Karl Stojka
Stojka Karl, * 20. April 1931 in Wampersdorf, † 9. April 2003 in Wien, Teppichhändler, Maler, Autor, Zeitzeuge, Rom*nija-Aktivist.
Biografie
Karl Stojka wurde 1931 im niederösterreichischen Wampersdorf in eine Familie von reisenden Lovara-Rom*nija geboren, die ihre Winter meist in Wien verbrachten. Er war das vierte von sechs Kindern. Seine Mutter Maria Sidonie Rigo Stojka (1906–1972) bot Stoffe und Spitzen zum Verkauf, sein Vater Karl Wackar Horvath (1908–1942) war Pferdehändler.
Verfolgung während der NS-Zeit
Vom NS-Regime als "Zigeuner" definiert zählte Karl Stojka mit seiner Familie zu einer der aus rassischen Gründen verfolgten Gruppen. Am 17. Oktober 1939 erging vom Reichssicherheitshauptamt ein Schnellbrief an alle Polizeibehörden, um die beabsichtigte, vollständige Deportation aller Rom*nija innerhalb des NS-Gebietes vorzubereiten und umzusetzen. Der sogenannte Festsetzungserlass verbot Rom*nija ihren aktuellen Aufenthaltsort zu verlassen. Die Strafe bei Missachtung war die sofortige Deportation in ein Konzentrationslager, was im Normalfall auch durchgeführt wurde. Die Familie Stojka wohnte zu diesem Zeitpunkt neben dem Kongreßbad (16., Paletzgasse 42) in ihrem zur Hütte umgebauten Wohnwagen. Der unauffälligere Wohnort rettete die Familie Stojka vor der ersten Deportationswelle in das Ghetto Lodz/Litzmannstadt, die 1941 die Bewohner*innen der Hellerwiese und der Wankogstätt'n – beide jahrhundertealte Lagerplätze der Rom*nija – traf. Stojkas Vater wurde jedoch im gleichen Jahr festgenommen, in das KZ Dachau deportiert und schließlich 1942 im Rahmen der Tötungsaktion T4 in der Euthanasieanstalt Hartheim ermordet. Auch Karl Stojkas Schwester Katharina "Kathi", verheiratete Kaslow/Kaslov (1927–1999) wurde vor der übrigen Familie deportiert.
Karl Stojka wurde als 12-Jähriger am 3. März 1943 in der Schule von der Gestapo festgenommen und gemeinsam mit seinen in Wien verbliebenen Familienmitgliedern in der Roßauer Kaserne inhaftiert. Ende März erfolgte die Deportation in das sogenannte Zigeunerlager im KZ Auschwitz-Birkenau (Abschnitt B IIe). Sein jüngster Bruder Josef "Ossi" Stojka (1935–1944) starb dort an einer Typhuserkrankung. Im August oder September 1943 wurde Karl Stojka mit seinem Bruder Mongo zur Zwangsarbeit in das KZ Buchenwald transportiert. Anfang April 1945 wurden beide Brüder in das KZ Flossenbürg verlegt und am Todesmarsch in das KZ Dachau in der Nähe von Rötz am 27. April von amerikanischen Truppen befreit.
Leben nach 1945
Karl und Mongo Stojka blieben zunächst im bayrischen Rötz und kehrten im Mai 1947 nach Wien zurück. Dort trafen sie auf ihre Mutter sowie ihre Schwestern Maria "Mitzi/Mizzi" (geboren 1926), Katharina und Ceija. Ansonsten überlebte niemand der über 200 Mitglieder zählenden Familie die Verfolgung durch die Nationalsozialisten.
In der Nachkriegszeit arbeitete Karl Stojka als Minenarbeiter in Frankreich und schloss sich der Fremdenlegion an. Anschließend lebte er als erfolgreicher Teppichhändler in Deutschland, Italien, Portugal, den USA und schließlich in Österreich. 1985 kehrte er nach Wien zurück. Als Zeitzeuge berichtete er von seinen Erlebnissen während der NS-Zeit und engagierte sich aktiv in der Bürgerrechtsbewegung der Rom*nija. Dabei setzte er sich vor allem für ihre Gleichstellung und die Anerkennung als Volksgruppe sowie als Opfergruppe ein. An Karin Bergers Film "Abschied von Sidonie" (basierend auf dem gleichnamigen Roman von Erich Hackl) beteiligte sich Karl Stojka als Schauspieler. Aus den 1997 mit ihm geführten Interviews präsentierte die Filmemacherin 2023 die Dokumentation "Wankostättn".
1999 wurde Karl Stojka der Berufstitel Professor verliehen, 2001 erhielt er das Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien. Er war Vater eines Sohnes, der 1950 in Wien geboren wurde. Karl Stojka starb mit 72 Jahren in Wien und wurde am Meidlinger Friedhof beigesetzt.
Künstlerisches Werk
Karl Stojka begann 1985 – zu einem ähnlichen Zeitpunkt wie seine Schwester Ceija – seine Erlebnisse während des Holocaust künstlerisch zu verarbeiten. Seine Bilder waren in zahlreichen nationalen und internationalen Ausstellungen zu sehen, etwa in Belgien, Deutschland, England, Frankreich, Japan, den Niederlanden, Polen, Ungarn und den USA.
Darüber hinaus publizierte Karl Stojka autobiografische und lyrische Texte, etwa 1992 seine Autobiografie "Auf der ganzen Welt zu Hause".
Werke (Auswahl)
- Karl Stojka: Nach der Kindheit im KZ kamen die Bilder. Wien: VIDO – Verein zur Information der Öffentlichkeit zu Kunst, Wissenschaft und Kulturpolitik 1992
- Karl Stojka / Reinhard Pohanka: Auf der ganzen Welt zu Hause. Das Leben und Wandern des Zigeuners Karl Stojka. Wien: Picus Verlag 1994
- Karl Stojka: Mein Name im Dritten Reich: Z5742. Wien: Selbstverlag 2000
Literatur
- Karl Stojka: Wir waren jetzt keine Menschen mehr / Bilder aus "The Holocaust Series". In: Renate S. Meissner [Hg.]: Erinnerungen. Lebensgeschichten von Opfern des Nationalsozialismus. Band 6/2. Wien: Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus 2021, S. 110–145
- Katrin Kühnert: Holocaust-Autobiografien von Roma. Darstellungsformen der Verfolgung und Vernichtung während des Nationalsozialismus. MA. Univ. Wien. Wien 2020
- Karola Fings: Gutachten zum Schnellbrief des Reichssicherheitshauptamtes – Tgb. Nr. RKPA. 149/1939 -g- – vom 17.10.1939 betr. "Zigeunererfassung" ("Festsetzungserlass"). In: Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, 2018
- Beate Eder-Jordan: Literarische Orte der Roma. In: Andrea Härle et al [Hg.]: Romane Thana. Orte der Roma und Sinti. Wien: Czernin Verlag 2015, S. 194–200
- Michael Zimmermann: Die nationalsozialistische Zigeunerverfolgung in Ost- und Südosteuropa – ein Überblick. In: Felicitas Fischer von Weikersthal / Christoph Garstka / Urs Heftrich / Heinz-Dietrich Löwe [Hg.]: Der nationalsozialistische Genozid an den Roma Osteuropas. Geschichte und künstlerische Verarbeitung. Köln / Weimar / Wien: Böhlau Verlag 2008, S. 3–28
- Karl Stojka 1931-2003. In: Der Standard, 10.04.2003
- Landeshauptmann-Stv. Grete Laska ehrt Prof. Karl Stojka. In: Rathauskorrespondenz, 07.08.2001 [Stand: 14.08.2024]
- Österreichisches Musiklexikon online: Stojka, Familie [Stand: 31.07.2024]
- OeAD Roma Sinti Genocide – Roma Aktivist: Karl Stojka [Stand: 19.08.2024]
- Reconsidering Roma – Aspects of Roma and Sinti Life in Contemporary Art: Karl Stojka [Stand: 19.08.2024]
Karl Stojka im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.