Wiener Neustädter Blutgericht
Wiener Neustädter Blutgericht. Nach dem Tod Maximilians I. erhoben sich gegen das von ihm eingesetzte "Regiment der niederösterreichischen Lande" (Niederösterreichische Landesregierung) die Landstände von Österreich unter und ob der Enns, Steiermark, Kärnten und Krain. Das Regiment wurde aus Wien verjagt, Ausschüsse der Landstände übernahmen provisorisch (bis zur Regierungsübernahme Karls V. und Ferdinands I., die damals im Ausland weilten) die politische Macht.
Eine aus diesen Ausschüssen gebildete Abordnung weilte von 6. November bis 16. Dezember 1519 in Barcelona bei König Karl V. und suchte die Anerkennung des Provisoriums und die Zusage auf Bildung einer neuen Regierung der niederösterreichischen Lande zu erwirken.
Es kam zu einer Übergangslösung; das alte "Regiment" wurde stillschweigend fallengelassen, ein schon am 27. Juli 1519 mit der Vertretung Karls und Ferdinands im gesamten Reich betrautes "oberstes Regiment" nahm im Jänner/Februar 1520 die Treuegelöbnisse Kärntens, Steiermarks und Österreichs ob der Enns, im Juli 1520 jene Österreichs unter der Enns und Krains entgegen, die provisorischen ständigen Ausschüsse wurden im September/Oktober aufgelöst. Im April 1521 wurde Ferdinand von Karl mit der Regentschaft in den niederösterreichischen Ländern betraut; im Juni setzte er dort eine neue Regierung ein, die "Hofrat" hieß und nicht in Wien, sondern in Graz ihren Sitz hatte.
Schwierigkeiten machten nur mehr die Stände Österreichs unter der Enns; sie verlangten von Ferdinand eine gerichtliche Untersuchung der Verfehlungen des alten Regiments, dessen Vertreibung aus ihrer Sicht berechtigt gewesen sei, und urgierten dies wiederholt. Ferdinand griff hart durch. Der Prozess fand von 10. bis 16. Juli 1522 in Wiener Neustadt unter Ferdinands Vorsitz mit landfremden Beisitzern statt, die Anklage gegen die Aufrührer von 1519 vertrat Dr. Johann Schneitpeck, die Verteidigung übernahm Dr. Viktor Gamp.
Das am 23. Juli gefällte Urteil ging auf die Frage, ob das alte Regiment Verfehlungen begangen hätte, nicht ein und stellte lediglich fest, dass die Erhebung von 1519, unbeschadet ihrer Motive, rechtswidrig gewesen sei; ihre Wortführer hätten sich des Aufruhrs und der Aneignung landesfürstlichen Guts (das heißt der unerlaubten Verwaltung von Landeseinkünften während des Provisoriums 1519/1520) schuldig gemacht.
Am 9. August 1522 wurden die Freiherren Hans von Puchheim und Michael Eitzing (Mitglied des unterennsischen Ständeausschusses), am 11. August 1522 Dr. Martin Siebenbürger, Friedrich Piesch, Hans Rinner, Stefan Schlagindweit, Hans Schwarz und Martin Flaschner (alle Wiener Bürger, die teils dem revolutionären Bürgerausschuss von 1519, teils dem ständigen Ausschuss angehört hatten) enthauptet; der Standort des Schaffotts ist noch heute durch besondere Pflasterung auf dem Hauptplatz von Wiener Neustadt markiert. Sigmund Stainern, Michel Lungl, Wolfgang Schmidinger und Kaspar Reuter (alle Wiener Bürger) erhielten hohe Geldstrafen.
Am 7. August 1522 wurde das Gremium der Hausgenossen, am 16. August 1522 das Kollegium der Genannten aufgelöst. Am 18. Dezember 1522 ordnete Erzherzog Ferdinand an, dass der Rat (der jedes Jahr neu zu wählen war) bis auf weiteres im Amt bleiben solle. Am 12. März 1526 wurde eine neue Stadtordnung erlassen, welche die Handwerker, die an Kopfzahl die Mehrheit des Bürgertums bildeten und revolutionärer Agitation stets zugänglich gewesen waren, von der Wahl in den inneren Rat ausschloss.
Literatur
- Viktor Kraus: Zur Geschichte Österreichs unter Ferdinand I. 1519-1522. Wien: Hölder 1873
- Hans Lahoda: Der Ständekampf in den österreichischen Erblanden nach dem Tod Maximilians I. bis zu seiner Beendigung im Blutgericht von Wiener Neustadt. Diss. Univ. Wien. Wien 1949
- Alexander Novotny: Ein Ringen um ständige Autonomie zur Zeit des erstarkenden Absolutismus 1519-1522. In: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 71 (1963), S. 354 ff.
- Alphons Lhotsky: Das Zeitalter des Hauses Österreich - die ersten Jahre der Regierung Ferdinands I.. In: Veröffentlichungen der Kommission für Geschichte Österreichs. Band 4, Wien / Köln / Graz 1971
- Richard Perger: Der Wiener Rat von 1519 bis 1526. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 35 (1979), S. 135 ff.
- Richard Perger: Die Wiener Bürgermeister Lienhard Lackner, Friedrich von Pieschen, Dr. Martin Siebenbürger und andere Mitglieder der "Wiener Handelsgesellschaft". In: Richard Perger / Walter Hetzer: Wiener Bürgermeister der frühen Neuzeit. Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 1981 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 9), S. 3 ff.
- Richard Perger [Hg.]: Wolfgang Kirchhofer - Erinnerungen eines Wiener Bürgermeisters 1519-1522. Wien: Verlag für Geschichte und Politik 1984
- Günther R. Burkert: Landesfürst und Stände. Graz: Historische Landeskommission für Steiermark 1987 (Forschungen und Darstellungen zur Geschichte des steiermärkischen Landtages, 1)