Freie Gewerkschaften
Freie Gewerkschaften, sozialdemokratisch orientierte Gewerkschaftsorganisation in Cisleithanien und der Republik Österreich (bis 1934).
Gründung
Neben einer großen Anzahl von jeweils selbstständigen kleinen Gewerkschaftsvereinen existierten nach dem sozialdemokratischen Parteitag in Hainfeld 1888/89 auch bereits 10 gewerkschaftliche Zentralvereine. Im Jahr 1892 schlossen sich knapp 200 sozialdemokratische Fachvereine zu einer „Provisorischen Kommission der Gewerkschaften Österreichs“ zusammen. Vor diesem Hintergrund fand im Dezember 1893 in Wien der erste Gewerkschaftskongress statt. Die teilnehmenden Vereine repräsentierten etwa 50.000 Mitglieder und richteten eine Gewerkschaftskommission ein, die als Koordinierungsorgan den weiteren Konzentrationsprozess der Gewerkschaftsbewegung vorantreiben sollte. Durch die zu diesem Zeitpunkt zersplitterte Bewegung mangelte es an organisatorischer und politischer Durchschlagskraft, was sich etwa in fehlendem finanziellem Rückhalt (leere Streikkassen) bei den zahlreichen kleineren und größeren Streiks manifestieren sollte.
Entwicklung von 1895 bis 1918
Ab Ende des 19. Jahrhunderts ist ein stetiger Anstieg der Mitgliederzahl der Freien Gewerkschaften zu konstatieren: Waren 1895 knapp 89.000 Mitglieder in ihnen organisiert, so wuchs deren Zahl bis 1906 auf 500.000 Personen an. Im Jahr 1896 erschien auch erstmals das Fachorgan „Die Gewerkschaft“. Ab 1900 organisierten die Freien Gewerkschaften zur Durchsetzung ihrer Forderung nach Arbeitszeitverkürzung mehrere große Streiks, auch schlossen sie – vorerst noch ohne gesetzliche Basis – bereits erste Kollektivverträge ab. Der während des Ersten Weltkriegs verhängte Ausnahmezustand schränkte den Aktionsradius der Freien Gewerkschaften beträchtlich ein.
Erste Republik
Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Zusammenbruch der Habsburger-Monarchie erlebte die Gewerkschaftsbewegung einen starken Auftrieb. Im Jahr 1921 konnten die Freien Gewerkschaften über 1 Mio. Mitglieder verzeichnen. Große Erfolge wurden in den Anfangsjahren der Republik Österreich verzeichnet (Arbeitszeitbegrenzung, Sozialversicherung, Einführung von Betriebsräten und Arbeiterschutz).
In organisatorischer Hinsicht stellt die am zehnten Gewerkschaftskongress 1928 beschlossene Zusammenfassung aller sozialdemokratisch orientierten Gewerkschaften eine entscheidende Weichenstellung dar. Dieser neu gegründete „Bund freier Gewerkschaften in Österreich“ war nach Industriegruppen gegliedert und umfasste 38 Gewerkschaften und 7 Gewerkschaftsvereine mit über 650.000 Mitgliedern. Seinen Sitz hatte der Bund im 1. Wiener Gemeindebezirk (Ebendorferstraße 7), erster Vorsitzender war Anton Hueber.
Als „Gegengründung“ zu den Freien Gewerkschaften fungierten in dieser Zeit die 1928 in Leoben konstituierten „unabhängigen“ oder „gelben“ Gewerkschaften, die politisch der Heimwehrbewegung nahestanden und aufgrund ihres Verzichts auf Kampfmaßnahmen wie Streiks von österreichischen Großunternehmen wie der „Oesterreichischen-Alpinen Montangesellschaft“ unterstützt wurden. Daneben existierten noch die christlichen Gewerkschaften, die ihren Mitgliederstand bis 1932 auf knapp 130.000 Personen steigern konnte. Kleinere Gewerkschaftsorganisationen unterhielten die Deutschnationalen, die Kommunistische Partei Österreichs („Rote Gewerkschafts-Opposition“) sowie die Nationalsozialisten (nationalsozialistische Betriebszellenorganisationen).
Die Jahre 1934 bis 1945
Als Folge des österreichischen Bürgerkriegs 1934 (Februarkämpfe) wurden die Freien Gewerkschaften vom austrofaschistischen Regime aufgelöst und verboten. An ihre Stelle trat der von der Regierung geschaffene „Gewerkschaftsbund der österreichischen Arbeiter und Angestellten" als öffentlich-rechtliche Einrichtung. Diese neue, autoritär geführte Einheitsgewerkschaft erhielt das gesamte konfiszierte Vermögen der Freien Gewerkschaften und zählte Ende des Jahres 1936 368.000 Mitglieder. Aktivisten der Freien Gewerkschaften setzten in diesen Jahren ihre Tätigkeit in der Illegalität fort. So bildete sich im Feber 1934 in Hernals eine illegale Gewerkschaftsführung, das „Siebenerkomitee“; im slowakischen Bratislava entstand eine weitere illegale Zentrale, die „Wiederaufbaukommission“.
Eine nochmalige Verschärfung erfuhr die Situation mit dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Österreich im März 1938. Der austrofaschistische „Gewerkschaftsbund“ wurde aufgelöst, seine Mitglieder der „Deutschen Arbeitsfront“ eingegliedert. Die gemeinsamen Erfahrungen während der Zeit des Nationalsozialismus schufen ein neues Klima der Begegnung zwischen sozialdemokratischen und konservativen Gewerkschaftern und legten damit den Grundstein für die Schaffung einer einheitlichen demokratischen Gewerkschaftsorganisation nach dem Zweiten Weltkrieg.
Restitution
Nach Kriegsende wurde das beschlagnahmte Vermögen der Freien Gewerkschaften an die Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter im Rahmen des neuen Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) zurückgestellt.
Literatur
- Dietmar Bruckmayr, Österreichs Freie Gewerkschaften im Widerstand. Illegale Aktivitäten zwischen 1934 und 1945. Wien: Dipl.-Arbeit 1992
- Anneliese Frank: Die wirtschaftspolitischen Leitvorstellungen der freien Gewerkschaften in der Zwischenkriegszeit. Wien: Dipl.-Arbeit 1985
- Walter Göhring: Die Gelben Gewerkschaften Österreichs in der Zwischenkriegszeit. 2., unveränd. Auflage. Wien: ÖGB-Verlag 1998
- Willy Krula: Die Geschichte der österreichischen Gewerkschaftsbewegung von den Anfängen bis 1945. Stand: September 2002. URL: http://www.gdg-kmsfb-fsg.at/younion/geschichte/bis1945.pdf (05.10.2016)
- Otto Leichter: Österreichs Freie Gewerkschaften im Untergrund. Wien [u.a.]: Europa Verlag 1963
- Carina Lukasser: Frauen in den freien Gewerkschaften Österreichs. Ihre Stellung und Bedeutung von 1918 bis 1932. Wien: Dipl.-Arbeit 2002
- Ulrike Weber: Wirtschaftspolitische Strategien der Freien Gewerkschaften in der Ersten Republik. Wien: Univ. Diss. 1986
- Ulrike Weber-Felber: Wege aus der Krise: Freie Gewerkschaften und Wirtschaftspolitik in der Ersten Republik. Wien [u.a.] Europa Verlag 1990