Wassermangel 1873-1910
Die Erste Hochquellenleitung war eine Lösung für den Wassermangel, der sich vor allem aus der Eingliederung der Vorstädte 1850 ergab. Nachdem die Hochquellenleitung 1873 eröffnet, gleichzeitig damit die aus dem Donaukanal in Spittelau gespeiste Kaiser-Ferdinands-Wasserleitung stillgelegt wurde, stellte sich schnell heraus, dass die Wasserversorgung nach wie vor knapp war: Pro Kopf und Tag standen der Bevölkerung Wiens lediglich 40 Liter Wasser zur Verfügung und selbst der intensive Ausbau der Leitung bis 1910 hob diesen Schnitt nur auf 56 Liter. Besonders im Winter ging das Liefervolumen auf bis zu einem Viertel der zuvor berechneten Menge zurück. Zweimal froren die Leitungen sogar ganz zu, was eine Reaktivierung der Kaiser-Ferdinands-Wasserleitung unumgänglich machte. Die kurzfristig von dieser Leitung versorgten Gebiete verzeichneten eine zehnmal höhere Typhusrate als jene, die mit Hochquellenwasser gespeist wurden.
Städtebauliche Entwicklungen
Zwei Entwicklungen beeinflussten den Wassermangel besonders stark. Die Erste hängt mit den durch Bevölkerungszuwachs bedingten Bautätigkeiten besonders der 1880er-Jahre zusammen. Die neu gebauten Häuser innerhalb des Linienwalls waren sämtlich an die Hochquellenleitung angeschlossen. Der Magistrat veranlasste jedoch auch die Hauseigentümer der schon bestehenden Häuser, jene an das Leitungsnetz anzuschließen. Ihre Häuser wurden noch von hauseigenen Brunnen versorgt. Eine Untersuchung dieser Brunnen in den 1870ern ergab, dass kein einziger Brunnen Trinkwasserqualität hatte und die Lebensdauer von Typhusbazillen durchwegs viel zu hoch war. Einige Brunnen wurden daraufhin sofort gesperrt, die sofortige Einleitung von Hochquellenwasser in alle Häuser wurde angeordnet.
Dadurch ergab sich eine viel bessere hygienische Situation, die Cholera- und Typhushäufigkeiten gingen schnell drastisch zurück. Allerdings ließ dieser Prozess den Wasserverbrauch in die Höhe schießen, den die Erste Hochquellenleitung bald nicht mehr zu decken vermochte. Der Wasserverbrauch hing dabei nicht nur mit der reinen Bevölkerungsanzahl zusammen. Eine Studie des „Ausschusses für die Wasserversorgung der Stadt Wien“[1] von 1895 zeigt, dass der tägliche Wasserverbrauch pro Kopf stark variiert. In Häusern, die nur über einen ebenerdigen Anschluss an die Wasserleitung verfügten, lag der Verbrauch bei etwa 12 Litern. Bewohner*innen von Häusern mit Wasseranschluss im Gang jedes Stockwerks konsumierten ca. 15-17 Liter, in Wohnungen mit eigenem Anschluss wurden pro Kopf sogar 20-25 Liter, in Ausnahmefällen über 200 Liter konsumiert.
Eingemeindung der Vororte
Die zweite Entwicklung ist die Eingemeindung der Vororte 1890; diese hob die Bevölkerungszahl Wiens sprunghaft von ca. 840.000 auf 1.360.000. Zu erwähnen ist auch die Erweiterung 1905, wo nochmals 60.000 Menschen dazukamen. In der Zeit verzeichnete noch dazu die Hochquellenleitung neue Tagesminima von unter 20.000 m³, was zu ernsthaften Versorgungsschwierigkeiten großer Teile der Bevölkerung führte. Das Schöpfwerk Pottschach, das geschaffen wurde, um bei akutem Mangel auszuhelfen, reichte ebenso wenig aus wie die Versuche, die Quellenanzahl der Hochquellenleitung zu erweitern. 1886 beschloss man aufgrund des Wassermangels sogar, Wasser von der Schwarza direkt in die schon bestehende Hochquellenleitung einzuleiten. Zwei Jahre später gab es in Wien einen Typhusausbruch und man machte dieses Arrangement dafür verantwortlich. Folglich wurde diese unfiltrierte Ableitung von Wasser verboten. Auch der (Aus-)Bau der vorhandenen Wasserbehälter konnte den Mangel nicht nachhaltig beheben.
Kurz vor der Fertigstellung der Zweiten Hochquellenleitung, in den Wintermonaten 1908 und 1909, wurde die Versorgungssituation ein letztes Mal kritisch. Nach langen Verhandlungen wurde einmalig eine Notstandseinleitung von 20.000 m³/Tag in die Erste Hochquellenleitung genehmigt. Da das jedoch nicht ausreichte, mussten Wassersparmaßnahmen in Wien ergriffen werden: Volksbäder wurden geschlossen, der Wasseranschluss vieler Stockwerksleitungen gesperrt und die Bevölkerung eindringlich zur Sparsamkeit ermahnt. Die Gemeinde Mödling erklärte sich zudem bereit, Überschüsse aus dem Schöpfwerk Moosbrunn an Wien abzutreten.
Mit der Eröffnung der Zweiten Hochquellenleitung am 2. Dezember 1910 war das Problem des Wassermangels endgültig gelöst. Einzelne spätere Ausbauten der Leitungen waren Vorsichtsmaßnamen, die nicht auf einen Wassermangel, sondern auf die zukünftige Versorgungssicherheit abzielten.
Quellen
Literatur
- Stadt Wien – Wiener Wasser [Hg.], Wiener Wasser 2050. Strategie für die Zukunft. Wien 2022
- Ruth Koblizek, Nicole Süssenbek, Die Trinkwasserversorgung der Stadt Wien von ihren Anfängen bis in die Gegenwart, Dissertation an der Universität Wien 2000.
- Alfred Drenning: Die I. Wiener Hochquellenwasserleitung. Festschrift, Wien: Compress-Verl. 1988.
Einzelnachweise
- ↑ Bericht des Ausschusses für die Wasserversorgung Wiens https://books.google.at/books?id=QmZFAQAAIAAJ&printsec=frontcover&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=onepage&q&f=false