Anschlussbewegung

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Anstecknadel zum Anschluss an Deutschland (ca. 1918).
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Anschlussbewegung. Unter dieser Bezeichnung verstand man Bestrebungen, die eine Vereinigung Österreichs mit Deutschland zum Ziel hatten (siehe auch Anschluss).

Anschlussbewegung in der Monarchie

Nachdem das Heilige Römische Reich deutscher Nation, welches nie ein Nationalstaat gewesen war im Zug der Napoleonischen Kriege zerbrochen war bestand lediglich ein lockerer Bund deutscher Staaten die jeweils eine ausgeprägte staatliche Eigenstaatlichkeit beanspruchten und entwickelten. Das multinationale ab 1804 bestehende Kaisertum Österreich zählte neben Brandenburg-Preußen zu den beiden Großmächten dieses Bundes. Erstmals in der Zeit der Romantik, als man den mittelalterlichen Begriff des Heiligen Römischen Reiches mit einem deutschen Nationalstaat gleichzusetzen versuchte, tauchten Gedanken des Zusammenschlusses der gesamten deutschsprachigen Bevölkerung auf. Ausgelöst durch die Revolution von 1848 wurde neuerlich eine Vereinigung diskutiert; die "Großdeutschen" im Frankfurter Parlament (1848/1849) strebten eine Vereinigung unter österreichischer Führung an die am Widerstand Preußens scheiterte. Durch den preußisch-österreichischen Krieg von 1866 kamen diese Gedanken zum Erliegen. In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts griff in Österreich vor allem der radikale deutschnationale Politiker Georg Schönerer den Gedanken in anderer Form wieder auf; er stützte sich vor allem auf Studenten, Intellektuelle und Teile des Bürgertums. Die "Schönerianer" waren jedoch keine Massenbewegung.

Anschlussbewegung nach Ende des Ersten Weltkriegs

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, als die Lebensfähigkeit Österreichs von vielen in Frage gestellt wurde, bezeichnete die Provisorische Nationalversammlung im Verfassungsgesetz vom 12. November 1918 Österreich als einen Bestandteil der Deutschen Republik ("Deutsch-Österreich"); die politischen Parteien nahmen den "Anschluss" durchwegs in ihre Programme auf. Die treibende Kraft der Anschlussbewegung waren aber zunächst die Sozialdemokraten. Otto Bauer als Staatssekretär für Äußeres betrieb ihn vehement, weil er sich in der Vereinigung mit einem sozialistischen Deutschland die erhoffte soziale Revolution und Verwirklichung des Sozialismus erhoffte. Argumentativ reaktivierte Bauer die revolutionäre 1848er-Tradition. In der Anschlussfrage wurde die deutschösterreichische Regierung von der prekären Situation der deutschböhmischen und deutschmährischen und österreichisch-schlesischen Gebiete, die der neue tschechoslowakische Staat in sein Territorium einbeziehen wollte. Die Option für den Anschluss bot die erhoffte Möglichkeit, die sichelförmign Randgebiete der Tschechoslowakei zu entreißen. Aber Otto Bauers Politik scheiterte.

Bereits die Verhandlungen mit Hugo Haase, dem stellvertretenden Regierungsvorsitzenden in Berlin und Volksbeauftragten für die deutsche Außenpolitik, am 14. November 1918 blieben unverbindlich. Als der deutschösterreichische Botschafter Ludo Moritz Hartmann am 25. November 1918 der Reichskonferenz der deutschen Länder die Beschlüsse der deutschösterreichischen Nationalversammlung über den Anschluss überbrachte, gab es Vorbehalte. Nach den Wahlen zur Weimarer Nationalversammlung wurde bei der Eröffnung des deutschen Reichstags am 6. Februar 1919 zwar auch ein Passus dem Anschluss Österreichs gewidmet und die Deutsche Nationalversammlung erklärte am 21. Februar 1919 den Eintritt Deutsch-Österreichs ins Deutsche Reich.

Außenminister Ulrich von Brockdorf-Rantzau beteuerte immerhin die Wichtigkeit des Anschlusses, sicherte österreichischen Vertretern auch die Mitarbeit an der neuen Reichsverfassung zu, aber in der praktischen Hilfe an Österreich passierte wenig bis nichts. Zwischen dem 27. Februar und 3. März 1919 fanden unter Leitung der Außenminister Otto Bauer und Ulrich von Brockdorff-Rantzau in Berlin Geheimverhandlungen über den Anschluss statt. Deutschland bremste, wegen der ungeklärten innenpolitischen Verhältnisse, vor allem aber darum, um die in Paris tagende siegreiche Entente nicht gegen sich aufzubringen. Die Siegermächte des Ersten Weltkrieges hatten aber ohnehin keineswegs im Sinn, den Kriegsgegner Deutschland auch noch territorial zu stärken. Artikel 88 des Friedensvertrags von Saint Germain (1919) verbot Österreich die Bezeichnung "Deutsch-Österreich" und machte einen Verzicht auf die Unabhängigkeit von einer Genehmigung des Völkerbunds abhängig. Bei Gewährung der Genfer-Anleihe die mit Hilfe der Siegermächte 1922 die österreichische Währung sanierte, wurde der Anschluss erneut untersagt.

Anschlussbewegung in der Zwischenkriegszeit

Angesichts des Eindrucks mangelnder Lebensfähigkeit des neugegründeten Staates der durch die Politik der Nachfolgestaaten der Monarchie möglichst rasch „Los von Wien“ zu kommen trachteten befördert wurde und durch die Notwendigkeit ein Fünftel bis sein Viertel der Importe für Nahrungsmittel aufzuwenden, blieb die Anschlussidee für viele Menschen attraktiv. Die Phrase von der Lebensunfähigkeit lebte in den Köpfen weiter, besonders im Bürgertum das von den Auswirkungen des Zerfalls des ehemaligen gemeinsamen Wirtschaftsgebietes am stärksten betroffen war. Das begünstigte einen weitverbreiteten Defaitismus, die Tendenz alles und jenes auf „das Ausland“, den „Völkerbund“ schieben zu wollen.

Innerhalb der "Großdeutschen", aber auch in anderen politischen Lagern, spielte die Anschlussbewegung weiterhin eine Rolle. In den 1920er Jahren verlor der Gedanke an Attraktivität, wurde jedoch seitens Deutschlands durch die Gründung verschiedener Verbände weiter gepflegt (unter anderem 1920 Wiener Ortsgruppe des "Österreichisch-Deutschen Volksbundes"; 1925 Gründung der "Österreichisch-Deutschen Arbeitsgemeinschaft" in Wien, Organ "Deutsche Einheit" 1926; Deutscher Schulverein). Nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage erneut. Unter Bundeskanzler Johannes Schober wurde der erneute Versuch einer wirtschaftlichen Annäherung geprüft (Zollunion, 1931), doch wurde eine solche Union durch das Haager Internationale Schiedsgericht als friedensvertragswidrig verboten. Erst nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland im Jänner 1933 distanzierte sich die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP von der Idee des Anschlusses an die NS-Diktatur. Auf ihrem letzten Parteitag (14.-16. Oktober 1933) strichen die Sozialdemokraten daraufhin den "Anschlussartikel" aus ihrem Parteiprogramm. Das demifaschistische Dollfuß-Schusschnigg-Regime stand ohnehin in Gegenerschaft zu NS-Deutschland.

Nach der Machtübernahme Adolf Hitlers kam es zu verschiedenen Maßnahmen, die einen Anschluss erzwingen sollten (Wirtschaftsboykott, "Tausend-Mark-Sperre" für Touristen, Sabotageakte, Attentate, illegale Unterwanderung, Unterstützung der österreichischen Nationalsozialisten, in denen das ursprüngliche "Nationale Lager" aufging). Der Einmarsch deutscher Truppen am 12. März 1938 stellte die Welt vor die vollendete Tatsachen des so genannten Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich beziehungsweise der (historisch in keiner Weise begründeten) "Wiedervereinigung". Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte eine Anschlussbewegung nicht mehr entstehen.

Siehe auch: Anschluss; Volksabstimmung zum Anschluss.

Videos

Stummfilmausschnitte aus dem Jahr 1925: Der erste Teil des Films dokumentiert Anreise und Empfang von Mitgliedern des „Deutsch-Österreichischen Volksbundes" durch Mitglieder des „Österreichisch-Deutschen Volksbundes". Der zweite Teil zeigt die im Zuge dieses Zusammentreffens organisierte Massenveranstaltung vor dem Wiener Rathaus. WStLA, Filmarchiv der media wien, 302
Ausschnitt eines Kompilationsfilms mit historischen Aufnahmen der Jahre 1938 - 1945 für das Gedenkjahr 1963, in dem sich der „Anschluss" Österreichs zum 25 Mal jährte. WStLA, Filmarchiv der media wien, 736

Literatur

  • Isabella Ackerl: Die Großdeutschen und der Anschluß. In: Wien 1938. [Hg. und für den Inhalt verantwortlich Felix Czeike.] Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 1978 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 2), S. 158 ff.
  • Gerhard Botz, Nationalsozialismus in Wien. Machtübernahme und Herrschaftssicherung, Radikalisierung 1938/39. Wien: Mandelbaum Verlag 2018
  • Gerhard Botz, Die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich. Planung und Verwirklichung des politisch-administrativen Anschlusses (1938–1940), Wien 1988
  • Ernst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien 1994
  • Alfred Pfoser/Andreas Weigl: Die erste Stunde Null. Gründungsjahre der österreichischen Republik, Salzburg/Wien: Residenz 2017
  • Gerald Stourzh u.a. [Hg.]: Österreich, Deutschland und die Mächte. Internationale und österreichische Aspekte des "Anschlusses" vom März 1938. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1990 (Veröffentlichungen der Kommission für die Geschichte Österreichs / Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, 16)