Charlotte Reichert
Charlotte Reichert, * 6. Juni 1913, † 19. Juli 1999 Wien, Schauspielerin, Tänzerin.
Biografie
Charlotte Reichert war vermutlich die Tochter des Stofffabrikanten Franz Reichert (1880–1930) und dessen Ehefrau Helene Reichert, geborene Mayer (1889–1918). Sie ist, nach ihrem Bruder Franz Reichert (1908–1998), das zweite Kind des Paares. Ihr Bruder Otto Reichert (1918–1935) wird fünf Jahre nach ihr geboren.
Charlotte Reichert besuchte 1929 im (1912 gegründeten) Frauenbildungsverein Döbling den Ballettunterricht. Für eine dortige Aufführung des Stücks "Die Prinzessin und der Schweinehirt" wurde ihr Talent lobend in der Presse erwähnt. Sie besuchte das 1928 gegründete Max Reinhardt Seminar und wurde direkt von dort aus für die Sommerspielzeit 1931 an das Stadttheater Karlsbad verpflichtet. Im Herbst des gleichen Jahres hatte sie ihre ersten Auftritte im Raimundtheater in Wien. Sie spielte verschiedene Nebenrollen in dem Märchenspiel "Der gestiefelte Kater", dem Schwank "Familie Schmief" und der Posse "Er und seine Schwester".
1932 trat Charlotte Reichert an diversen Häusern auf. Im Jänner stand sie in einer Nebenrolle für das Schauspiel "Gestern und heute" erstmalig im Deutschen Volkstheater auf der Bühne, wo sie im selben Monat auch im Lustspiel "Das schwedische Zündholz" spielte. Fortan trat sie in diversen Stücken in beiden Theatern auf. So war sie beispielsweise im März in "Die Rettung des Ferch Vistora" im Raimundtheater zu sehen, im April im Deutschen Volkstheater in "Die Gleitenden" und "Balthazar". In dem Schwank "Die vertagte Nacht" bespielte sie im April zum ersten Mal die Kammerspiele der Josefstadt. Im Sommer folgen weitere Engagements für das Volkstheater in dem Schauspiel "Liliom" sowie dem Raimundtheater in der Posse "Morgen geht’s uns gut".
1933 führten sie mehrere Gastspiele nach Graz, dazwischen und danach war sie am Volkstheater im Lustspiel "Geld ist nicht alles" zu sehen. Mitte September war sie Teil des Premierenabends des neu (wieder-)eröffneten Scala Theaters. Gezeigt wurde die Komödie "Eine Frau, die weiß was sie will". Im November spielte sie dort die Maria in Shakespeares "Was ihr wollt".
Da ihre Eltern bereits verstorben und ihr Bruder in Deutschland arbeitete, wohnte sie von 1932 bis 1934 bei ihrem Onkel Alfred Reichert (1870-unbekannt) und ihrer Cousine der Cellistin Beatrice Reichert (1903–1972) in der Canovagasse 7 im 1. Bezirk.
Am 4. Jänner 1934 war Charlotte Reichert Teil eines Abendprogramms der "Arbeitsgemeinschaft junger Schauspieler und Kabarettisten" im Café City. Viele der Auftretenden, so auch Reichert, waren später Teil der kurzen Bestehenszeit des Kabarett ABC. Es folgen Engagements im Scala Theater für den Opernschwank "Ein Kuß sonst gar nichts" und im Volkstheater für eine Wiederauflage von "Familie Schmief", in der sie die gleiche Nebenrolle spielte wie in der Inszenierung zuvor am Raimundtheater. Darüber hinaus verkörperte sie zwei Nebenrollen in den Stücken "Das Spiel von den zehn Jungfrauen" und "Das Wächterspiel", die jeweils zusammen an einem Abend gespielt wurden. Nach dem Ende des Kabarett ABC probte Charlotte Reichert ab Mai für die Eröffnung eines Nachfolge-Kabaretts – das KIK (Kleinkunst im Kasinotheater) wurde am 1. Juni 1934 eröffnet. Ab Oktober wurde sie außerdem Teil des Kabaretts der liebe Augustin von Stella Kadmon (1902–1989). Hier wirkte sie bis Mai 1935 bei den Programmen "Witzfigurenkabinett", "Zick Zack", "Öffentliche Geheimnisse" und "Rosa Brille" mit, in denen sie auch Hauptrollen verkörpert. Daneben spielte am Deutschen Volkstheater eine Nebenrolle in dem Schauspiel "Das unbekannte Mädchen" sowie im Sommer ein Gastspiel bei einem Kleinkunstsegment der Salzburger Festspiele mit dem Titel "Welttheater für jedermann".
Sie kehrte noch einmal zu Kadmons Der liebe Augustin zurück. Charlotte Reichert war Teil des Ensembles für das Programm "Eine kleine Herbstmusik" von September bis Dezember 1935. Am 18. Dezember hatte sie einen Auftritt bei der Premiere des musikalischen Schwanks "Frauen haben das gern" in den Kammerspielen in der Josefstadt.
Nach diesem Auftritt lässt sich keine Rolle mehr von Charlotte Reichert anhand von Zeitungsartikeln oder Theaterzetteln rekonstruieren. Während der Jahre 1935 und 1936 lebte sie in der Waaggasse 15 im 4. Bezirk. Nach 1936 verschwindet ihr Name auch aus dem Adressbuch Lehmann. Über die Zeit bis zu ihrem Tod 1999 ist nichts bekannt. Sie ist im Familiengrab auf dem Hietzinger Friedhof bestattet.
Quellen
- ancestry.com: Rekonstruktion der familiären Beziehungen
- Wienbibliothek Digital: Adolph Lehmann's allgemeiner Wohnungs-Anzeiger
- Wienbibliothek Digital: Adolph Lehmann's allgemeiner Wohnungs-Anzeiger. Wien 1935
- ANNO: Reichspost vom 2. März 1929
- ANNO: Neues Wiener Journal vom 15. April 1931
- ANNO: Grazer Volksblatt vom 18. Mai 1933
- ANNO: Profil. Österreichische Monatsschrift für bildende Kunst Ausgabe 8 von 1934
- ANNO: Wiener Allgemeine Zeitung vom 4. Jänner 1934
- ANNO: Moderne Welt Heft Nr. 5 von 1935
Literatur
- Birgit Peter: Gewitzt - Stella Kadmons Kabarett Der Liebe Augustin. Ein Beitrag zur Wiener Unterhaltungskultur der dreißiger Jahre. Diplomarbeit. Universität Wien. Wien 1996
- Regina Thumser: "Ernst ist das Leben, heiter die Kunst" - Kabarett im Österreich der Zwischenkriegszeit. In: zeitgeschichte 2000, S. 386–396
- Wiener Friedhöfe, Verstorbenensuche: Reichert, Charlotte