Marie-Louise von Motesiczky

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Daten zur Person

Marie-Louise von Motesiczky, * 24. Oktober 1906 Wien, † 10. Juni 1996 London, Malerin, Fotografin.

Biografie

Familiärer Kontext

Marie-Louise von Motesiczky wurde am 24. Oktober 1906 in Wien als zweites Kind in eine jüdische Aristokratenfamilie geboren. Ihr Vater, Edmund Motesiczky von Kesseleökeö (1866–1909), war Musiker und stammte aus dem ungarischen Uradel. 1909 starb er, nur wenige Jahre nach der Geburt seiner Tochter, an einer Darmverschlingung. Ihre Mutter, Henriette von Motesiczky (1882–1978), geborene von Lieben, war Freizeitmalerin und Dichterin. Sie stammte aus einer sehr prominenten jüdischen Bankiersfamilie. Karl Wolfgang Franz Motesiczky war Marie-Louises älterer Bruder. Die Familie lebte am Brahmsplatz und verbrachte den Sommer häufig in der Villa Todesco am Kröpfelsteig im Dorf Hinterbrühl. Während der Jagdsaison lebten sie auf ihrem ungarischen Gut in Vázsony.

Die Familie war im gesellschaftlichen und kulturellen Leben Wiens gut vernetzt. Es wurden enge Kontakte zu Maler:innen, Dichter:innen und Musiker:innen gepflegt. Schon Marie-Louise von Motesiczkys Urgroßmutter Sophie von Todesco führte im bekannten Todescopalais einen einflussreichen Künstlersalon, zu dessen Besuchern Johann Strauss, Anton Rubinstein, Hugo von Hofmannsthal und Henrik Ibsen zählten. Ihr Vater musizierte mit Johannes Brahms. Ihre Großmutter Anna von Lieben wurde unter dem Namen Cäcilie M. als eine der ersten Patientinnen von Sigmund Freud bekannt. Ihre psychische Krankheit wurde als Leiden unter "hysterische Erscheinungen" beschrieben. Sie konnte das Bett häufig nicht verlassen und wurde nach der Geburt ihrer Kinder morphinsüchtig. Von 1887 bis 1895 wurde sie von Freud behandelt. Über die lange Zeit und die dreimaligen Treffen in der Woche konnte Freud seine Theorien der Gesprächstherapie mit dem Element der freien Assoziation entwickelt. Anna von Lieben wurde allerdings nicht von ihrer Morphinsucht geheilt.

Nicht nur im Kontext des kulturellen Lebens war die Familie gut vernetzt, sie pflegte auch Verbindungen zum Bereich der wissenschaftlichen Forschung. Ihr Urgroßvater, Adolf Lieben (1836–1914), begründete den Lieben-Preis für Chemie, und ihr Onkel Robert von Lieben (1879–1913) erfand die Liebensche Verstärkerröhre, die bei den ersten Telefonaten verwendet wurde.

Am 13. März 1938, einen Tag nach dem sogenannten "Anschluss" Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich, floh von Motesiczky gemeinsam mit ihrer Mutter Henriette in die Niederlande. Ihr Bruder Karl blieb in Österreich und organisierte den Transport ihrer Arbeiten aus den 1920er- und 1930er-Jahren ins Ausland. Er schloss sich zusammen mit der Juristin Ella Lingens einer Widerstandsgruppe an, die Juden zur Flucht aus Österreich verhalf. Am 13. Oktober 1942 wurde er von der Gestapo verhaftet, nachdem er zwei jüdischen Paaren aus Polen zur Flucht in die Schweiz verholfen hatte. Ein Jahr später, 1943, wurde er in Auschwitz ermordet. Das Anwesen der Familie in Hinterbrühl wurde 1956 an Hermann Greimer verkauft, der auf dem Grundstück ein SOS-Kinderdorf errichtete. Fünf Jahre später errichteten von Motesiczky und ihre Mutter Henriette dort ein Denkmal in Erinnerung an Karl.

Ausbildung, künstlerische Praxis und Biografie

Marie-Louise von Motesiczky war über einen Zeitraum von sieben Jahrzehnten künstlerisch tätig. Ihr Oeuvre umfasst 300 Gemälde und mehrere tausend Zeichnungen. 1916 besuchte sie das öffentliche Mariahilfer Mädchenlyzeum im 4. Bezirk, brach die Schule aber mit 13 Jahren ab und begann zu zeichnen. Über mehrere Monate erhielt sie Privatunterricht im Atelier des Malers David Kohn. Im Sommer 1920 besuchte der deutsche Künstler Max Beckmann das Haus der Familie in Hinterbrühl. Max Beckmann wurde ein Freund der Familie und von Motesiczky blieb kontinuierlich mit ihm in Kontakt. Ihre Mutter förderte ihr Interesse an der bildenden Kunst. Die gute Vernetzung der Familie in Wien ermöglichte ihr beispielsweise Führungen durch das Wiener Kunsthistorische Museum mit dem späteren Direktor Ludwig Baldass.

1922 verbrachte von Motesiczky vier Monate in den Niederlanden, lernte die Werke der niederländischen Schule kennen und besuchte die private Kunstschule der tschechischen Künstlerin Carola Machotka. In dieser Zeit lernte sie auch Mathilde von Kaulbach, die Tochter des Münchner Malers Friedrich August von Kaulbach, kennen. 1923 heiratete Mathilde von Kaulbach Max Beckmann, den sie über die Familie Motesiczky kennengelernt hatte. 1924 besuchte von Motesiczky für drei Monate die Städelschule in Frankfurt, wo sie bei den Professoren Johann Vincenz Cissarz und Franz Karl Delavilla studierte. Im Wintersemester 1924/25 studierte sie an der Wiener Kunstgewerbeschule bei Adolf Boehm (Zeichnen und Formen nach der menschlichen Figur) und Erich Mallina (Aktzeichnen). Zwischen 1925 und 1927 verbrachte sie mehrmals einige Wochen in Paris, wo sie sich mit dem französischen Impressionismus auseinandersetzte und die Académie de la Grande Chaumière in Montparnasse besuchte. Von 1927 bis 1928 besuchte sie die Meisterklasse von Max Beckmann an der Städelschule in Frankfurt am Main. Anschließend zog sie bis 1930 nach Berlin und studierte Aktzeichnung bei Robert Erdmann in Charlottenburg. Während dieser Zeit lernte sie den Maler Wolfgang Paalen kennen und begann eine Beziehung mit dem Künstler Siegfried Sebba.

1933 wurden ihre Arbeiten auf der "Frühjahrsausstellung des Hagenbunds" erstmals öffentlich gezeigt, darunter "Akt auf dem Balkon" (1929). Im Winter 1933/34 lebten die Komponisten Gian Carlo Menotti und Samuel Barber in einer Wohnung im Haus der Familie Motesiczky und wurden von Marie-Louise porträtiert. Der Verbleib der beiden Gemälde ist nicht bekannt.

Nach der Emigration mit ihrer Mutter nach Holland fand im Januar 1939 von Motesiczkys erste Einzelausstellung in den Esher-Surrey Art Galleries Ltd. in Den Haag statt und wurde von der Kunstkritik positiv aufgenommen. Kurz danach wanderte sie gemeinsam mit ihrer Mutter über die Schweiz nach England aus. Im Februar 1939 kamen die beiden in London an, lebten zunächst in einem Hotel am Sloane Square und zogen anschließend in eine Wohnung im Norden Londons. Karl von Motesiczky schickte ihnen einen Teil des Wiener Haushalts nach, darunter Möbel und Kunstwerke.

In London trafen sie den Maler Oskar Kokoschka, einen Freund der Familie aus der Zeit in Wien, erneut. Von Motesiczky lernte außerdem den Schriftsteller Elias Canetti, seine Frau Veza und die Bildhauerin Anna Mahler kennen. Mit Canetti war sie bis zum Ende ihres Lebens in einer Liebensbeziehung und sie unterstützten sich und ihre Arbeit gegenseitig. Wegen der kontinuierlichen Gefahr durch Bombenangriffe zogen von Motesiczky, ihre Mutter und ihre Freundin Marie Hauptmann nach Amersham in Buckinghamshire, einem Dorf westlich von London.

In den 1940er Jahren hatte von Motesiczky zahlreiche Ausstellungsbeteiligungen, beispielsweise in der "Exhibition of Contemporary Continental Art. Paintings, Water-Colours, Sculptures" in der Londoner Leger Gallery (1941) oder der "Exhibition of Allied Artists" in den R.B.A. Galleries in London (1942). Im selben Jahr widmet Canetti ihr ein Manuskript mit dem Titel "Aufzeichnungen für Marie-Louise", das allerdings erst 2005 veröffentlicht wurde.

Während der Kriegsjahre unterstützte sie Max Beckmann im Exil, in dem sie den Verkauf seiner Arbeiten an holländlische Familienmitglieder vermittelte. 1944 zeigte sie 28 ihrer Bilder in der "Exhibition of Painting and Sculptures by Marie-Louise Motesiczky und Mary Duras" im Czechoslovak Institute in London. Ein weiteres Bild stelle sie in der "AIA 1944. Artists‘ International Association Members‘ Exhibition" in der R.B.A. Galleries aus.

1945 zog sie wieder nach London und besuchte ab 1946 auch Wien in regelmäßigen Abständen. 1948 erhielten von Motesiczky und ihre Mutter die britische Staatsbürgerschaft und zogen in eine Wohnung, in der auch Canetti von 1951 bis 1957 ein Zimmer hatte, in dem er häufig arbeitete. 1950 befreundete sie sich mit der Kunstkritikerin und Schriftstellerin Edith Yapou, dem modernen Architekten Godfrey Samuel und der emigrierten Künstlerin Milein Cosman und deren Mann, dem Musikkritiker Hans Keller. Sie arbeitete kontinuierlich künstlerisch und wurde in den unterschiedlichsten Kontexten und Ausstellungen gezeigt. Sie reiste durch die Vereinigten Staaten und Mexico, nach Italien, Tunesien und Israel.

1966 wurde ihre eine große Einzelausstellung in der Wiener Secession gewidmet für die Canetti einen Aufsatz über ihr Werk schrieb. Die Wanderausstellung war anschließend in Linz, München und Bremen zu sehen. 1968 erhielt sie den Auftrag die Biologin Miriam Rotschild und den Journalist und Schriftsteller Benno Reifenstein zu porträtieren. Die beiden Arbeiten befinden sich jetzt im Städelschen Kunstinstitut in Frankfurt am Main.

1978 starb ihre Mutter Henriette im Alter von 96 Jahren. 1982 veröffentlichte sie ein Gedenkbuch für Henriette mit Gedichten und ihren Bildern sowie Arbeiten ihrer Mutter. 1985 wurde eine viel besprochene Retrospektive mit dem Titel "Marie-Louise von Motesiczky . Paintings Vienna 1925 – London 1985" im Londoner Goethe Institut gezeigt. Die Ausstellung präsentierte 73 Arbeiten aus privaten und öffentlichen Sammlungen sowie aus der persönlichen Sammlung der Künstlerin. Der Katalog enthält Texte der Kunsthistoriker Ernst Gombrich und Günter Busch, des Kurators Richard Calvocoressi und von der Künstlerin selbst.

Bis zu ihrem Tod am 10. Juni 1996 war von Motesiczky an zahlreichen Ausstellungen beteiligt und reise viel. Die Tate Gallery in London veranstaltete eine Gedenkausstellung und ein Memorial Meeting mit einer Einführung durch den Kunsthistoriker Nicholas Serota und einer Ansprache von Ernst Gombrich. Ihre Asche wurde in der Familiengruft am Döblinger Friedhof beigesetzt.

2009 wurde im 21. Wiener Gemeindebezirk (Leopoldau) der Motesiczkyweg nach der Künstlerin benannt.

Ausstellungen

  • 1933: Frühjahrsausstellung des Hagenbunds
  • 1939: Einzelausstellung, Esher-Surrey Art Galleries Ltd., Den Haag
  • 1941: Exhibition of Contemporary Continental Art. Paintings, Water-Colours, Sculptures, Leger Gallery, London
  • 1942: "Exhibition of Allied Artists", R.B.A. Galleries, London
  • 1944: "Exhibition of Painting and Sculptures by Marie-Louise Motesiczky und Mary Duras", Czechoslovak Institute, London
  • "AIA 1944. Artists‘ International Association Members‘ Exhibition", R.B.A. Galleries, London
  • 1945: "This Extraordinary Year. Annual Exhibition by the members of the Artists’ International Association", Whitechapel Art Gallery, London
  • 1952: Einzelausstellung, Kunstzaal Van Lier, Amsterdam & Kunstzaal Plaats, Den Haag
  • 1953: "The Rennaissance of the Fish. Paintings from the 17th to the 20th Century", Roland, Browse & Delbanco, London
  • 1954: Ausstellung mit Arbeiten von Erna Dinklage und Marie-Louise von Motesiczky, Städische Galerie München
  • 1955: Ausstellung mit Heinz May, Curt Beckmann und Hans van Breek, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf
  • 1964: "Last Anthology", Beaux Arts Gallery, London
  • 1966: Einzelausstellung, Wiener Secession > Neue Galerie der Stadt Linz > Galerie Günther Franke, München > Kunsthalle, Bremen
  • 1974: "Hampstead in the Thirties A. Committed Decade", Camden Arts Centre, London
  • 1975: "Portraits Today", Contemporary Portrait Society, Qantas Gallery, London
  • 1977: "Summer Exhibition", Royal Academy of Arts, London
  • 1980: "Max Beckmanns Frankfurter Schüler 1925–1933, Kommunale Galerie im Karmeliterkloster", Frankfurt am Main
  • 1985: Retrospektive, Marie-Louise Motesiczky. Paintings Vienna 1925–London 1985, Goethe Institut, London
  • 1986: Retrospektive, Marie-Louise Motesiczky. Paintings Vienna 1925–London 1985, Fitzwilliam Museum, Cambridge
  • 1987: "Emigré Artists", John Denham Gallery, London
  • 1988: "Marie-Louise Motesiczky with ‘Figurative Image’", Royal Hospital Kilmainham, Dublin
  • 1989: "Modern and Contemporary Works of Art", London
  • 1992: "Jüdische Lebenswelten. Jüdisches Denken und Glauben, Leben und Arbeiten in den Kulturen der Welt", Martin-Gropius-Bau, Berlin
  • 1994: Retrospektive, Österreichische Galerie im Belvedere, Wien
  • 1995: "Neue Sachlichkeit. Österreich 1918–1938", Kunstforum Bank Austria, Wien
  • 1996: Gedenkausstellungen, Tate Gallery, London

Quellen

Literatur

  • Ursula Storch und Peter Stuiber: Schenkung Marie-Louise von Motesiczky. Selbstporträt im Spiegel. In: Wien Museum Magazin, 25.11.2029
  • Ilse Korotin (Hg.): biografiA. Lexikon österreichischer Frauen. Band 2. Wien / Köln / Weimar: Böhlau Verlag 2016, S. 2306
  • Peter Autengruber: Lexikon der Wiener Straßennamen. Bedeutung, Herkunft, frühere Bezeichnungen. Wien: Pichler Verlag 9 2014, S. 210
  • Wien Museum: Marie-Louise Motesiczky 1906–1996, München: Prestel Verlag 2006
  • Ursula Seeber / Alisa Douer: Frauen aus Wien. Ein Fotoband. Wien: Frauenbüro 1999, S. 84
  • Wiener Secession: Ausstellung Marie-Louise Motesiczky, 5. Mai–25. Mai 1966, London: Druck von Villers Publication


Marie-Louise von Motesiczky im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.