Liesingbach
Der Liesingbach (23. und 10. Bezirk), linker Nebenfluss der Schwechat, entsteht im Gebiet von Rodaun aus dem Zusammenfluss der Dürren Liesing (Quellensammlung in Sulz-Stangau) und der Reichen Liesing (Quellensammlung in Hochrotherd) und durchfließt Rodaun, Liesing, Atzgersdorf, Inzersdorf, Rothneusiedl, Oberlaa und Unterlaa, Kledering und Rannersdorf, um nach zirka 30 Kilometer langem Lauf zwischen den niederösterreichischen Orten Rannersdorf und Altkettenhof in die Schwechat zu münden.
Verlauf
Der Oberlauf liegt in der Berglandschaft des Wienerwaldes, der Unterlauf im Wiener Becken. Der Liesingbach durchquert den südlichen Wienerwald in west-östlicher Richtung und tritt bei Kalksburg in Wiener Gebiet ein. An jener Stelle, an der er ins Wiener Becken eintritt, entwickelte sich Rodaun, dessen Burg eine Sperrfeste im Tal bildete. Im Quellgebiet von Hochrotherd (Wasserscheide zwischen Wolfsgrabenbach und Reicher Liesing) entstand jene "breite Furt", die seit alters den Verkehr zwischen den beiden Tälern herstellte. Vom Höhenrücken westlich von Breitenfurt genießt man einen Fernblick über das nach Osten verlaufende Liesingbachtal.
Der Liesingbach durchzieht den gesamten 23. Bezirk in einem regulierten Bett, setzt seinen Lauf (Bezirksgrenze zwischen Inzersdorf und Rothneusiedl) im 10. Bezirk am Südrand von Wienerberg und Laaer Berg fort und erreicht in Kledering wieder niederösterreichisches Gebiet.
Im Stadtgebiet münden einige kleinere Zubringer in den Liesingbach. Der größte ist der auch heute noch Großteils "naturnah" fließende Gütenbach mit Mündung westlich von Kalksburg. Weitere Zubringer sind Knotzenbach, Lindgrabenbach, Niederreiterbach und Altmannsdorfer Graben, die alle heute komplett eingewölbt sind.
Abflussregime und Flussmorphologie
Wie auch der Wienfluss und andere Wienerwaldbäche hat der Liesingbach alpinen Charakter und gilt als Wildbach. Seine Wasserführung ist durch starke Schwankungen gekennzeichnet. Noch heute kann man beobachten, dass der Bach bei trockenem Wetter nur wenig Wasser führt, nach starken Regenfällen oder zur Schneeschmelze aber stark anschwillt. Zwischen den beiden Quellbächen gibt es dabei durchaus Unterschiede, die mit den geologischen Eigenschaften des Einzugsgebiets zusammenhängen und sich auch in den Bachnamen wiederfinden. Das Quellgebiet der Reichen Liesing liegt in der Flyschzone des Wienerwalds. Der relativ wasserundurchlässige Boden lässt den Niederschlag rasch abfließen und die Wassermenge im Bach zunehmen. Der Mittelwasserabfluss liegt bei 0,21 m3/s. Das Quellgebiet der Dürren Liesing besitzt einen Boden aus porösem Kalkgestein, in dem Niederschläge leichter versickern können. Dies führt zu einer gleichmäßigeren und von den Witterungsverhältnissen unabhängigeren Wasserführung. Der Mittelwasserabfluss beträgt 0,07 m3/s. Durch die Regulierung des Liesingbaches, den Bau des Kanalssystems und Einschränkung der direkten Wassernutzung wurden die Schwankungen der Abflussmenge im 20. Jahrhundert abgeschwächt. Heute beträgt der Mittelwasserabfluss im Mündungsbereich 0,52 m3/s.
Das Einzugsgebiet des Liesingbaches umfasst etwa 112 km2. Der Liesingbach durchzieht drei Landschaftsräume: den Wienerwald, die Wienerwaldrandzone und die Ebene des Wiener Beckens. Vor der Regulierung ließ sich der Flusslauf in Wien in fünf morphologisch verschieden ausgeprägte Abschnitte gliedern: Der Flusslauf im Bereich Kalksburg und Rodaun war gestreckt bis gewunden und befand sich in einem engen Tal. Das durchschnittliche Gefälle betrug 6,2 ‰. Zwischen Rodaun und Atzgersdorf traf der Liesingbach auf flacheres Gelände, was zur Verringerung der Fließgeschwindigkeit und Ablagerung von mitgeführtem Gestein und Sedimenten führte. Vermutlich verlagerte der Fluss an dieser Stelle seinen Lauf aufgrund einer tektonischen Kippung nach Norden. Die Schwemmflächen sind daher am orographisch (in Fließrichtung) rechten Ufer deutlich stärker ausgeprägt. In diesem Bereich bildete die Liesing ein stark gewundenes, bis zu 70 Meter breites Schotterbett aus. Das Gefälle liegt mit 6,6 ‰ trotz des flachen Geländes über jenem des vorherigen Abschnitts. Die Liesing konnte sich im Sedimentuntergrund leichter eintiefen, als in den Festgesteinen des Wienerwaldes. Zwischen dem ehemaligen Steinhof und der Triester Straße war der Liesingbach verzweigt und stellenweise mäandrierend, was mit dem sich stetig verringernden Gelände zusammenhängt. Das Gefälle betrug durchschnittlich 3,6 ‰. Hier bestand am Fuße des Wienerbergs ein größeres Sumpf- und Moorgebiet, das von mehreren Bächen in die Liesing entwässert wurde. Flussabwärts der Triester Straße vereinigten sich die Flussarme wieder und die Liesing verlief gewunden-mäandrierend. Um 1755 war dieser Abschnitt aber aufgrund der Siedlungstätigkeit im Bereich Inzersdorf bereits teilweise begradigt worden. Das Gefälle lag 1755 bei durchschnittlich 2,3 ‰ – durch die Begradigung vermutlich bereits höher als im ursprünglichen Zustand. Ab dem Ortsende von Inzersdorf verstärkten sich die Flussbögen. Die Liesing verlief bis zu ihrer Mündung in die Schwechat stark mäandrierend mit einem mittleren Gefälle von 1,9 ‰. Am Oberlauf, vor dem Eintritt in Wiener Stadtgebiet ist das mittlere Gefälle der Liesing deutlich höher und liegt bei 30,2 ‰. Die Geschichte der Flussnutzungen und Regulierungsmaßnahmen ist eng mit den flussmorphologischen Charakteristika verbunden und verlief in den einzelnen Abschnitten höchst unterschiedlich. Allgemein wurde die Lauflänge des Liesingbachs im Wiener Stadtgebiet um 17 % von 24,8 auf 20,6 Kilometer verringert. Dies bedingt einen Anstieg des durchschnittlichen Gefälles von 4,0 auf 4,8 ‰.
Regulierungen
Das Einzugsgebiet des Liesingbaches war während des Großteils seiner weit zurückreichenden Besiedlungsgeschichte nur spärlich verbaut. 1755 waren nur 0,9 km2 besiedelt. Gebäude befanden sich in ausreichendem Abstand zum Fluss um vor Hochwässern geschützt zu sein. Abgesehen von der Ausleitung von Mühlbächen und Wasserleitungen für Parkanlagen gab es kaum Eingriffe in den natürlichen Flusslauf. Eine Ausnahme bildete Inzersdorf, wo im Siedlungsbereich bereits ein etwa 900 Meter langer mäandrierender Flussabschnitt begradigt und auf dem gewonnenen Land eine Schafweide angelegt worden war. Zwischen 1770 und 1825 deutet eine Verbreiterung des aktiven Gerinnes zwischen Rodaun und der heutigen Altmannsdorfer Straße auf eine verstärkte Hochwasserphase hin. Vermehrte Hochwässer sind in dieser Zeitspanne auch für die Donau, den Wienfluss und andere Wienerwaldbäche belegt. Zunehmend wurden einzelne Flussabschnitte begradigt und der Uferschutz ausgeweitet um besiedeltes Gebiet zu schützen und landwirtschaftliche Flächen auszudehnen. Ein Beispiel dafür ist der Schutz der Ufer mit Buhnen im neu besiedelten Bereich der späteren Liesinger Brauerei, der im Franziszeischen Kataster verzeichnet ist. Auch im Bereich von Straßenquerungen oder der Überführung des 1803 eröffneten Wiener Neustäder Kanals mittels Aquädukt wurden die Ufer befestigt.
Zwischen 1825 und 1875 verdreifachte sich die Siedlungsfläche im Einzugsgebiet auf 3,9 km2. Das Verbot von Ziegelöfen innerhalb des Linienwalls 1757 führte zu einer Zunahme von Ziegelwerken im Bereich des Wienerberges. Neue Ortsteile wie Neuerlaa entstanden, während alte Ortsteile zusammenwuchsen. Zusätzlich zur Bodenversiegelung durch Siedlungsfläche führte auch die Pflasterung der Straßen zum schnelleren Abfließen von Regenwasser und erhöhte damit die Hochwassergefahr. Am Liesingbach äußerten sich diese Entwicklungen durch zunehmende Regulierung, Uferschutzmaßnahmen und Überbauung kleinerer Zubringer. Der Ausbau von Straßen und die Errichtung der Bahnlinien sowie die Querung der Ersten Hochquellenleitung mittels Aquädukt machten weitere Erosionsschutzmaßnahmen notwendig.
Das rasante Bevölkerungswachstum und die Zunahme von Industriebetrieben führten zu einer immer stärkeren Belastung des Liesingbaches durch die Einleitung von Abwässern. Die Fischbestände gingen dramatisch zurück. Die Wasserentnahmen aus Brunnen im Einzugsgebiet führten zum Absinken des Grundwasserspiegels und dies zusammen mit Schotterentnahmen aus dem Bachbett und Rodungen im Breitenfurter Tal zu einer Verringerung der Abflussmenge. 1836 und 1866 brach in Liesing, 1873 in Inzersdorf die Cholera aus. Dies und die steigenden Anforderungen an den Hochwasserschutz für Gebäude und Infrastruktur im Überflutungsbereich ließ die Forderungen nach einer umfassenden Regulierung des Liesingbaches lauter werden. 1899 wurde erstmals ein Beschluss zur Kanalisierung der Liesing gefasst, der jedoch an mangelnder Finanzierung scheiterte. 1914 war die Regulierung das wichtigste Anliegen der "Kommission für soziale Fürsorge in Wien und Nieder-Österreich". Nicht nur sollten Hochwässer in Zukunft verhindert werden, die Bauarbeiten sollten auch Arbeitslose beschäftigen. Dafür war man von Seiten des Staates und Landes sogar bereit, den Gemeinden ihren finanziellen Anteil vorzustrecken. Der "Notstandsbau" wurde jedoch durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen.
Auch die administrative Zuständigkeit, die viele einzelne Gemeinden umfasste (die heute gültigen Stadtgrenzen bestehen erst seit 1956, siehe Stadterweiterung) war eine Herausforderung für das Großprojekt. Anfang des 20. Jahrhunderts hatte sich die Siedlungsfläche auf 6,1 km2 ausgedehnt. Kleingartensiedlungen, Einfamilienhäuser, Reihenhäuser und große, teilweise genossenschaftliche Wohnbauten entstanden in unmittelbarer Nachbarschaft. Die Mühlen waren größtenteils aufgelassen oder auf Dampf und Strom umgestellt worden, die Mühlbäche obsolet geworden.
1939 wurde mit der umfassenden Regulierung des Liesingbaches begonnen. Entlang des gesamten Flussverlaufs wurden Böschungssicherungen vorgenommen und die bestehenden Schotterflächen durch Sohlpflasterungen ersetzt. Das regulierte Bachbett wurde als hartgepflastertes Doppeltrapezprofil ausgeführt, die Bachsohle wurde um bis zu zwei Meter abgesenkt und Abschnitte mit unterschiedlichen Gefällen aneinander angeglichen. Die Achse des regulierten Baches folgt etwa dem ursprünglichen Verlauf. Ein mindestens 70 Meter breiter Grünstreifen wurde entlang des Baches angelegt, um die Landschaftsräume Wienerwald und Donau miteinander zu verbinden. Auch der bis dahin kaum veränderte Mündungsbereich flussabwärts von Kledering mit dem breiten Mäandergürtel war davon betroffen. In Liesing (1963) und Atzgersdorf (1962) wurden Teilstrecken von 350 Metern beziehungsweise 600 Metern eingewölbt. Bevor die Regulierungsarbeiten 1977 abgeschlossen werden konnten, wurde mancherorts mit der Renaturierung von Flussabschnitten begonnen. So wurde 1970 die Sohlpflasterung im Westen von Kalksburg wieder entfernt. Da der Regulierungsquerschnitt für den Hochwasserschutz zu gering dimensioniert war, wurden in den 1980er Jahren drei Rückhaltebecken bei Alterlaa (Fassungsvermögen 60.000 m3), auf den ehemaligen Draschegründen (Fassungsvermögen 65.000 m3) und zwischen Gutheil-Schoder-Gasse und Triester Straße (Fassungsvermögen 175.000 m3) errichtet.
Parallel zur Regulierung des Liesingbaches wurde die Kanalisation ausgebaut, um die Gewässerverschmutzung zu reduzieren. Die Kläranlage Gelbe Haide wurde 1949 in Betrieb genommen und 1970 von der Kläranlage Blumental abgelöst. Teilweise stark verschmutztes Regenwasser wurde aber weiterhin in den Bach abgeleitet. Renaturierungsprojekte sollten die Ansiedlung von Kleinstlebewesen und damit die Selbstreinigungskräfte des Flusses begünstigen. Ende der 1990er Jahre wurde im Bereich der ehemaligen Wiesmühle auf einer Strecke von 800 Metern das gepflasterte Bachbett aufgebrochen, es wurden Schotterflächen und Inseln geschaffen. Doch erst der 2002 bis 2005 errichtete Liesingtal Kanal, der die Abwässer zur Hauptkläranlage in Simmering leitet, brachte Entlastung für die Flussökosysteme. Im Zuge der Bauarbeiten musste das betonierte Bachbett entfernt werden, was Anlass für einen naturnahen Rückbau bot.
Heute ist mit 29,2 km2 fast die Hälfte des Einzugsgebiets in Wien Siedlungsfläche, dazu kommen noch bebaute Flächen für Bahnhöfe, Gleisanlagen und Straßen.
Nutzungen
Die Besiedlung des Liesingtals reicht bis in die Jungsteinzeit zurück. Die Liesing selbst wird im Jahr 1002 erstmals urkundlich erwähnt, während die meisten Ortschaften, die heute gemeinsam den 23. Bezirk Liesing bilden, ab 1100 erstmals genannt werden. Der Fluss und die durch ihn gebotenen Möglichkeiten der Wassernutzung spielten für die Besiedlung wohl eine entscheidende Rolle. Zwar war der Liesingbach aufgrund seiner vorwiegend geringen Wasserführung als Transportweg ungeeignet, aber die Kreuzungspunkte des Baches mit alten und bedeutenden Nord-Süd-Verkehrsverbindungen stellten günstige Siedlungsstandorte dar. Die Landschaft um den Liesingbach bot gute Voraussetzungen für die Landwirtschaft. Entlang des Bachbetts befanden sich mancherorts Gemüsegärten, die wohl auch mit Wasser aus dem Fluss bewirtschaftet wurden. Die Bewässerung der meisten Äcker und Wiesen erfolgte aber vorwiegend mit Grundwasser. Aus dem Liesingbach wurde wegen der geringen Wasserführung zur Hauptbewässerungszeit und der eingeschränkten Zugänglichkeit des eingetieften Bachbetts kaum Wasser entnommen. Die Eintiefung des Bachbettes stand auch in Zusammenhang mit der Entnahme von Schotter und Sand. Um sumpfiges Gebiet, zum Beispiel das Moorgebiet "In den Wiesen" zwischen Alterlaa und der Triester Straße nutzbar zu machen, wurden Drainagegräben angelegt, die in die Liesing entwässerten.
Der Fluss bot gute Voraussetzungen für die Verarbeitung des in der Region angebauten Getreides mittels Wassermühlen. Bereits für das Mittelalter sind zahlreiche Mühlenstandorte nachgewiesen, das Wasser des Baches wurde über weite Strecken in Mühlbäche ausgeleitet. Die meisten Mühlen befanden sich zwischen Rodaun und der Altmannsdorfer Straße, dort kamen gute flussmorphologische Bedingungen, Siedlungen und Gewerbe- beziehungsweise Industriestandorte zusammen. Flussabwärts von Kledering befanden sich keine Mühlen mehr, was mit dem geringen Gefälle zusammenhängen dürfte.
Wasser wurde auch aus dem Bach ausgeleitet, um die Wassergräben und Teiche von Schlössern und Landhäusern zu füllen, wie etwa den Wassergraben des Inzersdorfer Schlosses oder in der Parkanlage von Mon Pérou. Im Liesingbach dürfte es relativ große Bestände an Weißfischen, Barben, Grundeln und Krebsen gegeben haben. Die Gemeinden verpachteten die Fischereirechte. Die Fischerei stellte aber keinen bedeutenden Wirtschaftsfaktor dar. Der Fischbestand ging im 19. Jahrhundert durch die zunehmende Verschmutzung des Baches stark zurück.
Industrialisierung und Bevölkerungszunahme innerhalb des Linienwalls führten zur Verlagerung von Gewerbebetrieben an die Liesing. Der Unterlauf blieb dagegen landwirtschaftlich geprägt. Im 19. Jahrhundert wurden die Mühlen zunehmend mit Dampfmaschinen ausgestattet, aus getreideverarbeitenden Betrieben wurden Industriebetriebe. In Liesing und Atzgersdorf siedelten sich mit chemischer Industrie und Gerbereien Betriebe an, die auf gute Wasserver- und –entsorgungsmöglichkeiten angewiesen waren. Umfunktionierte Mahlmühlen, Grundwasservorkommen, günstige Bodenpreise, billige Arbeitskräfte und eine gute Verkehrsanbindung stellten optimale Bedingungen für das Entstehen von Industriestandorten dar.
Gleichzeitig entwickelten sich vor allem die Gemeinden am Oberlauf der Liesing zu beliebten Ausflugszielen und Sommerfrischeorten. Das Wasser für die bei den Gästen beliebten Bäder kam jedoch aus den artesischen Brunnen und nicht aus dem Liesingbach. Eine schwefel- und eisenhaltige Thermalquelle bei Rodaun wurde schon 1592 zum Baden genutzt und trug zur Popularität des Ortes als Ausflugsziel bei. Ab 1831 war die Quelle an Johann Stelzer verpachtet, der das Bad mit seinem beliebten "Wirtshaus von Österreich" ergänzte. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand ein "kaltes Bad" in der Nähe der Wiesmühle in Rodaun.
Wie an den meisten anderen urbanen Gewässern nahm auch am Liesingbach die Vielfältigkeit der Nutzungen stark ab. Viele Flussfunktionen wurden durch Infrastrukturnetzwerke ersetzt. Heute dient der Bach vor allem dem Abfluss von Hochwässern und der Naherholung. Durch Renaturierungsprojekte soll das Bach auch wieder zunehmend zum Habitat für zahlreiche aquatische und terrestrische Lebewesen werden. Vergangene Eingriffe und die mittlerweile dichte Besiedlung entlang der Ufer begrenzen allerdings den Platz, den es bräuchte, um natürliche Dynamiken wieder zulassen zu können.
Flussquerungen
Anders als am Wienfluss verlief entlang des Liesingbaches keine wichtige Verkehrsachse. Stattdessen kreuzten zahlreiche Verkehrswege nach Süden vom Stadtzentrum aus kommend den Liesingbach – die Kreuzungspunkte boten gute Bedingungen für die Entwicklung von Siedlungen. Wichtige Versorgungs- und Verkehrsinfrastrukturen, die den Liesingbach kreuzen, sind:
- Gebirgsrandweg: Ein seit dem Frühmittelalter, möglicherweise auch bereits seit der Zeit der römischen Besiedlung, bestehender Weg entlang der Wienerwaldgrenze, der den Liesingbach bei Rodaun in einer Furt querte. Der Verlauf entsprach etwa der heutigen Lainzer- und Speisinger Straße, Gall- und Klitschgasse über den Maurer Hauptplatz und entlang der Rodauner Straße. Vermutlich war dieser Weg Ausgangspunkt der Siedlungen Kalksburg und Rodaun.
- Dampftramway Hietzing-Perchtoldsdorf: Diese vor allem für den Ausflugsverkehr wichtige Strecke wurde als erste Dampftramway-Strecke Wiens 1883 eröffnet. Sie übersetzte den Liesingbach auf einer eisernen Brücke bei Kalksburg auf Höhe der Willergasse. Diese stürzte 1951 bei einem Hochwasser ein. Heute nutzt die Straßenbahnlinie 60 diese Strecke, quert jedoch bei der Kaiser-Franz-Josef-Straße den Liesingbach.
- Erste Hochquellenleitung: Seit ihrer Erbauung 1870 bis 1873 quert sie die Liesing im Bereich der Breitenfurter Straße 401-413 in einem Aquädukt mit 43 Stützpfeilern.
- Liesinger Weg: Geht ähnlich dem Gebirgsrandweg auf das frühe Mittelalter, möglicherweise aber bereits auf die Römerzeit zurück und verbindet die Ortschaften des heutigen 12. Bezirks mit Atzgersdorf, Liesing, Brunn am Gebirge, Maria Enzersdorf und Baden. Er querte den Liesingbach in einer Furt im Bereich des heutigen Liesinger Platzes.
- Südbahn: 1839 bis 1842 wurde die Bahnstrecke von Wien nach Gloggnitz als Wien-Gloggnitzer-Bahn fertiggestellt. Sie kreuzt noch heute beim Bahnhof Liesing den Liesingbach.
- Altmannsdorfer Straße: Vor 1894 Laxenburger Straße, 1742 bis 1888 Laxenburger Allee, kreuzt den Liesingbach bei Alterlaa.
- Triester Straße: Seit dem Mittelalter eine Fernhandelsstraße, die auch unter der Bezeichnung Venediger Straße über den Wienerberg nach Süden führte. Im 19. Jahrhundert galt sie als wichtigste Verkehrsverbindung nach Süden. Den Liesingbach kreuzt sie bei Inzersdorf.
- Lokalbahn Wien-Baden: Die Strecke von Wien, Margaretengürtel nach Wiener Neudorf wurde 1886 eröffnet, auf diesem Abschnitt quert die Badner Bahn den Liesingbach bei Inzersdorf.
- Süd-Ost-Tangente (A 23): kreuzt den Liesingbach ebenfalls bei Inzersdorf.
- Pottendorfer Linie: Die Bahnstrecke von Wien Blumental (Inzersdorfer Metzgerwerke) nach Wampersdorf wurde 1874 eröffnet. Sie sollte die Bahnstrecken der Südbahn mit der Raaber Bahn verbinden. Heute ist sie eine Nebenstrecke der Südbahn und quert den Liesingbach bei Rothneusiedl.
- Himberger Straße: umfasste vor 1903 auch die heutige Favoritenstraße und stellte eine wichtige Verbindung an die Schwechat und nach Südosten dar. Sie kreuzte den Liesingbach bei Rothneusiedl.
- Wiener Neustädter Kanal: querte den Liesingbach bei Kledering mittels Aquädukt von 1803 bis 1930. Ab 1879 teilte sich der, nunmehr verengte, Kanal das Liesingaquädukt mit der Wien-Aspang-Bahn.
- Ostbahn – Wien-Raaber-Eisenbahn: Die Strecke von Wien nach Bruck an der Leitha wurde 1838 bis 1846 gebaut. Die Querung des Liesingbaches erfolgte ebenfalls bei Kledering.
Siehe auch: Renaturierung des Liesingbaches, Liesingtal Kanal, Gewässernetzwerk von Wien
Literatur
- Peter Csendes / Ferdinand Opll: Wien: Von den Anfängen bis zur ersten Wiener Türkenbelagerung. Wien: Böhlau 2001
- Adalbert Klaar: Die Siedlungsformen Wiens. Band 8. Wien 1971, S. 125
- Julia Leineweber: Nur ein unsichtbares Gewässer, der Liesingbach und seine Bedeutung für die räumliche Entwicklung vom ländlichen Umland zur Peripherie der Stadt Wien. Dipl.-Arb. TU Wien. Wien 2015
- Ferdinand Lettmayer [Hg.]: Wien um die Mitte des XX. Jahrhunderts - ein Querschnitt durch Landschaft, Geschichte, soziale und technische Einrichtungen, wirtschaftliche und politische Stellung und durch das kulturelle Leben. Wien 1958, S. 197 ff., 209 f.
- Naturgeschichte Wiens
- Ferdinand Opll: Liesing. Geschichte des 23. Wiener Gemeindebezirkes und seiner alten Orte. Wien: Jugend & Volk 1982 (Wiener Heimatkunde, 23), S. 22, 47 ff., 90, 101 ff.
- Julia Tanzer: Historische Morphologische Veränderung der südlichen Wiener Donauzubringer 1755–2010. Masterarbeit. Universität für Bodenkultur Wien. Wien 2016, S. 7-13, S. 35-66
- Wiener Geschichtsblätter 36 (1981), S. 106 f.