Ludo Moritz Hartmann
Ludo (Ludwig) Moritz Hartmann, * 2. März 1865 Stuttgart, † 14. November 1924 Wien, Historiker, Volksbildner, sozialdemokratischer Politiker.
Biografie
Ludwig (Ludo) Moritz Hartmann war der zweitgeborene Sohn des Ehepaares Bertha und Moritz Hartmann. Der ältere Bruder Heinrich (1861–1865) verstarb im Kleinkindalter, ein halbes Jahr nach Ludos Geburt. Die Mutter Bertha Hartmann, geborene Roediger, kam aus einer protestantischen Familie in Hanau am Main. Sein Vater war der Schriftsteller, Journalist und Politiker Moritz Hartmann, der aus einer angesehenen jüdischen Familie in Böhmen stammte. Er hatte sich im Herbst 1848 an der Revolution in Wien beteiligt, musste nach deren Niederschlagung die Stadt verlassen und konnte erst 1868, nach der im Jahr zuvor erlassenen Generalamnestie, wieder zurückkehren. Nachdem sich die Familie in Wien niedergelassen hatte, fand sie rasch Anschluss an die intellektuellen Kreise in der Stadt, die Bertha Hartmann nach dem frühen Tod ihres Ehemannes 1872 auch helfend zur Seite standen. Moritz Hartmann hatte noch vor seinem Ableben den reichsdeutschen Politiker und Abgeordneten Ludwig Bamberger und den Wiener Bankier Leopold von Lieben zu Vormunden seines Sohnes bestimmt, die vor allem die ökonomischen Belange regeln sollten. Die Erziehung Ludo Hartmanns oblag seiner Mutter, die großen Wert darauflegte, ihm jene Werte zu vermitteln, die ihr und ihrem Mann in den Revolutionsjahren und danach wichtig gewesen waren.
Ludo Hartmann besuchte das Wasagymnasium und studierte ab 1883 in Wien und Berlin Philosophie. Zu seinen Lehrern zählte unter anderem Theodor Mommsen, bei dem er 1887 promovierte. Anschließend bildete er sich in Rom und Straßburg weiter und kehrte danach an das Institut für Österreichische Geschichtsforschung zurück, an dem er als außerordentliches Mitglied von 1887 bis 1889 am 17. Ausbildungskurs teilnahm. Hartmann habilitierte sich 1889 für Alte und Mittelalterliche Geschichte an der Universität Wien und erhielt eine Dozentenstelle. 1893 heiratete Hartmann Grete Chrobak, mit der er zwei Kinder hatte.
Darüber, ab wann Hartmann eine außerordentliche Professur an der Universität Wien innehatte, finden sich in der Literatur unterschiedliche Angaben (1903, 1918, 1919, 1922), die ordentliche Professur wurde ihm erst in seinem Todesjahr 1924 verliehen. Hartmanns geschichtswissenschaftlicher Schwerpunkt lag auf der Geschichte Italiens im Mittelalter. Er arbeitete unter anderem an der "Monumenta Germaniae Historica" mit und war Mitbegründer und Herausgeber der "Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte", ein Fachorgan, das auch im Ausland Anerkennung fand. In Summe veröffentliche er mehr als fünfzig geschichtswissenschaftliche Schriften in mehreren Sprachen. Von seinem starken Interesse an der Soziologie zeugen sein Engagement im von ihm mitgegründeten "Sozialwissenschaftlichen Bildungsvereins" (1895) und in der "Soziologischen Gesellschaft in Wien" (1907). Zudem brachte er sich auf vielfältige Weise aktiv ins Hochschulleben ein, unter anderem als langjähriger Obmann-Stellvertreter der "Vereinigung österreichischer Hochschuldozenten" und Gründer und Leiter der "Vereinigung sozialistischer Hochschullehrer" (1921). Hartmann scheute auch nicht davor zurück, Kritik an der Berufungspolitik der Universität zu üben und die Benachteiligung sozialistischer, konfessionsloser und jüdischer Studierender und Lehrender anzusprechen, die er als sozialdemokratischer Konfessionsloser jüdischer Abstammung auch am eigenen Leibe erfuhr. Mitunter kam es auch vor, dass seine Lehrveranstaltungen von deutschnationalen Studenten boykottiert wurden.
Bedeutung erlangte Hartmann vor allem als Volksbildner, der die Bildung der breiten Masse auch als eine demokratiepolitische Notwendigkeit sah. 1895 rief er die "Volkstümlichen Universitätsvorträge" an der Universität Wien ins Leben, um universitäres Wissen auch jenen zugänglich zu machen, die nicht studieren konnten. Er selbst publizierte für ein außeruniversitäres Publikum in populärwissenschaftlichen Zeitschriften wie "Urania" oder "Wissen für alle". Im Frauenbildungsverein Athenäum, einer Frauenakademie, die von der Vereinigung der Wiener Hochschuldozenten im Jahr 1900 zur Abhaltung wissenschaftlicher Lehrkurse für Frauen und Mädchen ins Leben gerufen worden war, fungierte Hartmann als stellvertretender Obmann und hielt Vorträge aus seinem Forschungsgebiet, der antiken und mittelalterlichen Geschichte Italiens. Sein eigentliches volksbildnerisches Tätigkeitsgebiet war aber die Volkshochschulbewegung. Die Gründung des "Vereins Volksheim" im Jahr 1901, aus dem die Volkshochschule Ottakring hervorging, erfolgte auf seine und Emil Reichs Initiative. Die Volkshochschulen – in ihrem Gleichheitsanspruch – boten vor allem auch Frauen Bildungs- und Vortragsmöglichkeiten. Im 1905 fertiggestellten Volkshochschulgebäude in Ottakring fand bereits im Jahr darauf die internationale Frauenrechtskonferenz statt. Ebenfalls 1905 wurde der Verein "Freie Schule" gegründete, bei dem Hartmann als Schriftführer fungierte.
Hartmann trat 1901 der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei ein und gründete kurz darauf mit Heinrich Friedjung den "Politischen Aufklärungsverein" (1901) für die politische Bildung der Massen. Hartmann, der sich im Verlauf des Ersten Weltkriegs offen gegen den Krieg aussprach, trat gemeinsam mit anderen Professoren und wie viele andere auch in der Sozialdemokratie, für einen Anschluss Österreichs an ein demokratisches Deutschland nach dem Krieg ein. So war Hartmann auch Gründungsmitglied in der "Österreichisch-Deutschen Arbeitsgemeinschaft", initiiert 1918 von Franz Klein, deren Ziel es war, die Zusammenführung Deutschlands und Österreichs geistig vorzubereiten. Nach Kriegsende war Ludo Moritz Hartmann Archivbevollmächtigter der jungen Republik Deutsch-Österreich und öffnete die Archive für die Benützung. Diese Funktion hatte er allerdings nur zwei Wochen inne, dann wurde er Gesandter Deutsch-Österreichs in Berlin. Mit dem Friedensvertrag von Saint-Germain-en-Laye 1919 wurden allfällige Anschlussbestrebungen allerdings untersagt. Nach dem Wahlsieg der Christlichsozialen im Herbst 1920 und dem Rückzug der sozialdemokratischen Partei aus der Regierung legte Hartmann sein Amt als Gesandter zurück. Er gehörte von März 1919 bis November 1920 der Konstituierenden Nationalversammlung an. Von Dezember 1920 bis zu seinem Tod am 14. November 1924 war er Mitglied des Bundesrats. Hartmann verstarb 59-jährig an einem Schlaganfall.
1925 wurde die neu errichtete städtische Wohnhausanlage, 8., Albertgasse 13–17, nach Hartmann benannt. Seit demselben Jahr heißt der Platz vor der Volkshochschule Ottakring Ludo-Hartmann-Platz. Im Vestibül erinnert eine Gedenktafel mit Porträtrelief – gestaltet von Grete Hartmann – an den Volksbildner. Alle zwei Jahre vergibt der Verband Österreichischer Volkshochschulen den Ludo-Hartmann-Preis für herausragende Arbeiten im Interesse der österreichischen Volksbildung.
Einige Korrespondenzstücke Hartmanns mit unter anderem Adalbert Franz Seligmann, Eugen Guglia, Auguste Fickert, Margarete Jodl, August Sauer, Elise Richter, Marie Eugenie delle Grazie sowie Marie Ebner von Eschenbach befinden sich in der Wienbibliothek im Rathaus. Dort wird auch ein umfangreicher Nachlass seines Vaters bewahrt.
Quellen
- Wienbibliothek Digital: Ludo Moritz Hartmann
- Wienbibliothek im Rathaus/Tagblattarchiv: Ludo Moritz Hartmann [Sign.: TP-018178]
Werke (Auswahl)
- Ludo Moritz Hartmann: Geschichte Italiens im Mittelalter. Leipzig: G. H. Wigand 1897–1915
- Ludo Moritz Hartmann: Theodor Mommsen. Eine biographische Skizze. Gotha: F. A. Perthes 190 8
- Ludo Moritz Hartmann: Die Nation als politischer Faktor. Tübingen: Mohr 1913
- Ludo Moritz Hartmann: Der Krieg in der Weltgeschichte. Wien: Hölzel 1915
- Ludo Moritz Hartmann: Über die Ursachen des Weltkrieges. Bologna: Zanichelli 1915
- Ludo Moritz Hartmann: Römische Geschichte. Gotha F. A. Perthes 1919
- Ludo Moritz Hartmann: Der neue Geschichtsunterricht. Berlin: Vorwärts 1921
- Ludo Moritz Hartmann: Kurzgefasste Geschichte Italiens von Romulus bis Viktor Emanuel. Stuttgart: F. A. Perthes 1924
Literatur
- Celine Wawruschka: Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs. In: Österreichische Historiker. Hg. von Karl Hruza. Wien: Böhlau 2019, S. 67–96
- Christian H. Stifter: Ludo Moritz Hartmann: Wissenschaftlicher Volksbildner, sozialdeterministischer Historiker, realitätsferner Politiker. In: Universität – Politik – Gesellschaft. 650 Jahre Universität Wien. Hg. von Mitchell G. Ash / Josef Ehmer. Göttingen: V & R unipress 2015, S. 247–255
- Thomas Jaretz: Ludo M. Hartmann und die Volkshochschule als Raum des Wissens in der späten Habsburgermonarchie. Berlin: epubli 2011
- Gerold Unterhumer: Alles Lernen soll zum Denken führen. Demokratie und Erwachsenenbildung bei Ludo Moritz Hartmann. Saarbrücken: Dr. Müller 2010
- Günter Fellner: Ludo Moritz Hartmann und die österreichische Geschichtswissenschaft. Grundzüge eines paradigmatischen Konfliktes. Wien [u. a.]: Geyer 1985
- Christine Klusacek / Kurt Stimmer: Ottakring. Vom Brunnenmarkt zum Liebhartstal. Wien: Mohl 1983, Register
- Günter Fellner: Ludo Moritz Hartmann. Zwischen Bürgertum und Sozialdemokratie. In: Zeitgeschichte 3 (1980), S. 83–108
- Alfred Magaziner: Die Wegbereiter. Aus der Geschichte der Arbeiterbewegung. Wien: Volksbuchverlag 1975, S. 212 ff.
- Jean Maitron / Georges Haupt [Hg.]: Dictionnaire biographique du mouvement ouvrier international. Band 1: Autriche. Paris: Éditions Ouvrières 1971
- Österreichisches biographisches Lexikon 1815–1950. Hg. von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften / Wien / Graz: Böhlau 1954–lfd. [Stand: 15.07.2024]
- Franz Huter: Biographien der Archivbeamten seit 1749. In: Ludwig Bittner [Hg.]: Inventare des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs, Band 5. Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs aufgebaut auf der Geschichte des Archivs und seiner Bestände, Band 1. Wien: Holzhausen 1936, S. 52
- Neue österreichische Biographie. 1815–1918. Wien [u. a.]: Amalthea-Verlag 1923–1935. Band 3 (Stephan Bauer)
- Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung. Wien / München: Oldenbourg / Wien / Graz / Köln: Böhlau / Innsbruck: Wagner 1880–lfd. Band 41, 1926, S. 380–384
- Das Rote Wien. Weblexikon der Wiener Sozialdemokratie: Hartmann, Ludo Moritz [Stand: 15.07.2024]
- Parlament: Dr. Ludwig Moritz Hartmann [Stand: 15.07.2024]
- Neue Deutsche Biographie: Hartmann, Ludo Moritz [Stand: 15.07.2024]
Ludo Moritz Hartmann im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.