Johann Nestroy (Bestände)
Der Nestroy-Bestand in der Wienbibliothek im Rathaus
Die Wienbibliothek im Rathaus verwahrt eine der bedeutendsten Sammlungen von Nachlassmaterialien Johann Nestroys, wobei "die Geschichte des handschriftlichen Nachlasses abenteuerlich und unglücklich verlaufen"[1] ist.
1861 ernannte Johann Nestroy in seinem Testament seine Lebensgefährtin Marie Weiler zur Haupterbin. Nach ihrem Ableben und dem Tod des gemeinsamen erstgeborenen Sohnes Karl wurde dessen Witwe Stefanie Nestroy-Bene zur Haupterbin des Nestroy-Nachlasses. Nach Nestroys Tod im Jahr 1862 blieb sein Nachlass 30 Jahre lang unberührt. Erst nachdem das Carl-Theater 1881 viele seiner Stücke zur Aufführung brachte und damit große Bühnenerfolge erzielte, wurde allmählich der Wunsch nach einer Gesamtausgabe der Werke Nestroys laut, da zu dieser Zeit lediglich schwer zugängliche Einzeldrucke existierten.
1889 baten die Schriftsteller Vinzenz Chiavacci und Ludwig Ganghofer die Haupterbin Nestroy-Bene um die Überlassung des gesamten Nachlasses zum Zwecke der Edition. Bedauerlicherweise wurden die Manuskripte Nestroys bei Chiavacci und Ganghofer nachlässig behandelt, wichtige Theatermanuskripte zerschnitten und entsorgt und einige Autographen möglicherweise als Andenken behalten. Die so entstandene Gesamtausgabe erschien 1890/1891 bei Adolf Bonz in Stuttgart. Allerdings wich die gedruckte Version in der von Chiavacci und Ganghofer herausgegebenen Gesamtausgabe teilweise erheblich von den Originalmanuskripten ab.
1921 wurden der ehemalige Direktor der Wiener Stadtbibliothek Carl Glossy und Peter Huppert-Sturmbusch von den Erben des Nestroy-Nachlasses beauftragt, die Originalhandschriften vor dem Verkauf zu sichten. Der Nachlass, den Glossy und Huppert-Sturmbusch begutachteten, enthielt Manuskripte wie "Judith und Holofernes", "Der Talisman", "Kampl", "Freiheit in Krähwinkel", "Die schlimmen Buben in der Schule", "Das Mädl aus der Vorstadt", "Der Färber und sein Zwillingsbruder" sowie die bis dahin nur durch Otto Rommels Beschreibung bekannte Posse "Nur keck!". Huppert-Sturmbusch versuchte, die Stadt Wien dazu zu bewegen, den Gesamtnachlass von Nestroy zu erwerben, und er warb über Mäzene zusätzliche Finanzmittel ein. Am 29. Mai 1923 wurde der "Literarische Nachlass Nestroys" an die Wiener Stadtbibliothek übergeben. Allerdings musste diese bald feststellen, dass es sich nur um einen Teil des Gesamtnachlasses handelte. Statt der erwarteten 44 Manuskripte wurden nur 26 übergeben. Zudem waren sämtliche Einfügungen entfernt worden, einschließlich der angehefteten Streifen mit kurzen Textkorrekturen, die Nestroy so eigen waren. Viele Werke existierten nur noch in Fragmenten, und selbst die Manuskripte von Stücken wie "Judith und Holofernes" und "Der Zerrissene" waren verschwunden.
Zwischen 1924 und 1946 tauchten zahlreiche für verloren gehaltene Manuskripte und Fragmente wieder auf und wurden zum Verkauf angeboten. Es stellte sich heraus, dass die Erben einige Teile des Gesamtnachlasses vor der Übergabe für sich behalten hatten. Peter Huppert-Sturmbusch hatte die Handschriften in chaotischem Zustand hinterlassen, um eine genaue Bestandsaufnahme zu verhindern. Offenbar hatte er einzelne Blätter herausgerissen, um diese Teile dann ins Ausland zu verkaufen. Durch Spenden von Otto Rommel (1948/49), den Ankauf des Gesamtnachlasses von Fritz Brukner im Jahr 1954 und den Nachlass von Moritz Necker im Jahr 1958 gelangten weitere Stücke in den Besitz der Stadtbibliothek. 1959 erwarb die Bibliothek ein Doppelblatt mit Studiennotizen zu "Judith und Holofernes" und im Dezember desselben Jahres erwarb sie die Urschrift der Posse "Der Zerrissene" für 44.000 Schilling. 2006 konnte die Wienbibliothek im Rathaus bei einer Auktion ein eigenhändiges Manuskript mit 26 Blättern erwerben. Es handelt sich dabei um "Dreißig Jahre aus dem Leben eines Lumpen", ein Zauberspiel mit Gesang (1828), das sich zuvor 100 Jahre lang in Privatbesitz befand. Und 2007 überließen die Erben des nach New York vertriebenen Sammlers Otto Kallir geschenkweise die Originalmanuskripte von "Die schlimmen Buben in der Schule" und "Der Weltuntergangstag" (der zweite Teil von "Lumpacivgabundus") der Bibliothek.
Inhalte
Der Bestand Nestroys in der Wienbibliothek im Rathaus umfasst 498 Inventarnummern. Nur ein kleiner Teil davon sind Korrespondenzen oder Lebensdokumente, die Kategorie "Werke" beinhaltet 473 Inventarnummern, darunter eine Vielzahl vollständiger Manuskripte, größere Fragmente, Bühnenmanuskripte, Couplet-Textfragmente, Rollenhefte sowie Studienblätter und Entwurfsnotizen. Darüber hinaus umfasst dieser Bereich etwa Verrechnungen über Einnahmen aus verschiedenen Theatervorstellungen sowie Zahlungsquittungen, die das Begräbnis von Johann Nestroy betreffen.
Zu den nahezu vollständig erhaltenen Manuskripten gehören etwa folgende: "Der böse Geist Lumpacivagabundus", "Zu ebener Erde und erster Stock", "Der Erbschleicher", "Einen Jux will er sich machen", "Liebesgeschichten und Heurathssachen", "Der Zerrissene", "Die lieben Anverwandten", "Frühere Verhältnisse", "Häuptling Abendwind oder Das gräuliche Festmahl".
Der Nachlass Johann Nestroy in der Wienbibliothek im Rathaus wurde vollständig digitalisiert und ist kostenfrei in der Digitalen Bibliothek abrufbar. Neben 421 Manuskripten und 75 Musikautographen findet sich dort etwa auch der Partezettel Nestroys.
Quellen
Literatur
- 10 Jahre Wienbibliothek im Rathaus. Wien: Metroverlag 2016
- Peter Haida: Die letzten Wagen. Überlegungen zu den geplanten Nachtragsbänden der historisch-kritischen Nestroy-Ausgabe. In: H. Christian Ehalt / Jürgen Hein / W. Edgar Yates [Hg.]: Hinter den Kulissen von Vor- und Nachmärz. Soziale Umbrüche und Theaterkultur bei Nestroy. Wien: WUV Universitätsverlag 2001, 145–153
- Karl Gladt: Die Handschriften Johann Nestroys. Graz/Wien/Köln: Hermann Böhlaus Nachf. 1967
Weblinks
- Johann Nestroy: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe - Index und Konkordanz [Stand: 25.09.2023]
- Wikipedia: Johann Nestroy [Stand: 25.09.2023]
Einzelnachweise
- ↑ Peter Haida: Die letzten Wagen, S.147