Stadtarchäologie Wien
48° 13' 22.60" N, 16° 22' 27.66" E zur Karte im Wien Kulturgut
Die Stadtarchäologie Wien erforscht die Vergangenheit der Bundeshauptstadt auf der Grundlage von Forschungs- und Notgrabungen, deren wissenschaftliche Aufarbeitungen in Form von Publikationen Verbreitung finden. Ausstellungen und eine breitgefächerte Öffentlichkeitsarbeit ergänzen die Vermittlertätigkeit.
Von Sammlertätigkeit zur Institution Stadtarchäologie
Das Sammeln von Steindenkmälern mit Inschriften und bildlichen Darstellungen, die unter anderem beim Ausbau der Stadtbefestigung nach der Ersten Türkenbelagerung zum Vorschein gebracht wurden, steht am Beginn einer Beschäftigung mit der antiken Vergangenheit Wiens.
Hermes Schallauczer (* 1503, †1561), Bau-Superintendent in landesfürstlichen Diensten, der 1538/1539 auch Bürgermeister von Wien war, legte sich aus den Funden eine Sammlung römischer Altertümer an. Sein Neffe, der Humanist und Leibarzt Ferdinands I., Wolfgang Lazius erweiterte diese und richtete in seinem Haus am Bauernmarkt (Lazenhof) ein Lapidarium ein. Die Steine seiner Sammlung wurden später in die des Hieronymus Beck von Leopoldsdorf (* 1525, † 1596), in Schloss Ebreichsdorf bei Baden südlich von Wien, eingegliedert. Diese Sammlung ist großteils verloren, nur einige wenige Stücke finden sich heute in der Außenmauer der Ebreichsdorfer Schlosskapelle eingemauert.
Nennenswerte Berichte über antike Überreste mehren sich erst wieder ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert, so in Zusammenhang mit dem Bau des Wiener Neustädter Kanals (1794–1803) und dessen Umbau Mitte des 19. Jahrhunderts. Im Zuge dessen waren Grabungsarbeiten quer durch den heutigen dritten Bezirk nötig. Die dabei zahlreich geborgenen archäologischen Funde führten bereits im 19. Jahrhundert zur (inzwischen bestätigten) Vermutung, dass in diesem Gebiet die römische Zivilsiedlung von Vindobona zu lokalisieren sei.
Ende des Jahres 1850 unterschrieb Kaiser Franz Joseph I. die "Allerhöchste Erschließung" zur Errichtung der "k.k. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale", die 1853 ihre Tätigkeit aufnahm. Zur selben Zeit konstituierte sich der "Alterthums-Verein zu Wien" und mit der Einrichtung verschiedener periodisch erscheinender Publikationsorgane wurde erstmals ein wissenschaftlicher Diskurs auf breiter Basis möglich ("Chronik der archäologischen Funde in der Österreichischen Monarchie" 1804–1875, "Österreichische Blätter für Literatur und Kunst" 1846–1847, "Archiv für Kunde Österreichischer Geschichtsquellen" 1849–1967, verantwortlicher Redakteur ab 1856 Friedrich Kenner, und "Berichte und Mittheilungen des Alterthumsvereines in Wien" 1884–1938).
Der Bauboom im Wien des 19. Jahrhunderts machte zahlreiche großflächige Aufgrabungen notwendig und lieferte eine Fülle an Fundmaterialien. In dieser Zeit war es Friedrich von Kenner (ab 1883 Direktor des k. k. Münz- und Antikenkabinetts des heutigen Kunsthistorischen Museums), der die Erforschung des römischen Wien ganz entscheidend prägte, indem er neben den Funden die topographischen Fragen ins Zentrum des Interesses rückte. Gemeinsam mit dem Numismatiker und Epigraphiker Wilhelm Kubitschek gelang nun auch die Lokalisierung des Legionslagers in der Wiener Innenstadt.
Die Zusammenarbeit mit Josef Hilarius Nowalski de Lilia, der ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert in zahlreichen Skizzen und Fundnotizen die auf den zahllosen Baustellen erfolgten Fundbergungen dokumentierte, führte zu einer ersten Institutionalisierung der archäologischen Forschung in Wien: Nowalski richtete zunächst einen "Archäologischen Fundnachrichtendienst" ein, am 30. Jänner 1901 konstituierte sich ein eigener "Gemeinderatsausschuss zur Förderung der archäologischen Erforschung Wiens", im April desselben Jahres wurde er "Inspektor für die archäologische Erforschung Wiens".
Am 27. Mai 1903 eröffnete man schließlich in Wien 4, Rainergasse 13 das "Museum Vindobonense", das zur Zentralstelle für die archäologische Erforschung der Stadt wurde. Nowalski selbst wurde deren erster Betreuer und konnte so hauptberuflich die denkmalpflegerische Überwachung der Baustellen in Wien übernehmen. 1912 vergrößerte man das Museum, im selben Jahr wurde der Kubitschek-Schüler Erich Polaschek mit der wissenschaftlichen Führung desselben betraut.
Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges kamen die Forschungsarbeiten weitestgehend zum Erliegen und wurden in dieser Form auch für Jahrzehnte nicht mehr aufgenommen. 1919 wurde der "Gemeinderatsausschuss zur Förderung der archäologischen Erforschung Wiens" aufgelöst und seine Aufgaben wurden an das "Historische Museum" im Neuen Rathaus übertragen. Nowalski schied 1922 aus Altersgründen aus dem Dienst aus, kurz darauf wurde auch die Stelle des von ihm ausgeübten Inspektorats gestrichen.
Die Beobachtung der Bautätigkeit oblag ab nun dem jeweiligen Direktor des "Museum Vindobonense" in der Rainergasse. Dieses wurde ausgebaut und 1924 als "Römisches Museum der Stadt Wien" wiedereröffnet, im Zweiten Weltkrieg allerdings durch Bomben völlig zerstört. Die Ur- und Frühgeschichtliche Sammlung (mit den verbliebenen römischen Exponaten) ging als Abteilung im 1888 eröffneten "Historischen Museum der Stadt Wien" im Neuen Rathaus – ab 1959 am Karlsplatz – auf.
Damit landeten auch die Aufgaben des Stadtarchäologen beim Historischen Museum beziehungsweise bei der Leitung der eingegliederten Sammlung, die ab 1946 Alfred Neumann innehatte.
Ortolf Harl, seit 1973 Kustos am "Historischen Museum der Stadt Wien", wurde Nachfolger Neumanns als Stadtarchäologe. Unter ihm kam es 1988 zur Ausgliederung der Stadtarchäologie aus den Museen der Stadt Wien. Ab diesem Zeitpunkt war sie dem Magistrat der Stadt Wien, Abteilung Kultur und damit dem jeweiligen Kulturstadtrat unterstellt.
Im Jahr 2003 bestellte man Karin Fischer Ausserer zur Nachfolgerin, gleichzeitig wurde innerhalb der MA 7 – Kultur das neue Referat "Kulturelles Erbe" gegründet, das die Stadtarchäologie und den Altstadterhaltungsfonds zusammenfasste. 2006 wurde die Stadtarchäologie zu einem eigenen Referat.
Seit dem 1. Juli 2008 ist die Stadtarchäologie Wien eine eigene Organisationseinheit innerhalb der wissenschaftlichen Anstalt öffentlichen Rechtes Wien Museum.
Stadtarchäologie Wien heute
Auf Basis des Denkmalschutzgesetzes nimmt die Stadtarchäologie Wien ihre Hauptaufgabe wahr, die der Erforschung der Vergangenheit Wiens von der Urgeschichte bis zur Neuzeit gewidmet ist (Prospektion, Baustellenüberwachung und -betreuung, Notgrabungen, "U-Bahn-Archäologie"). Die wissenschaftliche Aufarbeitung beinhaltet neben der Dokumentation und Auswertung aktueller Grabungsprojekte die Erfassung historischer Altbestände und wird begleitet von der laufenden Aktualisierung einer GIS-unterstützten Fundortdatenbank sowie der Betreuung des Webportal "Wien Kulturgut".
Mit wissenschaftlichen wie auch populärwissenschaftlichen Publikationen werden regelmäßig die Ergebnisse archäologischer Forschungen vorgelegt.
- Fundort Wien. Berichte zur Archäologie (jährlich, 1/1998–)
- Monografien der Stadtarchäologie (seit 2005)
- Wien Archäologisch (seit 2006)
Zu weiteren Aktivitäten zählt die Organisation der jährlich stattfindenden Konferenz "Cultural Heritage and New Technologies".
Im Rahmen der Vermittlungsarbeit werden Ausstellungen gestaltet und die Initiativen Juniorarchäologie (für Schulen) und Seniorarchäologie (für Erwachsene ab 18 Jahren) betreut.
Video
Karin Fischer Ausserer über die Aufgaben der Stadtarchäologie Wien.Literatur
- Wolfgang Börner / Robert Saul / Peter Scheuch: Web-Portal "Wien Kulturgut" – Der neue Kulturgüterkataster der Stadt Wien. In: Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 11 (2008), S. 322–325
- Friedrich Kenner: Die archäologischen Funde aus römischer Zeit. In: Geschichte der Stadt Wien. Band 1. Hg. vom Alterthumsverein zu Wien. Wien: Holzhausen 1897, S. 42–159
- Michaela Kronberger: Die durchwühlte Schuttdecke. Die Erforschung des römischen Vindobona in Zeiten des städtebaulichen Umbruchs. In: Alt-Wien. Die Stadt, die niemals war (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung des Wien Museums, Wien 2005), S. 86–92
- Wilhelm Kubitschek: Vindobona. In: Xenia Austriaca. Festschrift der österreichischen Mittelschulen zur 42. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Wien 1 (1893), S. 1–58
- Martin Mosser: Ein "archäologisches Frühwarnsystem" für das Bauwesen – das Wiener Bastionen-GIS. In: Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 15 (2012), S. 4–32
- Sylvia Sakl-Oberthaler: Stadtarchäologische Forschungen in Wien. Der Status quo. Fundort Wien. In: Berichte zur Archäologie 14 (2011), S. 4–31
- Michael Schulz: Eine kurze Geschichte der Stadtarchäologie Wien. In: Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 7 (2004), S. 4–12
- Ute Stipanits: Über 100 Jahre handschriftliche Fundmeldungen und ihre EDV-gestützte Erfassung. In: Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 1 (1998), S. 67–72
- Sigrid Strohschneider-Laue: Über die Unbezahlbarkeit freiwilliger Helfer. In: Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 1 (1998), S. 38–43
- Sigrid Strohschneider-Laue: Initiative Juniorarchäologie oder: Wieviel Archäologie braucht die Schule? In: Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 1 (1998), S. 44–47
- Vindobona – Aquincum. Probleme und Lösungen in der Stadtarchäologie – Problémák és megoldások a városi régészetben. Budapest, 20.–22. November 2008. Budapest: Historisches Museum der Stadt Budapest/Budapesti Történeti Muzeum 2009 (Aquincum Nostrum, II.5)