Das Vorwärts-Haus an der Rechten Wienzeile wurde im Auftrag der SDAP nach Plänen der Architekten Hubert und Franz Gessner 1907-1909 als Büro- und Druckereigebäude errichtet. Bis 1934 war es der Sitz der Parteizentrale, bis 1986 auch der namengebenden Vorwärts Druck- und Verlagsanstalt, welche die Arbeiter-Zeitung und andere sozialdemokratische Publikationen produzierte.
Geschichte
1909 beschloss die sozialdemokratische Partei eine Reform, welche die Basis für die Entwicklung zu einer modernen Massenpartei schaffen sollte. Gleichzeitig wurde ein geeigneter Standort für die Zentrale und für andere Organisationen der Partei gesucht und dafür das Haus in der Rechten Wienzeile 97 (damals Wienstraße 89a) angekauft. Die Liegenschaft schien gut geeignet, da sich im Hinterhof bereits ein Druckereigebäude befand.
Den Umbau führten zwei Architekten der Otto Wagner-Schule durch: Hubert Gessner und sein jüngerer Bruder Franz, der zwischen 1905 und 1912 im Atelier seines Bruders Hubert mitarbeitete. Bezogen wurde der weitläufige Gebäudekomplex, der einen Hof umschloss, im Juni 1910. Er bot Raum für die Büros und Sekretariate zahlreicher Organisationen der sozialdemokratischen Partei und der Gewerkschaft, für die Redaktionen der Arbeiter-Zeitung und anderer Publikationen sowie für die Vorwärts-Druckerei. Auch der Republikanische Schutzbund hatte hier seinen Sitz bis zu seinem Verbot 1933.
Mit dem Wachstum der Partei und ihrer Organisationen wurden sukzessive benachbarte Gebäude, beginnend mit dem Haus Nr. 95, zugekauft. Zuletzt war im Bereich der Wienzeile zwischen Pilgramgasse und Sonnenhofgasse ein regelrechter "sozialdemokratischer Häuserblock" entstanden. Mit der Ausweitung des Organisationsnetzes der Partei zogen immer mehr Teilorganisationen ein. 1932 beschäftigten die Sekretariate im Vorwärts-Komplex 49 Angestellte; dazu kamen 160 Angestellte der Parteiblätter und der Volksbuchhandlung sowie (einschließlich des technischen Personals) 467 Druckerei-Angestellte. Im Häuserblock an der Wienzeile arbeiteten demnach fast 700 Menschen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg bezog die neugegründete SPÖ ihr heutiges Domizil in der Löwelstraße. An der Wienzeile waren bis 1986 wiederum die Druckerei und die Büros des Vorwärts-Verlages untergebracht, bis dieser in das neue Druckereizentrum Viehmarktgasse 4 im 3. Bezirk übersiedelte. Danach wurde der Großteil des Baus abgebrochen und an seiner Stelle ein Hotel errichtet. Der erhalten gebliebene, glücklicherweise unter Denkmalschutz gestellte Haupttrakt des Vorwärts-Hauses beherbergt heute – seit 1989 – Archiv und Bibliothek des Vereins für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung und das Bruno Kreisky Archiv.
Baubeschreibung
Auf den Kern der vorhandenen Bausubstanz wurde von den Architekten ein dreistöckiges Gebäude gesetzt, mit glatter, nur leicht gerasterter Fassade. Das Erdgeschoß ist mit roten – schmutzabweisenden – Keramikfliesen verkleidet; über die Mitte des zweiten Stockwerks zieht sich ein Gitterbalkon. Im Erdgeschoß und in den ersten beiden Obergeschoßen finden sich einfach in die Wand geschnittene Fenster bzw. Türen zum Balkon; im letzten Obergeschoß öffnen sich vier große, polygonal gebrochene Fenster über vorkragenden Gesimsen. Darüber verläuft quer über die Fassade ein zwischen die Figurensockel eingespannter Gitterrost, der den Schriftzug Druck & Verlagsanstalt "Vorwärts" trug.
Den Abschluss der Fassade bildet ein markanter, gestufter Giebel mit der mächtigen, dekorativen Uhr im Zentrum, überhöht durch einen Tambour mit Gitterbekrönung – was dem Gebäude einen monumentalen Charakter verleiht, ebenso wie die den Giebel flankierenden Sandsteinfiguren auf massiven Sockeln und die hohen Fahnenstangen. Die beiden überlebensgroßen, frei in den Himmel ragenden Attikaskulpturen "Arbeiter" und "Arbeiterin", dargestellt als idealisierte Akte, sind Werke Anton Hanaks, die Fahnenstangen ein Geschenk des Metallarbeiterverbandes.
Über dem Eingangstor mit seinen schweren Metallflügeln an der rechten Ecke der Fassade wird im Türsturz, zwischen zwei seitlichen Leuchten, der Schriftzug "Vorwärts Studienzentrum und Museum" sichtbar.
Im Inneren des Baus sind die marmorverkleidete Einfahrtshalle, das holzgetäfelte Foyer, das Treppenhaus und der historische Sitzungssaal im 1. Stock weitgehend im – restaurierten – Originalzustand erhalten geblieben. Der Saal diente bis Oktober 1933 dem Parteivorstand als Versammlungsraum und ist heute als "Austerlitz-Zimmer" bekannt, in Gedenken an Friedrich Austerlitz, der von 1895 bis zu seinem Tod 1931 als Chefredakteur die Blattlinie der Arbeiter-Zeitung prägte.
Würdigung
Das von den Brüdern Gessner für die SDAP und die Vorwärts-Druckerei errichtete Gebäude galt mit seinen weiten, hellen Räumen und seinen Glaskuppeln als ein Muster moderner Industriearchitektur. Den Architekten war es gelungen, mit der Modernität des Baus ein Zeichen für das Selbstverständnis der österreichischen Sozialdemokratie zu setzen. Vor allem die Fassade reflektiert das Pathos der im Aufbruch begriffenen Arbeiterbewegung jener Zeit und nimmt Details vorweg, die für den sozialen Wohnbau des Roten Wien der Zwischenkriegszeit prägend werden sollten. Ein Großteil der Bausubstanz des ursprünglichen Anlage hat leider nicht überlebt. "Von dem wohl geschichts- und symbolträchtigsten Bau der Wiener Sozialdemokratie ist nur mehr die weithin sichtbare, signifikante Fassade übrig geblieben. Im Würgegriff einer postmod[ernist]ischen Hotelanlage wird sie selbst noch als Zeichen attackiert." [1]
Literatur
- Friedrich Achleitner: Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert. Ein Führer in vier Bänden. Band III/1: Wien. 1.-12. Bezirk. Salzburg: Residenz Verlag 1990, S. 182
- Franco Borsi / Ezio Godol: Wiener Bauten der Jahrhundertwende. Die Architektur der habsburgischen Metropole zwischen Historismus und Moderne. Hamburg: Nikol Verlagsgesellschaft, Sonderausgabe o. J. (Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1985), S. 224-225
- Bundesdenkmalamt [Hg.]: Dehio-Handbuch. Die Kunstdenkmäler Österreichs. Wien. II. bis IX. und XX. Bezirk. Wien: Anton Schroll 1993, S. 228
- Marion Gusel, Die Bedeutung der sozialdemokratischen Presse und der Druck- und Verlagsanstalt "Vorwärts" für die Entwicklung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs: von den Anfängen bis zum Jahr 1938. Dipl. Arb. Univ. Wien. Wien 1991
- Géza Hajós [et al.]: Die Kunstdenkmäler Wiens. Die Profanbauten des III., IV. und V. Bezirkes. Band XLIV. Hg. vom Institut für österreichische Kunstforschung des Bundesdenkmalamtes. Wien: Schroll 1980, S. 511-512
- Wolfgang Maderthaner [et al.]: Hubert Gessner und das Vorwärts-Haus. Wien: Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung 2011 (Dokumentation 1-4/2011)
- Inge Podbrecky: Rotes Wien. Wien: Falter Verlag 2003, S. 24-26
- Dietmar Steiner: Architektur in Wien. 300 sehenswerte Bauten. Wien: Magistrat 1984, S. 129
- Kurt Stimmer [Hg.]: Die Arbeiter von Wien. Ein sozialdemokratischer Stadtführer. Wien [u. a.]: Jugend & Volk 1988, S. 132
- Berthold Unfried [et al.]: "Vorwärts". Das Haus an der Wienzeile. Wien: Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung 1995 (Dokumentation 4/95)
- Helmut Weihsmann, Das Rote Wien. Sozialdemokratische Architektur und Kommunalpolitik 1919-1934. Wien: Promedia 1985 (2001)
Weblinks
- VGA: Das Vorwärts-Haus und seine Geschichte
- Das Rote Wien. Weblexikon der Wiener Sozialdemokratie: Vorwärts
Einzelnachweise
- ↑ Friedrich Achleitner, Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert, S. 182