Geserah

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In der Kegelgasse erinnert eine Gedenktafel an die Wiener Geserah
Daten zum Begriff
Art des Begriffs Quellenkunde
Andere BezeichnungAndere Bezeichnung für diesen Eintrag
Frühere Bezeichnung
Nachweisbar von 1420
Nachweisbar bis 1421 JL
Siehe auchVerweist auf andere Objekte im Wiki  Juden, Wien, Mittelalter
RessourceUrsprüngliche Ressource  Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien
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Letzte Änderung am 23.11.2023 durch WIEN1.lanm08uns
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BildunterschriftInformation, die unterhalb des Bildes angezeigt werden soll In der Kegelgasse erinnert eine Gedenktafel an die Wiener Geserah


Geserah. Vieldeutiger hebräischer Begriff, der unter anderem Verfolgung durch eine nichtjüdische Regierung bedeutet. Eine deutsch verfasste Schrift, die teilweise hebräische Worte verwendet, schildert den Verlauf der Judenverfolgung von 1420/1421 in Österreich und trägt die Titel "Die Geserah aus Österreich" beziehungsweise "Das is di Winer Geserah in teitsch" (Entstehungszeit vor 1579).

Die Wiener Geserah

Am 23. Mai 1420 wurden alle Juden in Österreich gefangen genommen und teilweise getauft; jene, die sich nicht taufen ließen, wurden gefangen gehalten. Einige Quellen berichten zusätzlich, dass Herzog Albrecht V. das Vermögen der Juden einzog, andere beschreiben ausführlich, wie man sich bemühte, durch Folter Angaben über vergrabene Schätze zu erhalten. Eine genauere Beschreibung liefert die erwähnte Schrift "Geserah": Der Herzog von Österreich erfuhr, die Juden hätten seinen Feinden (den Hussiten) Waffen geschickt, worauf er sie gefangen nehmen ließ und schwor, sich im Falle einer Niederlage an ihnen zu rächen; er befahl, die Armen zu vertreiben und die Reichen gefangenzuhalten. Die Armen mussten schwören, sich nie mehr in Österreich aufzuhalten, wurden dann in kleine Boote ohne Ruder auf der Donau ausgesetzt und trieben bis Pressburg. Die Knechte des Herzogs, die den Juden zu Land gefolgt waren und sie noch einmal zur Taufe gedrängt hatten, blieben erfolglos; die Vertriebenen überlebten. Als der Herzog im August 1420 erfolglos aus Böhmen zurückkehrte, befahl er die Folterung der Gefangenen. Einenteils wollte er die Taufe erzwingen, andernteils die Verstecke von Schätzen in Erfahrung bringen. Als Ratgeber des Herzogs fungierte ein getaufter Jude, der auch dazu riet, Kinder unter 15 Jahren zwangsweise zu taufen. Um die Kinder vor dieser Schmach zu schützen, kam es vermutlich in der Wiener Synagoge zu einem "kiddusch haschem" (Märtyrertod, um den Namen Gottes zu heiligen), der von dem durch das Los dazu auserwählten Rabbi Jona ausgeführt wurde, der sich letztlich Ende September 1420 selbst verbrannte.

Danach führte man eine Anzahl von Jünglingen und Mädchen (160 oder 300 Jungen und 300 Mädchen) in die Synagoge und ließ sie dort hungern, um die Taufe zu erzwingen. Als dies vergeblich blieb, wollte der Herzog die Juden verkaufen; als sie schließlich unter Gewaltanwendung getauft wurden, informierten spanische Rabbiner den Papst über die Ereignisse. Dieser appellierte an Kaiser Sigismund und Albrecht V., die Zwangsgetauften wieder zum Judentum zurückkehren zulassen, was auch geschah.

Gegen Ostern 1421 befanden sich noch 212 Juden, davon 92 Männer und 120 Frauen, in Wien, die auf der Gänseweide in Erdberg verbrannt wurden. Am 19. März wurden abermals 21 Juden durch Feuer hingerichtet. Spätere Quellen berichten darüber, dass die Ursache dieser Hinrichtung eine Hostienschändung in Enns gewesen sei, die man den Juden zur Last legte. Erstmals taucht diese Version in zwei sogenannten Urteilsverkündigungen vom 12. März und 16. April 1421 auf. Mit der ersten wurde die Hinrichtung der Juden auf dem Scheiterhaufen verkündet, mit der zweiten die gleiche Strafe für eine Mesnerin aus Enns bekanntgemacht, die an Juden eine Hostie verkauft haben soll.

Urteilsbegründung

Aus den Quellen ergibt sich deutlich der Hinweis, dass der Anlass für die Vertreibung die angebliche oder tatsächliche Kooperation von Juden und Hussiten war. Nachzuweisen ist immerhin, dass die Juden zunächst der Entwicklung der hussitischen Bewegung mit begreiflicher Sympathie gegenüberstanden. Schon 1419 wurde den Juden von Vertretern der Universität vorgeworfen, dass sie mit Hussiten zusammenarbeiteten.

Herzog Albrecht, der zu den engsten Verbündeten Kaiser Sigismunds auch in der Hussitenbekämpfung zählte, ließ in Wien regelmäßig gegen die Hussiten predigen und bestrafte Wiener Bürger, die in den Verdacht gerieten, mit ihnen zu sympathisieren, mit Verbannung und Beschlagnahmung ihres Vermögens. Hier liegt eine Parallele zur Behandlung der Juden vor. Allerdings mischten sich die Maßnahmen gegen die Juden mit Versuchen ihrer Zwangsbekehrung und Beraubung. Da die Zusammenarbeit mit den Hussiten ein Todesurteil nicht rechtfertigen konnte, griff der Herzog auf den alten Vorwurf der Hostienschändung zurück, um die Verbrennung der Juden nicht als Willkürakt erscheinen zu lassen.

Da die Vertreibung wirtschaftlich jedenfalls eine Fehlentscheidung war, diente die grausame Behandlung der Juden, die auf ihre Beraubung abzielte, einer finanziellen Schadensbegrenzung. Die unangenehmen Folgewirkungen stellten sich auch prompt ein, als Albrecht mit dem in der Steiermark herrschenden Ernst dem Eisernen einen Vertrag über eine Entschädigung der Ansprüche der Vertriebenen schließen musste und auch Kaiser Sigismund entsprechende Ansprüche erhob.

Wirtschaftliche Hintergründe

Hinter den Vorgängen von 1420/1421 ist eine tieferliegende Strukturveränderung zu erkennen, die in ihren Anfängen etwa in die 80er Jahre des 14. Jahrhunderts zurückreicht. Um die Jahrhundertwende ist zu bemerken, dass die klassischen Geldgeschäfte zwischen den Juden und der adeligen Führungsschicht an Zahl und Umfang abnehmen. Parallel dazu wird die Bindung an den Herzog immer enger. Die Ursachen für diesen Zusammenbruch der Beziehungen zwischen Adel und Juden liegen zum Teil in der Gefährdung des Adels, der durch die bei Juden aufgenommenen Darlehen in Abhängigkeit zum Landesfürsten geriet, der diese Darlehen als Teil seines Kammerguts betrachtete.

Der Adel hatte daher 1420/1421 kein Interesse, sein noch immer erhebliches politisches Gewicht zugunsten der Juden einzusetzen. Ein weiteres strukturelles Moment ergab sich aus der spätscholastischen Diskussion um das Renten- und Geldgeschäft auf Zinsen, wobei die Vertreter der Kirche auf dem Rentengeschäft beharrten, primär aus der Überlegung, dass diese Form der Kapitalanlage "den Gottesdienst vermehre". In Wien wurde diese Lehre von Heinrich von Langenstein und Heinrich von Oyta gepflegt und verbreitet, die auch ausführlich zur Frage der jüdischen Darlehen Stellung nahmen.

Aus ihren Ansichten ergibt sich die Quintessenz, dass man die Darlehen gegen Zinsen möglichst einschränken sollte. Durch die Konzentration der Juden auf das Geldgeschäft brächte man sie obendrein in eine soziale Situation, die ihre Bekehrung äußerst erschweren würde, da sie nach der Konversion keinen Lebensunterhalt mehr fänden.

Literatur

  • Johann Evangelist Scherer: Die Rechtsverhältnisse der Juden in den deutsch-österreichischen Ländern. Mit einer Einleitung über die Principien der Judengesetzgebung in Europa während des Mittelalters. Leipzig 1901, S. 410 ff.
  • Samuel Krauss: Die Wiener Geserah vom Jahre 1421. Wien [u.a.]: Braumüller 1920
  • Klaus Lohrmann: Judenrecht und Judenpolitik im mittelalterlichen Österreich. Wien [u.a.]: Böhlau 1990, S. 298 ff.
  • Michael H. Shank: "Unless You Believe, You Shall Not Understand." Logic, University and Society in Late Medieval Vienna. Princeton, NJ [u.a.]: Princeton University Press 1988, S. 139 ff. (wichtig für die religiös-politischen Hintergründe)
  • Israel Jacob Yuval: Juden, Hussiten und Deutsche. Nach einer hebräischen Chronik. In: Alfred Haverkamp / Franz-Josef Ziwes [Hg.]: Juden in der christlichen Umwelt während des späten Mittelalters. In: Zeitschrift für historische Forschung. VJS zur Erforschung des Spätmittealters und der frühen Neuzeit, Beiheft 13 (1992), S. 59 ff., besonders 65 f.

Weblinks