Hofkanzlei
Ursprünglich Behörde zur Besorgung des Schriftverkehrs des von Maximilian I. 1497/1498 geschaffenen und von Ferdinand I. 1527 erneuerten Hofrats, der obersten Verwaltungs- und Justizbehörde für das Heilige Römische Reich und die habsburgischen Territorien; ab 1559 sind die Bezeichnungen "Reichshofrat" und "Reichs(hof)kanzlei" üblich. Als Reichskanzler fungierte formell der jeweilige Erzbischof von Mainz (einer der sieben Kurfürsten), tatsächlich wurden die Agenden der Reichskanzlei jedoch von einem Reichsvizekanzler geleitet. Für die Angelegenheiten der habsburgischen Territorien war eine eigene Abteilung der Reichskanzlei unter einem Österreichischen Hofkanzler zuständig. Sie wurde 1620 als "Österreichische Hofkanzlei" von der Reichskanzlei unabhängig, übernahm zwischen 1637 und 1679 zahlreiche Kompetenzen von Reichshofrat und Reichskanzlei und entwickelte sich zur obersten Verwaltungs- und Justizbehörde (Recht der Beschlussfassung ab 1654), wogegen der Einfluss der Reichskanzlei immer mehr abnahm. Die Österreichische Hofkanzlei fungierte als vorbereitendes Organ für den ab 1526 nachweisbaren Geheimen Rat.
Böhmische Hofkanzlei: Die 1527 eingerichtete Böhmische Hofkanzlei unterstand formell dem obersten Kanzler des Königreichs Böhmen (durchwegs ein Mitglied des böhmischen Hochadels); faktisch wurde sie von einem böhmischen Hofkanzler geleitet, der der (Österreichischen) Hofkanzlei nachgeordnet war; 1620 wurde der Sitz der Böhmischen Hofkanzlei ständig nach Wien verlegt.
Unter Maria Theresia kam es zu verschiedenen Änderungen. 1742 wurden die auswärtigen Angelegenheiten und jene des Herrscherhauses der Österreichischen Hofkanzlei entzogen und einer neugeschaffenen Staatskanzlei übertragen. Die Österreichische Hofkanzlei war fortan nur mehr für die Innenpolitik zuständig, ging 1749 gemeinsam mit der Böhmischen Hofkanzlei im neugeschaffenen Directorium in publicis et cameralibus auf, das Justizwesen wurde im selben Jahr der Obersten Justizstelle übertragen. Nach der Auflösung des Directoriums entstand 1760 die Vereinigte Österreichisch-Böhmische Hofkanzlei.
Ungarische Hofkanzlei: Ebenfalls 1527 war eine ungarische Hofkanzlei eingerichtet worden. Ihr oberster Leiter war unter dem Titel eines ungarischen Großkanzlers der jeweilige Erzbischof von Gran (Esztergom), faktisch besorgte die Geschäfte der ungarische Hofkanzler. Ab 1696 gab es auch eine Siebenbürgische Hofkanzlei.
Joseph II. vereinte 1782 die Österreichisch-Böhmisch Hofkanzlei mit der bis dahin getrennt bestehenden Hofkammer zur "Vereinigten Hofstelle" und legte die Ungarische und die Siebenbürgische Hofkanzlei zusammen. 1797 schied das Finanzwesen aus der Österreichisch-Böhmischen Hofkanzlei aus, dafür wurde die Justiz einbezogen. 1802 schuf man die Vereinigte Hofkanzlei zur obersten Verwaltung der Österreichischen und böhmischen Länder. Für Finanzen und Justiz wurden wieder besondere Zentralstellen eingerichtet. 1848 traten an die Stelle aller dieser Behörden die Ministerien.
Österreichische Hofkanzler
1527-1742; bis 1620 der Reichskanzlei unterstellt, bis 1742 auch für die Außenpolitik zuständig:
- 1527 Leonhard Freiherr von Harrach
- 1528-1539 Bernhard von Cles, Bischof von Trient, Kardinal
- 1539-1544 Dr. Georg Gienger
- 1544-1558 Dr. Jakob Jonas
- 1558-1563 Dr. Georg Sigmund Seid (1551-1563 auch Reichsvizekanzler)
- 1563-1577 Dr. Johann Baptist Weber (zugleich Reichsvizekanzler)
- 1577-1587 Dr. Sigmund Viehäuser (zugleich Reichsvizekanzler)
- 1587-1594 Dr. Jakob Kurz von Senftenau (zugleich Reichsvizekanzler)
- 1594-1597 Johann Wolf Freymann von Oberhausen (zugleich Reichsvizekanzler)
- 1597-1606 Dr. Rudolf Coradutz (zugleich Reichsvizekanzler)
- 1606-1612 Leopold Freiherr von Stralendorf (ab 1607 auch Reichsvizekanzler)
- 1612-1620 Hans Ludwig von Ulm (bis 1627 Reichsvizekanzler)
- 1620-1637 Johann Baptist Verda (1623 Freiherr, 1630 Graf) von Verdenberg
- 1637-1656 Johann Matthias Pricklmayer (ab 1647 Freiherr von Goldegg)
- 1656-1665 Hans Joachim Graf Sinzendorf
- 1667-1683 Johann Paul Hocher Freiherr von Hohengran
- 1683-1693 Theodor Althet Freiherr (1685 Graf) von Strattmann
- 1694-1705 Julius Friedrich Graf Bucellini
- 1705-1715 Johann Friedrich Freiherr (1713 Graf) von Seilern
- 1715-1742 Philipp Ludwig Graf Sinzendorf
Siehe auch: Hofrat
Literatur
- Gerlinde Sanford: Wörterbuch von Berufsbezeichnungen aus dem siebzehnten Jahrhundert. Gesammelt aus den Wiener Totenprotokollen der Jahre 1648-1668 und einigen weiteren Quellen. Bern / Frankfurt am Main: Lang 1975 (Europäische Hochschulschriften. Reihe 1: Deutsche Sprache und Literatur, 136), S. 51