Mongo Stojka
Johann "Mongo" Stojka, * 20. Mai 1929 Guntramsdorf, † 16. März 2014 Wien, Marktfahrer, Teppichhändler, Musiker, Autor, Zeitzeuge, Rom*nija-Aktivist.
Biografie
Mongo Stojka wurde 1929 im niederösterreichischen Guntramsdorf in eine Familie von reisenden Lovara-Rom*nija geboren, die ihre Winter meist in Wien verbrachten. Er war das dritte von sechs Kindern und der erste Sohn. Seine Mutter Maria Sidonie Rigo Stojka (1906–1972) bot Stoffe und Spitzen zum Verkauf, sein Vater Karl Wackar Horvath (1908–1942) war Pferdehändler.
Verfolgung während der NS-Zeit
Bereits vor der nationalsozialistischen Machtübernahme Österreichs 1938 waren Rom*nija mit Ausgrenzung und Diskriminierung konfrontiert. Während des Austrofaschismus wurde mit der 1936 in Wien gegründeten "Zentralstelle zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens" die Registrierung der größten rassischen Minderheit Europas gebündelt. Die Aufzeichnungen bildeten die Grundlage für die Verfolgung der Rom*nija während der NS-Zeit. Der Zweite Weltkrieg läutete jene Phase ein, in der die NS-"Rassenpolitik" auf physische Auslöschung zielte, von der unter anderem als "Zigeuner" definierte Personen betroffen waren. Am 17. Oktober 1939 erging vom Reichssicherheitshauptamt ein Schnellbrief an alle Polizeibehörden, um die beabsichtigte, vollständige Deportation aller Rom*nija innerhalb des NS-Gebietes vorzubereiten und umzusetzen. Der sogenannte Festsetzungserlass verbot Rom*nija ihren aktuellen Aufenthaltsort zu verlassen. Die Strafe bei Missachtung war die sofortige Deportation in ein Konzentrationslager, was im Normalfall auch durchgeführt wurde. Die Familie Stojka wohnte zu diesem Zeitpunkt neben dem Kongreßbad (16., Paletzgasse 42) in ihrem zur Hütte umgebauten Wohnwagen. Dieser unauffälligere Wohnort rettete die Familie vor der ersten Deportationswelle in das Ghetto Lodz/Litzmannstadt, die 1941 die Bewohner*innen der Hellerwiese und der Wankogstätt'n – beide jahrhundertealte Lagerplätze der Rom*nija – traf. Stojkas Vater wurde jedoch im gleichen Jahr festgenommen, in das KZ Dachau deportiert und schließlich 1942 im Rahmen der Tötungsaktion T4 in der Euthanasieanstalt Hartheim ermordet. Auch Mongo Stojkas Schwester Katharina "Kathi", verheiratete Kaslow/Kaslov (1927–1999) wurde vor der übrigen Familie deportiert.
Unter diesen Umständen konnte Mongo Stojka zwei Jahre die Schule besuchen bis ihm das als "Zigeuner" verboten wurde. Gemeinsam mit den in Wien verbliebenen Familienmitgliedern wurde er am 3. März 1943 von der Gestapo festgenommen, in der Roßauer Kaserne inhaftiert und Ende März in das sogenannte Zigeunerlager im KZ Auschwitz-Birkenau (Abschnitt B IIe) deportiert. Sein jüngster Bruder Josef "Ossi" Stojka (1935–1944) starb dort an einer Typhuserkrankung. Im August oder September 1943 wurde Mongo Stojka mit seinem Bruder Karl zur Zwangsarbeit in das KZ Buchenwald transportiert. Von dort haben sich in einem Skizzenbuch Gedichte mit Zeichnungen von Mongo Stojka erhalten, die er wahrscheinlich zwischen Herbst 1944 und Frühling 1945 niederschrieb und mit seinen Initialen "J.S." zeichnete. Anfang April 1945 wurden beide Brüder in das KZ Flossenbürg verlegt und am Todesmarsch in das KZ Dachau in der Nähe von Rötz (Bayern) am 27. April von amerikanischen Soldaten befreit.
Leben nach 1945
Nach einer Zeit der Erholung im bayrischen Rötz und der Suche nach überlebenden Familienmitgliedern kehrten Mongo und Karl Stojka im Mai 1947 nach Wien zurück und trafen dort auf ihre Mutter sowie ihre Schwestern Maria "Mitzi/Mizzi" (geboren 1926), Katharina und Ceija. Von Stojkas über 200 Mitglieder zählender Familie überlebten die nationalsozialistische Verfolgung nur sechs Personen.
Stojka arbeitete in der Nachkriegszeit als Marktfahrer und Teppichverkäufer. Er war Vater dreier Kinder: Doris (geboren 1950), Elisabeth "Sissi", verheiratete Asenbaum (geboren 1953) und Harald Wakar "Harri" (geboren 1957).
Stojka engagierte sich als aktiver Zeitzeuge für die Anerkennung der Verfolgung von Rom*nija während der NS-Zeit und gegen deren anhaltende Diskriminierung. Auf seine Initiative geht die Umbenennung der Hellerwiese in Barankapark-Hellerwiese zurück. Damit wurde seiner Großmutter Maria "Baranka" Huber ein Erinnerungszeichen gesetzt. Sie war eine bedeutende Naturheilerin aus dem Stamm der Lovara und wurde – wie viele andere Rom*nija, die sich 1941 auf dem Lagerplatz aufhielten – von den Nationalsozialisten deportiert und ermordet.
Mongo Stojka starb 2014 mit 84 Jahren in Wien. Sein Grab auf dem Neustifter Friedhof wurde von der Stadt Wien ehrenhalber gewidmet.
Künstlerisches Werk
Mongo Stojka verfasste bereits als Jugendlicher im KZ Buchenwald Gedichte und Liedtexte. Das Lied "Sas man mamo dosta Lowe" (Mutter, ich war einmal ein reicher Mann), das er zu Weihnachten 1947 im familiären Kreis vortrug, entwickelte sich zum Klassiker der modernen Rom*nija-Musik. Durch die musikalischen Karrieren seiner Kinder angeregt begann Mongo Stojka beruflich als Sänger, Gitarrist und Songwriter aufzutreten, oft gemeinsam mit ihnen. Mit seinem Sohn Harri Stojka produzierte er etwa 1994 das Album "Amari Luma" (Our World), das moderne Musik auf Romanes enthält. 1997 erschien eine erweiterte Neuauflage mit dem Titel "Nevi Luma" (Neue Welt).
Als 70-Jähriger begann Mongo Stojka an seiner Autobiografie zu arbeiten, die schließlich 2000 unter dem Titel "Papierene Kinder. Glück, Zerstörung und Neubeginn einer Roma-Familie in Österreich" erschien. Auch seine Geschwister Ceija und Karl hatten zuvor ihre Lebenserinnerungen veröffentlicht. Vier Jahre später publizierte er die " Legenden der Lowara. Lieder und Geschichten der Roma von Wien".
Werke (Auswahl)
- Mongo Stojka: Papierene Kinder. Glück, Zerstörung und Neubeginn einer Roma-Familie in Österreich. Wien: Molden 2000
- Mongo Stojka: Legenden der Lowara. Lieder und Geschichten der Roma von Wien. Wien [u. a.]: Deuticke 2004
Literatur
- Robert Rotifer: Mongo Stojkas gefundene Gedichte. In: Radio FM4, 27.01.2024
- Johann Mongo Stojka: Da haben wir noch nichts gespürt von Rassenhass. In: Renate S. Meissner [Hg.]: Erinnerungen. Lebensgeschichten von Opfern des Nationalsozialismus. Band 6/2. Wien: Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus 2021, S. 146–169
- Katrin Kühnert: Holocaust-Autobiografien von Roma. Darstellungsformen der Verfolgung und Vernichtung während des Nationalsozialismus. MA. Univ. Wien. Wien 2020
- Karola Fings: Gutachten zum Schnellbrief des Reichssicherheitshauptamtes – Tgb. Nr. RKPA. 149/1939 -g- – vom 17.10.1939 betr. "Zigeunererfassung" ("Festsetzungserlass"). In: Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, 2018
- Beate Eder-Jordan: Literarische Orte der Roma. In: Andrea Härle et al [Hg.]: Romane Thana. Orte der Roma und Sinti. Wien: Czernin Verlag 2015, S. 194–200
- Michael Zimmermann: Die nationalsozialistische Zigeunerverfolgung in Ost- und Südosteuropa – ein Überblick. In: Felicitas Fischer von Weikersthal / Christoph Garstka / Urs Heftrich / Heinz-Dietrich Löwe [Hg.]: Der nationalsozialistische Genozid an den Roma Osteuropas. Geschichte und künstlerische Verarbeitung. Köln / Weimar / Wien: Böhlau Verlag 2008, S. 3–28
- Österreichisches Musiklexikon online: Stojka, Familie [Stand: 31.07.2024]
Mongo Stojka im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.