinen Wienerwaldbäche nicht möglich. Nicht zuletzt sind die Charakteristika der Wiener Gewässer immer noch entscheidend für viele technische Einrichtungen und Infrastruktur-Bauwerke, wie etwa den Wasserreservoires am Wienfluss, Pufferräumen in der Kanalisation oder der Donauinsel.
Weblinks
- FWF-Projekt ENVIEDAN: Environmental History of the Viennese Danube 1500-1890: Understanding long-term dynamics, patterns and side effects of the colonization of rivers
- FWF-Projekt URBWATER: Vienna's Urban Waterscape. An Environmental History.
- MA 45 - Wiener Gewässer
Literatur
- Severin Hohensinner: Wild, aber nicht ursprünglich. Wiens Gewässer vor 1683. In: Wasser Stadt Wien. Eine Umweltgeschichte. Hg. vom Zentrum für Umweltgeschichte, Universität für Bodenkultur Wien. Wien: Holzhausen Druck 2019, S. 44-63
- Sylvia Gierlinger / Gertrud Haidvogl / Simone Gingrich / Fridolin Krausmann: Feeding and cleaning the city: The role of the urban waterscape in provision and disposal in Vienna during the industrial transformation. In: Water History 5 (2) (2013), S. 219-239
- Gertrud Haidvogl, Marianna Guthyne-Horvath / Sylvia Gierlinger / Severin Hohensinner / Christoph Sonnlechner: Urban land for a growing city at the banks of a moving river: Vienna´s spread into the Danube island Unterer Werd from the late 17th to the beginning of the 20th century. In: Water History 5 (2) (2013), S. 195-217
- Severin Hohensinner / Bernhard Lager / Christoph Sonnlechner / Gertrud Haidvogl / Sylvia Gierlinger / Martin Schmid / Fridolin Krausmann / Verena Winiwarter: Changes in water and land: the reconstructed Viennese riverscape from 1500 to the present. In: Water History 5 (2) (2013), S. 145-172
- Severin Hohensinner / Christoph Sonnlechner / Martin Schmid / Verena Winiwarter: Two steps back, one step forward: reconstructing the dynamic Danube riverscape under human influence in Vienna. In: Water History 5 (2) (2013), S. 121-143
- Christoph Sonnlechner / Severin Hohensinner / Gertrud Haidvogl: Floods, fights and a fluid river: The Viennese Danube in the sixteenth century. In: Water History 5 (2) (2013), S. 173-194
- V. Winiwarter, M. Schmid & G. Dressel (2013): Looking at half a millennium of co-existence: The Danube in Vienna as a socio-natural site. In: Water History 5 (2), pp. 101-119
- Julia Tanzer: Historische Morphologische Veränderung der südlichen Wiener Donauzubringer 1755 – 2010. Masterarbeit. Universität für Bodenkultur Wien. Wien 2016
- Verena Winiwarter / Christoph Sonnlechner et al.: Wien und seine Gewässer. Eine turbulente Umweltgeschichte. Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs, Reihe B: Ausstellungskataloge 93, Wien 2015
- Hans Stadler: Die Entwässerungsanlagen der Stadt Wien. Wien: Mag.-Abt. 30 1960 S. 38