48° 12' 33.43" N, 16° 22' 22.44" E zur Karte im Wien Kulturgut
Anfänge
Der Privatbeamte Johann Schlatte stellte am 1. Februar 1911 einen Antrag an die niederösterreichische Statthalterei, einen „Allgemeinen Mieterverein" gründen zu dürfen, mit dessen Hilfe er eine Besserung der Wohnungs- und Mietverhältnisse herbeizuführen suchte. Am 15. März 1911 fand die Konstituierung statt (Obmann Dr. Friedrich Frey, Obmann-Stellvertreter Leopold Winarsky und Jakob Reumann, Vorstandsmitglieder unter anderen Julius Deutsch und Max Winter). Der Sitz des Vereins befand sich im 3. Wiener Gemeindebezirk Landstraße, Landstraßer Hauptstraße 99-101.
Der Weg zum Mietengesetz
Die prekäre Wohnungssituation in Wien zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde durch den Ersten Weltkrieg noch einmal verschärft (Anstieg der Mieten, Einstellung der privaten Bautätigkeit etc.). 1917 erließ die Regierung eine zunächst zeitlich befristete Verordnung, die Familien von Frontsoldaten vor willkürlicher Kündigung beziehungsweise ausbeutenden Mietzinsen schützen sollte ("Mieterschutz"). Am 26. Oktober 1918 erfolgte noch in der Habsburger-Monarchie eine dritte Verordnung über den Mieterschutz, die zeitlich nicht mehr beschränkt war.
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs standen die politischen Vorstellungen von Vermieter- und Mieter-Vertretungen einander diametral entgegen: Während die Vermieter-Seite versuchte, vor dem Hintergrund der steigenden Inflation einen Abbau des Mieterschutzes anzustreben, organisierten Mieter-Organisationen Massenproteste zu dessen Beibehaltung. Die Verteidigung des Mieterschutzes wurde in der Ersten Republik daher auch zu einer zentralen Aufgabe des Vereins, der am 1. April 1921 den Namen "Mietervereinigung Österreichs" annahm und seinen Sitz in der Rotenturmstraße 18 (Innere Stadt) hatte. Ein erster Erfolg der Mietervereinigung bestand in der Mitverhandlung des politischen Kompromisses, der seinen Niederschlag im Mietengesetz vom 7. Oktober 1922 finden sollte (Gliederung der Miete nach Grundzins, Instandhaltungszins und Betriebskosten, Einführung eines Kündigungsschutzes, Einsichtnahme in Hausabrechnungen). Eine gesetzliche Änderung 1929 führte zu einer Abschwächung des Mietgesetzes, jedoch entgegen dem politischen Willen der Konservativen nicht zu dessen gänzlicher Beseitigung.
Die Mietervereinigung hatte 1931 über 250.000 Mitglieder; am 13. Februar 1934 wurde sie im Zusammenhang mit den Februarkämpfen verboten, arbeitete jedoch in der Illegalität weiter.
Entwicklung nach 1945
Am 11. September 1945 wurde die Mietervereinigung reaktiviert. Sie passte seither ihre Aufgaben den wechselnden Erfordernissen der Zeit an; nicht zuletzt erfuhr das Mietrecht in der Zweiten Republik einige entscheidende Änderungen (Freigabe der Mietzinshöhen 1968, Einführung der Kategoriemieten 1982, Novellen zum Mietrecht 1994 und 2000).
Zu den Grundaufgaben der Interessenvertretung der Mieter kamen für die Mietervereinigung unter anderem die Arbeit an einer zeitgemäßen Mietgesetzgebung, Hilfe bei Wohnungsverbesserung, Versicherungsangelegenheiten oder Energieberatung. Am 1. Dezember 1994 hatte die Mietervereinigung 111.134 Mitglieder (darunter 92.076 in Wien).
Quellen
Literatur
- Robert Lukan: Der Kampf um den Mieterschutz in der Ära Seipel 1922–1929. Diss. Univ. Wien. Wien 2005
- Alexander Neuhuber: Politische, soziale und ökonomische Hintergründe zur Entstehung des Mieterschutzes in Österreich. Dipl.-Arb. Univ. Wien. Wien 1992
- Roland Sandner: Der Mieterschutz in Österreich. Diss. Univ. Wien. Wien 1963
- Michael Stampfer: Die Entwicklung des Mieterschutzes in Österreich bis zur Erlassung des Mietengesetzes 1922. Diss. Univ. Wien. Wien 1994
- Michael Stampfer: Die Anfänge des Mieterschutzes in Österreich. Wien: Manz 1995
- Kurt Stimmer [Hg.]: Die Arbeiter von Wien. Ein sozialdemokratischer Stadtführer. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1988, S. 55 ff., S. 97