Marianne Türk
Marianne Türk, * 31. Mai 1914 Wien, † 11. Jänner 2003 Wien, Kinderäztin, Euthanasie-Täterin.
Biografie
Marianne Türk war das einzige Kind des Zollbeamten Franz Türk und dessen Ehefrau Adelheid. Der Vater fiel wenige Monate der Geburt als Soldat im Ersten Weltkrieg; zur alleinerziehenden Mutter, mit der sie bis zu deren Tod 1970 zusammenlebte, bestand eine enge Beziehung. Trotz wiederkehrender gesundheitlicher Probleme (Magengeschwür, chronischer Magenkatharr, Lungentuberkulose) konnte Marianne 1933 das Realgymnasium in Wien-Hernals mit der Matura abschließen und nahm nachfolgend ein Studium der Medizin auf. Sie absolvierte das Studium in der Mindestzeit und promovierte 1939 zum Dr. med. Zu ihren akademischen Lehrern zählte der illegale Nationalsozialist Eduard Pernkopf, der möglicherweise Einfluss auf ihre weltanschauliche Einstellung nahm.
Unmittelbar nach Abschluss des Studiums begann die Medizinerin als Aushilfs-Anstaltsärztin in der Heil- und Pflegeanstalt Am Steinhof, zunächst in der Trinkerheilstätte und in einer psychiatrischen Abteilung. Als 1940 die "Städtische Jugendfürsorgeanstalt Am Spiegelgrund" eingerichtet wurde, folgte sie ihrem Vorgesetzten Erwin Jekelius an diese Institution. Dieser war an der Entwicklung der nationalsozialistischen Euthanasie-Gesetzgebung beteiligt und für die Umsetzung des Euthanasieprogramms "Aktion T4" in der "Ostmark" verantwortlich. Gemeinsam mit Jekelius' Nachfolger Ernst Illing und Heinrich Gross war Türk für die teils qualvolle Untersuchung und Begutachtung der Kinder nach den Maßstäben der NS-Ideologie ("unwertes Leben" auf Grund von "Idiotie" oder "Missbildungen") zuständig. Diese dem sogenannten Reichsausschuss vorgelegten Gutachten entschieden über Tod oder Leben der Kinder. Beschloss dieser die Tötung von Kindern, wurden diese mit dem hochdosierten Einsatz des Schlafmittels Luminal ermordet, aber auch bewusst Infektionskrankheiten ausgesetzt. Bis 1945 starben am Spiegelgrund rund 800 KInder und Jugendliche, von denen bis zur Hälfte vom medizinischen Personal umgebracht wurde.
1945 wurde Marianne Türk außer Dienst gestellt und 1946 im Rahmen eines Volksgerichtsprozesses zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Als strafmildernd wurde ihr das Abhängigkeitsverhältnis gegenüber ihren Vorgesetzten angerechnet. 1948 wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes für haftunfähig befunden, wurde ihr 1952 der Rest der Strafe erlassen. Den ihr aberkannten akademischen Titel erhielt sie nach Beschluss des Professorenkollegiums der Universität Wien 1957 zurück. Die Medizinerin war aber auch danach nicht mehr als Ärztin tätig, sondern arbeitete als Verkäuferin in einem Fachgeschäft für Heilkräuter. Sie starb in hohem Alter in Wien.
Literatur
- Marco Büchl: "Falsche Sentimentalität ist hier nicht am Platz" - Marianne Türk am Spiegelgrund. In: Medonline Medizingeschichte, 04.10.2024 [Stand: 30.01.2025]
- Rudolf Leo: Die NS-Vergangenheit des Personals am Pavillon 15 "Am Steinhof" und an der "Rett-Klinik“. In: Emma Mayerhofer u. a. (Hg.): Kinder und Jugendliche mit Behinderungen in der Wiener Psychiatrie von 1945 bis 1989. Stationäre Unterbringung am Steinhof und Rosenhügel. Wien: LIT 2017 (Schriften zur Rechts- und Kriminalsoziologie, 8) [Stand: 29.01.2025]
- Daniela Pscheiden: Handlungsräume und Täterschaft von Medizinerinnen während der NS-Herrschaft am Beispiel der 'Spiegelgrund'-Ärztin Marianne Türk. Master-Arb. Univ. Wien. Wien 2015 [Stand: 30.01.2025]
- Karin Anna Ertl: NS-Euthanasie in Wien. Dipl.-Arb. Univ. Wien. Wien 2012 [Stand: 29.01.2025]
- Lukas Vörös: Kinder- und Jugendlicheneuthanasie zur Zeit des Nationalsozialismus am Wiener Spiegelgrund. Dipl.-Arb. Univ. Wien. Wien 2004 [Stand: 30.01.2025]