Spinnerin am Kreuz
48° 10' 15.62" N, 16° 21' 2.45" E zur Karte im Wien Kulturgut
Spinnerin am Kreuz (10., Triester Straße bei 52), ein altes Wahrzeichen im gotischen Stil, an das sich mehrere Sagen knüpfen.
Erwiesen ist, dass hier schon vor 1446 ein "steinernes Kreuz" stand; es kann weder die Grenze des Wiener Burgfrieds (der nicht bis hierher reichte) noch jene des Wiener Landgerichtssprengels (der sich weiter nach Süden ausdehnte) markiert haben. Vermutungen, wonach Herzog Leopold III. die Säule 1375 als Dank für die geglückte Länderteilung mit seinem Bruder Albrecht III. habe errichten lassen, sind abwegig, weil der Teilungsvertrag von Neuberg erst 1379 geschlossen wurde und die Grenze zwischen dem Anteil Leopolds (Steiermark) und Albrechts (Österreich unter der Enns) entlang der Piesting verlief. Vermutlich ist die Säule mit der nahen Hinrichtungsstätte (Galgen, Rad) in Verbindung zu bringen, die (obwohl in der Gemarkung von Inzersdorf, also außerhalb des Wiener Burgfrieds gelegen) von alters her der Stadt Wien als Inhaberin der Land- oder Hochgerichtsbarkeit unterstand (Hinrichtungsstätten, sub 6; Stadtrichter); sie mag als Totenleuchte für die Hingerichteten gedient haben (wofür es Vergleichsmaterial gibt).
Eine ähnliche, von Meister Michael (Knab) 1382-1384 geschaffene Säule steht im Norden von Wiener Neustadt. Dass Michael, der nachweislich für Albrecht III. in Laxenburg arbeitete, auch den Vorgänger der Spinnerin schuf, ist denkbar, aber nicht erwiesen.
Während eines kriegerischen Einfalls des ungarischen Reichsverwesers Johann Hunyadi 1446 wurde die Säule zerstört, worauf die Stadt Wien durch den Dombaumeister Hans Puchsbaum 1451/1452 eine neue Säule errichtet ließ.
Woher sie ihren Namen hat, ist nicht sichergestellt. Die Bezeichnungen wechselten sehr häufig: 1598-1624 nannte man die Säule "Martersäule am Wienerberg", 1709 "Kreuzspinnerin", 1720 "Spinnerkreuz", seit 1804 heißt sie "Spinnerin am Kreuz". Jahrhundertelang wurden hier Hinrichtungen vollzogen, bis der Galgen 1747 zum Rabenstein in die Roßau verlegt wurde. Seit 1804 fanden hier jedoch neuerdings Exekutionen statt. Die Säule wurde 1852, 1862, 1882 und 1892 restauriert. Am 8. Mai 1868 wurde hier die letzte öffentliche Justifizierung durchgeführt.
Die "Spinnerin" wurde 1945 beschädigt, doch bald wieder instand gesetzt (Renovierung durch Anton Endsdorfer 1948). Eine grundlegende Restaurierung (bei gleichzeitiger historischer und materieller Bestandsaufnahme des Denkmals) wurde 1987-1989 durchgeführt.
Mit der Spinnerin am Kreuz verbinden sich mehrere Sagen. Der bekanntesten zufolge hat eine jungvermählte Frau genau an jener Stelle am Wienerberg, an der sie sich von ihrem Mann verabschiedete, als dieser zu einem Kreuzzug aufbrach, Tag für Tag auf dessen Heimkehr gewartet. Sie vertrieb sich die Zeit und die trüben Gedanken durch Spinnen. Vom Erlös für ihr Gesponnenes und und für ein Haus in der Stadt, das sie verkaufte, ließ sie nach zweijähriger Arbeit eine Bildsäule errichten, wo bislang nur ein schlichtes hölzernes Wegkreuz stand. Sie wartete nun bei diesem von ihr gestifteten Bauwerk wiederum Tag für Tag auf Heimkehr ihres Gatten. Der Volksmund hieß die fleißige und treue Gattin bereits "Spinnerin am Kreuz". Als der Kreuzfahrer endlich nach dreijähriger Abwesenheit heimkehrte, fand das ersehnte Wiedersehen just bei der Bildsäule am Wienerberg statt. Dieser Sage nach hatte der Heimkehrer auch ein neues Gewürz, nämlich den Safran aus dem Orient nach Wien gebracht.
Quellen
Literatur
- Friedrich Dahm / Manfred Koller: Die Wiener Spinnerin am Kreuz. Wien: Deuticke 1991 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 21)
- Klemens Dorn: Favoriten. Ein Heimatbuch des 10. Wiener Gemeindebezirkes. Wien: Deutscher Verlag für Jugend und Volk 1928, S. 245 ff.
- Gustav Gugitz: Bibliographie zur Geschichte und Stadtkunde von Wien. Hg. vom Verein für Landeskunde von Niederösterreich und Wien. Band 3: Allgemeine und besondere Topographie von Wien. Wien: Jugend & Volk 1956
- Gustav Gugitz: Die Sagen und Legenden der Stadt Wien. Wien: Hollinek 1952 (Österreichische Heimat, 17)
- Moriz Hermann: Teufelsmühle am Wienerberg und Spinnerin (o. J.)
- Wilhelm Kisch: Die alten Straßen und Plätze von Wiens Vorstädten und ihre historisch interessanten Häuser. (Photomechan. Wiedergabe [d. Ausg. v. 1895]). Cosenza: Brenner 1967, Band 3, S. 130 ff.
- Adam Müller-Guttenbrunn: Alt-Wiener Wanderungen und Schilderungen. 1915, S. 75 ff.
- J. E. Schlager: Altertümliche Überlieferungen von Wien. 1844, S. 168 ff.
- Justus Schmidt / Hans Tietze: Dehio Wien. Wien: A. Schroll 1954 (Bundesdenkmalamt: Die Kunstdenkmäler Österreichs), S. 151 f.
- Werner Schubert: Favoriten. Wien: Mohl 1980, S. 138 f., 193-209
- Rolf M. Urrisk-Obertyński: Wien. 2000 Jahre Garnisonsstadt, Bd. 5, Teil 1, X., XI., XII., XIII., XIV. und XV. Bezirk. Gnas: Weishaupt Verlag, S. 98-101