Professionalismus (Fußball)
Der sogenannte Professionalismus bedeutet die Einführung des Profiwesens im österreichischen Fußball ab der Saison 1924/1925.
Vorgeschichte
Ende des 19. Jahrhunderts war der junge Fußballsport in Wien noch eine Angelegenheit bürgerlicher Kreise. Bei den ersten Vereinsgründen, etwa bei der Vienna, spielten britische Arbeitsmigranten zusammen mit einheimischen Sportbegeisterten eine wichtige Rolle. Doch schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewann die neue Sportart an Popularität. Die Arbeiterjugend begann den Fußball für sich zu entdecken. Vereinsgründungen häuften sich und 1911 startete in Wien die erste Meisterschaft. Vollends zum Massenphänomen wurde Fußball durch den Ersten Weltkrieg. Das Militär erkannte den Wert der neuen Sportart als Mittel der Aufrechterhaltung der Fitness sowie als Ablenkung. So lernten nun alle Männer an der Front oder in der Etappe das neue Spiels kennen und lieben. Nach Ende des Ersten Weltkriegs nahmen Vereinsgründungenin Wien erneut zu. Gleichzeitig stiegen auch die Besucherzahlen und der Fußballsport, anfänglich noch als englische Fußlümmelei verunglimpft, wurde zum Massenphänomen. In den 1920er-Jahren begannen mehrere Vereine ihre Spieler verdeckt zu bezahlen bzw. Spieler mit Geldversprechungen von anderen Vereinen abzuwerben. Vorformen dieser Praxis hatte es bereits seit der Mitte des ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts gegeben. Sie widersprach aber eindeutig dem durch den Verband vorgegebenen Amateurparagraphen (siehe beispielsweise Anton Powolny).
Vorreiter Österreich
Um selbst Einnahmemöglichkeiten zu erschließen, hatten Vereine nur wenige Möglichkeiten. Einerseits finanzierten sich Klubs durch die Mitgliedsbeiträge ihrer Mitglieder, durch etwaige Zuschauereinnahmen sowie durch Zahlungen von potenten Gönnern, die meist auch selbst Klubfunktionäre waren. Daneben waren Freundschaftsspiele im Ausland eine gute Einnahmequelle. Doch hatten nur die besseren Vereine die Möglichkeit solche lukrativen Tourneen durchzuführen. Die Kluft der Finanzkraft zwischen größeren und kleineren Vereinen vergrößerte sich in der Folge. Um die de facto schon bestehenden Praxis zu legalisieren, entschloss sich der österreichische Fußballverband im Jahr 1924 in einem Alleingang dazu, als erstes Land in Kontinentaleuropa den Professionalismus einzuführen. Der Einführung des Profifußballs ablehnend gegenüber stand die Wiener Sozialdemokratie, die im „Verband der Arbeiterfußballvereine Österreichs“ (VAFÖ) den Arbeiterfußball organisierte, und auf diesem Weg versuchte, das Fußballverbandswesen unter Kontrolle zu bringen. Die Einführung des Professionalismus betraf nur die Vereine der drei obersten Spielklassen, in denen ausschließlich Wiener Vereine vertreten waren. Dabei gestalteten sich die Gehälter der Neoprofis unterschiedlich: Aus dem Ausland „eingekaufte“ Legionäre und die genuinen Stars des Wiener Fußballs wie etwa Béla Guttmann oder Matthias Sindelar verdienten ausgezeichnet, während die Spieler in kleinerer Vereinen weniger gut entlohnt wurden. Durch das Profitum war auch die Anstellung von ausländischen Spielern legalisiert worden. Diese Möglichkeit brachte rasche Erfolge für jene Vereine, die die meisten ausländischen Spieler verpflichtetet hatten, wie den SC Hakoah und den Wiener Amateur SV (die spätere Wiener Austria): In der ersten Profimeisterschaft 1924/1925 landeten diese beiden Vereine dementsprechend auf den ersten beiden Plätzen.
Auswirkungen
Durch die Wiener Entscheidung zur Einführung des Profitums sahen sich die Spitzenklubs in Budapest und Prag der Gefahr ausgesetzt, ihre besten Spieler durch Abwerbung aus Wien zu verlieren. Sie übten in der Folge Druck auf ihre nationalen Verbände aus, was in der Tschechoslowakei im Jahr 1925 und in Ungarn ein Jahr später zur Einführung des Profibetriebsführte.Im Sog des Professionalismus wurde die Internationalisierung durch Auslandsreisen der Wiener Vereine und Legionäre in Wienweiter gesteigert. Die ständige öffentliche Präsenz befeuerte die Popularität des Sports weiter. Bekannte Stars wie Matthias Sindelar besserten sich ihre Gehälter durch Werbeauftritteauf. Gleichzeitig wurden österreichische Spieler selbst zum Exportschlager und wechselten ins Ausland, etwa nach Frankreich. 1933 wechselten Wunderteam Tormann Rudolf Hiden und August Jordan zu Racing Club de Paris.Alle diese Faktoren führten dazu, dass der Fußballsport in der politisch wie wirtschaftlich schwierigen Zeit der 1920er und 1930er-Jahre zum wichtigsten Identifikationsfaktor für Wien und Österreich wurde.Dabei spielten auch die Auftritte des erfolgreichen österreichischen Nationalteams, des Wunderteams, eine bedeutende Rolle. Vom neuen Profi-System profitierten die arrivierten Klubs am meisten. Für kleinere Vereine hingegen wurde die finanzielle Belastung immer größer.Zumeist waren die Fußballer als Sektion eines Allroundvereins organisiert. Durch ihren gesteigerten Kapitalbedarf kam es innerhalb des Gesamtvereins immer wieder zu Spannungen, die in manchen Fällen auch die Abspaltung der Fußballsektion zur Folge hatte. Wiederholt wurden aus Gründen der Finanzgebarung Fußballabteilungen als eigenständige Vereine ausgegliedert und rechtlich eigenständig. Damit war im Falle eines Konkurses nicht der ganze Verein betroffen. Doch Konkurse häuften sich und die Vereine suchten zuweilen fieberhaft nach neuen Einnahmequellen. So wurde 1927 unter entscheidender Beteiligung des österreichischen Bundeskapitäns Hugo Meisl mit dem Mitropapokal ein internationaler Wettbewerb geschaffen, indem die besten Vereine aus Budapest, Prag und Wien antraten. Dies führte zu einer noch intensiverenVerbindung zwischen den Metropolen der ehemaligen Donaumonarchie. Durch den vielfältigen Spieleraustausch verstärkt, entwickelte sich auch einauf Kurzpassspiel und Technik angelegtes Spielsystem, der sogenannte Donaufußball, der in allen drei Hauptstädten praktiziert wurde.
Vorläufiges Ende
Mit der nationalsozialistischen Machtergreifung wurde das österreichische Profisystem pro forma abgeschafft und die ehemaligen Professionellen in der Regel in anderwärtige Beschäftigungsverhältnisse überführt. In der Praxis konnten sich aber gerade die guten Spieler weiterhin fast ausschließlich dem Sport widmen. Jüdische Aktive und Funktionäre, die eine überaus wichtige Rolle in allen Belangen des Wiener Sportlebens gespielt hatten, wurden umgehend aus ihren Positionen entfernt, später verfolgt, in die Emigration gezwungen oder ermordet.
Literatur
- Josef Huber: 75 Jahre Wiener Fußball Verband. Die Geschichte des Wiener Fußballs. Wien: WFV 1998
- Wolfgang Maderthaner u.a. [Hg.]: Die Eleganz des runden Leders. Wiener Fußball 1920-1965. Wien: Die Werkstatt 2008
- Matthias Marschik: Vom Nutzen der Unterhaltung. Der Wiener Fußball in der NS-Zeit. Zwischen Vereinnahmung und Resistenz. Wien: Turia und Kant 1998
- Matthias Marschik: Vom Herrenspiel zum Männersport. Die ersten Jahre des Wiener Fußballs. Wien: Turia und Kant 1997