Billy Wilder
Billy Wilder, * 22. Juni 1906 Sucha (Galizien), † 27. März 2002 Los Angeles (abweichend: Beverly Hills, Californien), Regisseur, Drehbuchautor, Journalist.
Biografie
Billy Wilder (eigentlich: Samuel Wilder) wurde am 22.Juni 1906 in Sucha (Galizien) als Sohn des Gastwirts Max (eigentlich: Hersch Mendel) Wilder, der entlang der Bahnstrecke Wien – Lemberg einige Bahnhofsrestaurants betrieb, geboren. Die Mutter Eugenia war als junges Mädchen in Amerika gewesen und von der dortigen Kultur so begeistert, dass sie ihre beiden Söhne Samuel und den um zwei Jahre älteren Wilhelm "Billie" und "Willie" rief. In Amerika änderte er später die Schreibung seines Vornamens in Billy. Ab 1909 lebte die Familie in Krakau, wo Max Wilder das "Hotel City" eröffnet hatte. Während Max Wilder seinen Kriegsdienst leisten musste, konnten Billie Wilder mit seiner Mutter und seinem Bruder 1916 aus dem umkämpften Galizien nach Wien fliehen. Nach dem Krieg kam auch Max Wilder nach Wien und war hier als Kaufmann tätig. 1924 maturierte Billie Wilder im Privatgymnasium Juranek in der Buchfeldgasse. Bereits in der Schule lernte er seinen späteren Kollegen Fred Zinnemann kennnen. Das gegenüberliegende Stundenhotel soll Wilder später beim Dreh zu "Das Mädchen Irma la Douce" inspiriert haben.
Billy Wilder als Journalist und ein Presseskandal
Entgegen dem Wunsch seines Vaters, der ihn gerne als Rechtsanwalt gesehen hätte,wurde Billie Wilder nach der Matura Reporter für die Mittagszeitung "Die Stunde", ein Blatt, das Karl Kraus als "Zeitung, die in ihrem geistigen Inhalt nichts als ... die Umsetzung des Lausbubenwitzes in öffentliche Meinung" sei, bezeichnete. Daneben schrieb er auch für "Die Bühne".
Seine Tätigkeit für das Revolverblatt "Die Stunde" dauerte nur eineinhalb Jahre und zählte zwar nicht zu wichtigsten Meilensteinen seiner Karriere, war aber gezeichnet durch den Konflikt Karl Kraus gegen Imre Bekessy, den Chefredakteur und Herausgeber der Stunde, in den Wilder involviert war. Im März 1925 begann Kraus' Kampf gegen Bekessy in der Fackel und wurde mit Artikeln in der Arbeiter-Zeitung durch den Chefredakteur Friedrich Austerlitz unterstützt. Es ging um Korruption, Bestechung und illegale Anzeigengeschäfte, die durch Erpressung angebahnt wurden. Der Stunde-Redakteur Ernst Spitz trug wesentlich zur Enthüllung bei, indem er mit Behauptungen an die Öffentlichkeit getreten war, die Stunde wäre korrupt und er entlassen worden, weil der 19-jährige Redaktionssekretär Wilder, damals noch Samuel Wild, ihn denunziert hätte. Als Spitz sich damit auf die Seite von Kraus stellte, geriet auch Wilder zwischen die Fronten in einem der größten Presseskandale der Zwischenkriegszeit.
Spitz sprach von Erpressung von Kaffeehausbesitzern, indem die Andruckfahnen kompromittierender Artikel verwendet wurden, um als Gegenleistung Schweigegeld oder Inserate zu erzwingen. Ein Vorgehen, in das auch Wilder involviert war, indem er die Notiz verfasste, die dann ohne gesetzlich geforderte Kennzeichnung innerhalb des redaktionellen Textes erschien und der dafür entlohnt wurde. Spitz hatte sich mit Wilder lediglich über die Vorgänge unterhalten, wobei Wilder selbst ihm davon berichtet hätte, als Wilder Bekessy gegenüber zu Protokoll gab, Spitz hätte sich negativ über das Verhältnis zwischen Administration und Redaktion der Stunde geäußert. Spitz wurde in weiterer Folge zu einem Hauptzeugen im Prozess, in dem er Wilder der Mitwissenschaft und Teilhabe beschuldigte. Letztendlich gewann Spitz den Prozess gegen Bekessy, Wilder war zu dieser Zeit bereits in Berlin. Wilder berichtete später, dass ihm damals gewusst gewesen war, wie skrupellos Bekessy gewesen war und dass er seine Praktiken zwar abgelehnt hätte, sich nichtsdestotrotz gezwungen sah, sein finanzielles Auskommen zu sichern. Karl Kraus' satirischen Journalismus hätte er zudem stets bewundert.
1926 übersiedelte Wilder nach Berlin, wo er sich mit den verschiedensten Jobs durchschlug, unter anderem als Reporter für den Berliner "Börsen-Courier“, wo seine Glossen für ihren Wortwitz geschätzt wurden, aber auch als Eintänzer im "Eden-Hotel". Hier lernte er unter anderen Egon Erwin Kisch und Erich Maria Remarque kennen. Erfahrungen in der Pressebranche konnte er im Film "The Front Page" einbringen.
In Berlin begann Wilder auch als Drehbuchautor zu arbeiten; sein Debüt feierte er mit dem Stummfilm "Der Teufelsreporter" (1929). Im gleichen Jahr verfasste er das Drehbuch für den Filmessay "Menschen am Sonntag“ (1930) - ein gesellschaftskritischer Streifen, der sich mit dem Los des "kleinen Mannes" beschäftigte. So schaffte er den Zugang zur Ufa und war in den folgenden Jahren für eine Reihe von Filmen als Allein- oder Co-Autor der Drehbücher verantwortlich. Dazu zählen unter anderem Unterhaltungsfilme wie "Der falsche Ehemann" (1931) und "Es war einmal ein Walzer" (1932), aber auch die Groteske "Der Mann, der seinen Mörder suchte" (1931), die Adaption des Kinderromans von Erich Kästners "Emil und die Detektive" (1931) und die eskapistische Komödie "Ein blonder Traum" (1932).
Emigration in die USA
Im Februar 1933 verließ Wilder Berlin und emigrierte über Paris, wo er mit dem Gangsterfilm "Mauvaise graine" (1934) als Regisseur debütierte, nach Hollywood. Dort arbeitete er zunächst mehrere Jahre mit dem Schriftsteller Charles Brackett als Szenarist zusammen, besonders unter der Regie von Ernst Lubitsch. In jene Zeit fallen Erfolgsfilme wie "Midnight" (1939), "Ninotchka" (1939), "Arise my love“ (1940) oder "Ball of fire" (1942).
Im gleichen Jahr begann Wilder, seine Drehbücher selbst zu inszenieren, beginnend mit dem Schwarzweiß-Streifen "The Major and the Minor“ (1942). Ihm folgten nicht weniger als 24 eigene Filme. Die Drehbücher verfasste er gemeinsam mit Co-Autoren, die meisten gemeinsam mit Charles Brackett oder I.A.L. Diamond. Billy Wilder gilt als einer der vielseitigsten Regisseure Hollywoods, der Kriminalfilme ("Witness for the Prosecution", 1958), Romanzen ("Sabrina", 1954), scharfe Sozialkritiken ("Ace in the Hole“, 1951), Charakterstudien ("The Private Life of Sherlock Holmes", 1970), aber auch Komödien ("Irma La Douce", 1963) drehte.
Während des Zweiten Weltkriegs war der Regisseur zeitweise in der Abteilung für psychologische Kriegsführung tätig. 1943 drehte er die im Zweiten Weltkrieg während des Afrikafeldzuges spielende Spionagegeschichte "Five Graves to Cairo". Dieser Film war die einzige Beteiligung Wilders an antinationalsozialistischer Propaganda. Ansonsten blieb er zu den Vorgängen in Deutschland stumm, obwohl während des NS-Regimes ein großer Teil seiner Familie verfolgt und schließlich in Auschwitz ermordet wurde.
Nach Kriegsende wurde er vom "Office of War Information" mit dem Auftrag nach Deutschland geschickt, ein Programm für den Wiederaufbau des deutschen Films zu erstellen.
Sechs Oscars und 22 Oscar-Nominierungen zeugen von der herausragenden Bedeutung Wilders für den amerikanischen Film. Oscars erhielt Wilder für das Alkoholdrama "The lost Weekend" (1946. Beste Regie, bestes Drehbuch), das Drama "Sunset Boulevard" (1950: Beste Regie) und "The Apartment" (1960: Beste Regie, bester Film, bestes Originaldrehbuch).
1981 drehte Billy Wilder seinen letzten Kinofilm "Buddy Buddy" mit Walter Matthau und Jack Lemmon in den Hauptrollen. Danach arbeitete Billy Wilder nur noch als Berater in Hollywood. Eigene Filmprojekte kamen über das Planungsstadium nicht hinaus.
Obwohl Wilder zu Auszeichnungen selbst ein zwiespältiges Verhältnis hat, wurde er mit einer Fülle von Ehrungen bedacht. Im September 2000 beschloss der Wiener Gemeinderat, Billy Wilder die Ehrenbürgerschaft zu verleihen. Diese höchste Auszeichnung, die Wien zu vergeben hat, wurde ihm im November 2000 von Kulturstadtrat Marboe in Kalifornien überreicht.
Die Stadt seiner Jugend besuchte Wilder nach seiner Emigration nur zweimal: 1958 kam er zur Promotion seines Gerichtssaal-Films "Witness for the Prosecution" nach Wien. Bei seinem privaten Besuch 1994 wurde Billy Wilder gleich einem Staatsgast von Bundeskanzler Vranitzky empfangen. Bürgermeister Zilk überreichte ihm bei dieser Gelegenheit sämtliche Wiener Meldezettel der Familie. Der letzte stammte aus dem Jahr 1935 und trug den Vermerk "Abgemeldet nach Hollywood". Ebenfalls 1994 wurde am Haus Fleischmarkt 7, in dem Billy Wilder einen Teil seiner Jugend verbracht hatte, eine Erinnerungstafel enthüllt.
Am 27. März 2002 starb Billy Wilder an den Folgen einer Lungenentzündung in Beverly Hills.
Seit 2008 erinnert die Billy-Wilder-Straße und seit 2021 die Billy-Wilder-Promenade an den Regisseur.
Quellen
Literatur
- Noah Isenberg [Hrsg.]: Billy Wilder on Assignment. Princeton: Princeton University Press 2021
- Jens Malte Fischer: Karl Kraus. Der Widersprecher. Wien: Paul Zsolnay Verlag 2020
- Rolf Aurich / Andreas Hutter / Wolfgang Jacobsen / Günter Krenn [Hrsg.]: "Billie". Billy Wilders jouranlistische Arbeiten. Wien: Verlag Filmarchiv Austria 2016
- Gerd Gemünden: Filmemacher mit Akzent. Billy Wilder in Hollywood. Wien: Synema 2006
- Michael Hanisch: Billy Wilder (1906-2002). Von Galizien nach Beverly Hills. Teetz: Heinrich & Heinrich 2004 (= Jüdische Miniaturen, Band 18)
- Glenn Hopp: Billy Wilder. Filme mit Esprit 1906 – 2002. Köln [u. a.]: Taschen 2003
- Charlotte Chandler:Nobody's Perfect. Billy Wilder. A Personal Biography. New York [u. a.]: Simon & Schuster 2002
- Cameron Crowe: Conversations with Wilder. London: Faber & Faber 1999
- Andreas Hutter / Klaus Klamoz: Billie wilder. Eine europäische Karriere. Wien [u. a.]: Böhlau 1998
Billy Wilder im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.