Johannes Schober
Johannes Schober, * 14. November 1874 Perg (Oberösterreich), † 19. August 1932 Sanatorium Baden (Niederösterreich), Politiker, Polizeipräsident.
Biografie
Johannes Schober wurde als zehntes Kind von Franz und Clara Schober (geborene Lehmann) im oberösterreichischen Perg geboren. Sein Vater war Amtsdiener. Nach dem Besuch des Linzer Gymnasiums (1886 bis 1894) studierte Schober Jus an der Wiener Universität (Dr. jur. et rer. pol.). 1900 heiratete er Helene Zieglmayer-Hamman Edle v. Hollenfeld (1875–1933), die Tochter des früheren Direktors des Wiener Bürgerversorgungshauses. Die Ehe blieb kinderlos.
Schon 1898 trat er in den Dienst des Wiener Magistrats, ging aber noch im selben Jahr als Konzeptspraktikant zur Polizei. Als Polizeibeamter war er vorerst im Kommissariat Innere Stadt tätig, dann im Polizeipräsidium und anschließend, 1909 bis 1913, im Polizeidepartement des Innenministeriums. 1913 übernahm er die Leitung der Staatspolizei und am 11. Juni 1918 jene der Wiener Polizeidirektion – mit 25. Juni 1918 wurde er zum Hofrat ernannt. Am 30. November 1918 erfolgte die Ernennung zum Polizeipräsidenten von Wien, am 8. Dezember desselben Jahres wurde ihm sogar die Leitung des gesamten Diensts der öffentlichen Sicherheit übertragen. Da es ihm gelang, den Apparat der öffentlichen Sicherheit als einzigen intakt gebliebenen Machtkörper der Monarchie vor dem Zusammenbruch zu bewahren und in die Republik überzuleiten, stieg sein Ansehen vor allem bei den bürgerlichen Parteien. Seinen Ruf als Garant von Ruhe und Ordnung festigte er auch 1919 durch sein hartes Durchgreifen gegen die Kommunisten, zu dem ihm etwa auch der Satiriker Karl Kraus applaudierte.
Nach einem gescheiterten Regierungsbildungsversuch 1920 wurde er im Jahr darauf von der Großdeutschen Volkspartei für den Posten des Bundeskanzlers vorgeschlagen und stand von Juni 1921 bis Mai 1922 parteiunabhängig einer Beamtenregierung vor, die auch von den Christlichsozialen gegen die Sozialdemokratie unterstützt wurde. Während dieser ersten Regierungsperiode übernahm Schober zeitweise verschiedene Ministerien und unterzeichnete als Außenminister etwa den Vertrag von Lana mit der Tschechoslowakei vom Dezember 1921, der neben wirtschaftlichen Vereinbarungen auch das Anschlussverbot enthielt und etwa von den Großdeutschen kritisiert wurde.
Nach dem Rücktritt als Bundeskanzler, seiner Wiedereinsetzung und schließlich dem durch die Großdeutschen bewirkten Sturz übernahm Schober unter der neuen Regierung Seipel am 31. Mai 1922 wieder die Leitung der Polizeidirektion – er war zuvor beurlaubt gewesen. Schober modernisierte die Wiener Polizei in verschiedenen Bereichen (Nachrichtendienst, Fürsorgewesen etc.) und wurde Mitbegründer der "Internationalen Kriminalpolizeilichen Kommission" (Interpol), die ihn zu ihrem Präsidenten und Wien zu ihrem ständigen Sitz wählte. Erfolg und Karriere Schobers beruhten nicht zuletzt darauf, dass er auf ausgleichende Weise versuchte, mit allen Parteien im Gespräch zu bleiben. Dahinter wurde allerdings auch öfter ein doppeltes Spiel vermutet.
Problematisch war seine Rolle bei den Ereignissen des 15. Juli 1927, dem Justizpalastbrand. Mit Seipels Bevollmächtigung und nachdem es berittenen Einheiten nicht gelungen war, die Menge der Demonstrantinnen und Demonstranten vor dem Justizpalast aufzulösen, traf Schober die Entscheidung, das Feuer zu eröffnen. 89 Menschen wurden von den Polizeikommandos getötet, darunter Kinder und unbeteiligte Zuschauer. Zudem wurden Hunderte durch Gewehrkugeln, Schlagstöcke und Säbel verletzt. Karl Kraus, der Schober grundsätzlich geschätzt hatte, sprach vom "größten Verbrechen aller zivilisierten Zeiten" und zählte 90 Tote. Da die Rücktrittsforderungen der Sozialdemokratie – die rasch wieder Gespräche mit Schober aufnahm – schnell verstummten und die bürgerlichen Parteien ohnehin hinter Schober standen, der medial und politisch gefeiert wurde und selbst von "erfüllten Pflichten" sprach, reagierte Kraus mit einer Kampagne gegen Schober. Zentral waren dabei neben den Texten in der "Fackel" seine Plakataktion im Herbst 1927 wie auch das "Schoberlied".
Nach erfolgloser Kandidatur bei den Bundespräsidentenwahlen 1928 wurde Johannes Schober am 26. September 1929 – angesichts einer drohenden Bürgerkriegssituation und mit besonderer Unterstützung der Heimwehren – nochmals Bundeskanzler. Seine Verfassungsreform im selben Jahr gestaltete er als Kompromiss mit den Sozialdemokraten. Wegen einer personalpolitischen Auseinandersetzung musste er im September 1930 neuerlich demissionieren.
Für die Wahlen vom 9. November 1930 stellte er sich als Listenführer des "Schoberblocks" zur Verfügung (Nationalliberales Lager: Großdeutsche und Landbund) und errang einen Achtungserfolg. Zwischen 4. Dezember 1930 und 29. Jänner 1932 war Schober Vizekanzler beziehungsweise Außenminister in den Regierungen Otto Ender und Buresch. Schober war ein erfahrener Verwaltungspraktiker und Mittelpunkt der letzten Konzentrationsversuche eines deutschnational-freiheitlichen Bürgertums in Österreich. Am 12. Juli 1924 wurde er zum Ehrenbürger der Gemeinde Perg ernannt. Am 27. Dezember 1932 benannte man die Dr.-Schober-Straße im 13. Bezirk nach dem Politiker.
Im Auftrag der Stadt Wien hat eine HistorikerInnen-Kommission die historische Bedeutung jener Persönlichkeiten, nach denen Wiener Straßen benannt sind, von 2011 bis 2013 untersucht sowie eine zeithistorische Kontextualisierung vorgenommen. Laut Abschlussbericht dieser Forschungsgruppe sei Johann Schober in seiner Funktion als Polizeipräsident für 94 Tote (89 Zivilistinnen und Zivilisten, 4 Sicherheitswachbeamte, 1 Kriminalbeamter) sowie Hunderte Verletzte beim Justizpalastbrand 1927 hauptverantwortlich gewesen, da er die Lage falsch eingeschätzt und bei den Demonstrationen ein zu geringes Sicherheitsaufgebot bereitgestellt hatte. Als es zu Tumulten und zum Sturm auf den Justizpalast sowie zu dessen Brandschatzung kam, gab er der Polizei unter anderem den Befehl, notfalls von der Schusswaffe Gebrauch zu machen.
Quellen
- Wienbibliothek im Rathaus: Sammlung Prozessakten Oskar Samek / Karl Kraus
- Karl Kraus Online [Stand: 31.07.2020]
- AAC-FACKEL Online Version: Die Fackel. Herausgeber: Karl Kraus, Wien 1899–1936
Literatur
- Peter Autengruber / Birgit Nemec / Oliver Rathkolb / Florian Wenninger: Umstrittene Wiener Straßennamen. Ein kritisches Lesebuch. Wien: Pichler Verlag 2014, S. 144
- Peter Autengruber / Birgit Nemec / Oliver Rathkolb / Florian Wenninger: Forschungsprojektendbericht "Straßennamen Wiens seit 1860 als 'Politische Erinnerungsorte'". Wien 2013
- Rainer Hubert: Schober − "Arbeitermörder" und "Hort der Republik". Biographie eines Gestrigen. Wien: Böhlau 1990
- Friedrich Weissensteiner / Erika Weinzierl [Hg.]: Die österreichischen Bundeskanzler. Leben und Werk. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1983, S. 62 ff.
- Alois Zauner [Hg.]. Oberösterreicher. Lebensbilder zur Geschichte Oberösterreichs. Band 2. Linz: Oberösterreichisches Landesarchiv 1982, S. 144 ff.
- Jacques Hannak: Johann Schober. Der Mittelweg in die Katastrophe. Porträt eines Repräsentanten der verlorenen Mitte. Wien: Europa-Verlag 1966
- Hans Markl: Kennst du alle berühmten Gedenkstätten Wiens? Wien [u. a.]: Pechan 1959 (Perlenreihe, 1008), Register
- Hermann Oberhummer: Die Angehörigen der Wiener Polizeidirektion 1754−1900. Wien: Gerlach & Wiedling 1939, S. 15
- Oskar Kleinschmied: Schober. Wien: Manz 1930
Johannes Schober im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus