Wienfluss-Aufnahme (1847-1857)
Die „topographische und hydrotechnische Aufnahme des Wienflusses“ besteht aus mehreren kartografischen und schriftlichen Dokumenten, die zwischen 1847 und 1857 entstanden. Sie beschreiben den Wienfluss von seiner Mündung in den Donaukanal bis nach Purkersdorf.
Entstehungsgeschichte
Die Dokumente der „Wienflussaufnahmen“ stammen aus der Provenienz von Professor Josef Stummer (Joseph Mauritius Stummer von Traunfels, 1808-1891). Dieser war Ingenieur und Architekt und unterrichtete von 1836 bis 1866 das Lehrfach der Land- und Wasserbaukunst am Polytechnischen Institut in Wien. 1842 führte er dort die Fächertrennung von Land- und Wasserbau ein. Verdienste erwarb er sich auch im Eisenbahnwesen: Ab 1843 war er zuerst Direktionsmitglied, ab 1844 technischer Direktor und von 1849 bis 1882 schließlich Präsident der Direktion der Kaiser-Ferdinands-Nordbahn, 1859 bis 1881 Vorstand des Technischen Ausschusses des Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen.
Die „Wienflussaufnahmen“ entstanden im Rahmen von Prof. Stummers Lehrtätigkeit am Wiener Polytechnikum. Im Rahmen des „Ingenieur Curses der Wasser und Straßenbauwissenschaft“ führten die Studierenden Erhebungen und Vermessungen durch, um ihr praktisches Wissen unter Beweis zu stellen. Die Aufgabenstellung für das Studienjahr 1847 legte Stummer in einer Rede vor den Hörenden des 5. Jahrganges am 1. März 1847 dar. In diesem Jahr sollten die Studierenden den Wienfluss innerhalb des Linienwalls vermessen. Obwohl es sich um eine reine Übung ohne bestimmten Zweck – abgesehen von einer Leistungsüberprüfung – handelte, wollte Prof. Stummer doch einen hypothetischen Anlass zugrunde legen, um die Erhebungen in einen Kontext zu setzen. „Hierzu eignet sich […] ein längst dem Flusse anzulegendes Kommunikationsmittel, [und] so werden wir unserer hydrotechnischen Aufnahme die Errichtung einer Eisenbahn längst des Wien – Flusses zugrunde legen […].“ Ein solches Vorhaben würde sich nicht nur auf geometrische Messungen „mit Ketten, Tisch und Nivellierinstrument“ und hydrotechnische Flussprofile und Objektaufnahmen stützen, auch topografische, privatrechtliche und ökonomische Erhebungen würden benötigt.[1] Aus diesem Anspruch erklären sich die umfangreichen Beschreibungen des Flusses und seiner Umgebung, die wesentlicher Bestandteil der „Wienflussaufnahmen“ sind. Die Studierenden wurden in sechs Sektionen mit unterschiedlichen Aufgaben eingeteilt. Jeder dieser Sektionen standen ein leitender Ingenieur und ein Adjunkt vor, die aus der Gruppe der Studierenden gewählt wurden. Die Aufgaben waren folgendermaßen verteilt:
- Sektion 1: Aufnahme der ganzen Flusslänge durch Kettenmessung und Schlagung von 50 zu 50 Klafter voneinander entfernter Profilpflöcke, die die Basis für das Hauptniveau und die Profilmessungen bilden.
- Sektion 2: Aufnahme der Situation des Flusses und seiner nächsten Umgebung mit dem Tisch zur Ermittlung einer möglichen Eisenbahntrasse.
- Sektion 3: Erhebung der Gefälle als Grundlage für das Längenprofil, mittels eines Nivellierinstrumentes.
- Sektion 4: Messung der Flussprofile von 50 zu 50 Klaftern inkl. der nächsten Umgebung, mittels eines Nivellierinstrumentes.
- Sektion 5: Detailaufnahmen aller am Fluss vorkommenden Objekte (Brücken, Stege, Wehre, Schleusen, Kanal- und Wasserleitungen, etc.).
- Sektion 6: Topografische Erhebungen zur Beschaffenheit des Grundes, Nutzungen, Rechte, Servituten, etc.
Für die weiteren Flussabschnitte sind keine Instruktionen überliefert, es ist aber davon auszugehen, dass die Studierenden späterer Jahrgänge die weiter flussabwärts liegenden Abschnitte in ähnlicher Art untersuchten. Wer schließlich die Ergebnisse der Arbeiten der Studierenden zusammenfasste und vereinheitlichte, wer die Karten, Profile und Detaildarstellungen zeichnete, ist nicht bekannt.
Siehe auch: Joseph Mauritius Stummer von Traunfels
Inhalt
Die „Wienflussaufnahmen“ bestehen aus mehreren kartografischen und beschreibenden Dokumenten sowie Messprotokollen, die unterschiedliche Abschnitte des Wienflusses behandeln und im Zeitraum von 1847 bis 1857 datiert sind. Am 18. Mai 1851 kam es am Wienfluss zu einen “Jahrhunderthochwasser“, auf das in jenen Dokumenten, die nach 1851 entstanden, häufig Bezug genommen wird.
Die „Instruktionen“ beinhalten die Aufgabenstellung, die Professor Stummer 1847 an seine Studierenden richtete und informieren über Mess- und Darstellungsmethoden.
Die „Protokolle, Erhebungen und topographische Beschreibung 1847“ behandelt den Flussabschnitt zwischen Mündung und Linienwall und besteht aus vier Dokumenten: Der erste Teil ist eine Beschreibung der Bauobjekte, das sind 15 Brücken und Stegen (unter anderen die Steinerne Brücke auf der Wieden und den Theatersteg) und das Gumpendorfer Wehr. Das „Protokoll über die gepflogenen Erhebungen des Flusses in geognostischer, hydrotechnischer, topographischer, ökonomischer und rechtlicher Beziehung“ enthält die Ergebnisse einer „Localerhebung“ – Beschreibungen des Flusses hinsichtlich Breite, Wassertiefe, Gefälle, Hochwässer und Eisbildung, Uferhöhen, Sand- und Schotterbänken sowie Regulierungsmaßnahmen, Abwasserkanälen, Rohrleitungen, Wegen und Straßen, Mühlen und anderen Gewerben am Fluss. Auch ein Längenprofil der beiden Mühlbäche ober- und unterhalb des Gumpendorfer Wehrs ist Teil dieses Protokolls. Die „Topographische Beschreibung“ behandelt die Lage der für die Vermessung geschlagenen Profilpflöcke „zum Behufe des leichteren Auffindens derselben“. Im „Haupt Niveau Protokolle“ sind die Ergebnisse der Vermessungen in tabellarischer Form zusammengefasst.
Die „Protokolle, Erhebungen und topographische Beschreibung 1852 und 1855“ behandeln den Flussabschnitt zwischen Linienwall und Purkersdorf und bestehen aus sieben Dokumenten: Die „Situations Beschreibung“, das „Protokoll über die gepflogenen Erhebungen des Flusses“ und die „Beschreibung des Wienflusses“ behandeln jeweils umfangreich den Zustand des Flusses, gewerbliche Nutzungen, Regulierungs- und Ufersicherungsmaßnahmen sowie Hochwasserschäden. Im „Haupt-Niveau-Protokolle“ sind die Ergebnisse der Vermessungsarbeiten an Fluss und Mühlbach vom Mariabrunner Wehr in tabellarischer Form zusammengefasst. In den „Erhebungen über […] d[ie] Bau-Objecte“ werden Brücken bei Auhof, Weidlingau und Purkersdorf sowie das Mariabrunner Wehr beschrieben. Das „Protokoll über die topographischen Erhebungen“ dient der Beschreibung der Lage der Profilpflöcke. Das „Protokoll über die gepflogenen Erhebungen des Mariabrunner Mühlbaches“ enthält neben einer detaillierten Beschreibung der Mühlen und Gewerbe auch ein Längenprofil.
Die insgesamt 139 Querprofile schneiden im Abstand von 50 Klaftern (95 Meter) durch das Flussbett, die Ufer und die anliegenden Straßen, Gebäude und Grundstücke. Das erste Querprofil „geht durch die Spitze des Separation-Werkes an der Einmündung des Wienflusses in den Donaucanal“. Der Maßstab beträgt 1:289. Die Lage der Querprofile ist im Situationsplan und im Längenprofil gekennzeichnet. Die Darstellungen zeigen Uferschutzmaßnahmen, Brücken, Kanäle, Gebäude und Vegetation.
Die Darstellungen der „Brücken und Wehraufnahmen“ beinhalten 25 Brücken und das Gumpendorfer Wehr. Von sieben Brücken und dem Wehr gibt es darüber hinaus Detaildarstellungen. Sie geben Auskunft über die Konstruktion der Bauwerke, die verwendeten Materialien, über Uferschutz und Verankerung der Bauwerke an den Ufern und im Fluss. Abgebildet wurden sowohl nach neuesten Ingenieurkenntnissen errichtete eisene Brücken als auch Notstege.
Der Situationsplan besteht aus vier Abschnitten und dient zur Verortung der Querprofile. Der Maßstab beträgt 1:2880, die Pläne bilden den Flussverlauf und die unmittelbar angrenzenden Gebäude, Straßen und Grundstücke ab.
Das Längenprofil besteht aus drei Abschnitten und verwendet für die beiden Achsen unterschiedliche Maßstäbe: Der Maßstab der Ordinate (y-Achse, vertikal) ist mit 1:144 zehn mal so groß wie jener der Abszille (x-Achse, horizontal) mit 1:1440. Dargestellt sind die Wasserspiegelflächen des Flusses und der Mühlbäche und die Höhe der beidseitigen Ufer sowie die entlang der Ufer verlaufenden Straßen. Ebenso sind Brücken, Wehre und die wichtigsten Gebäude an beiden Ufern eingezeichnet.
Die „Wienflussaufnahmen“ sind in mehrerer Hinsicht interessant: sie zeigt den Wienfluss zu einem Zeitpunkt der urbanen Transformation. Die Stadt expandierte, im Wiental entstanden neue Wohn- und vor allem zahlreiche Gewerbe- und Industriegebiete. Gleichzeitig gefährdete das dynamische Abflussregime des Wienflusses die anliegenden Grundstücke und Gebäude – ein Umstand, den die angehenden Ingenieure zunehmend als technisch zu lösende Herausforderung begriffen. In den „Protokollen“ beschrieben sie bestehende, lokale Ufer- und Hochwasserschutzmaßnahmen ausführlich, kommentierten und bewerteten sie. Die hypothetische Aufgabenstellung an die Studierenden nimmt die umfassende Regulierung des Wienflusses (1894-1904) und sogar den Bau einer Eisenbahnlinie im Flussbett voraus. Nicht zuletzt geben die „Wienflussaufnahmen“ Einblick in die Praktiken der Vermessung und die Ausbildung von Wasserbauingenieuren am Wiener Polytechnikum.
Quellen
- WStLA, Kartographische Sammlung, Sammelbestand P1.253 1 Inhaltsverzeichnis
- WStLA, Kartographische Sammlung, Sammelbestand P1.253 2 Instruktionen, betreffend die hydrotechnische Aufnahme des Wienflusses im Jahre 1847
- WStLA, Kartographische Sammlung, Sammelbestand P1.253 3 Protokolle, Erhebungen und topographische Beschreibung (1847)
- WStLA, Kartographische Sammlung, Sammelbestand P1.253 4 Protokolle, Erhebungen und topographische Beschreibung 1852 und 1855
- WStLA, Kartographische Sammlung, Sammelbestand P1.253 5 Querprofile des Wienflusses
- WStLA, Kartographische Sammlung, Sammelbestand P1.253 6 Querprofile des Wienflusses
- WStLA, Kartographische Sammlung, Sammelbestand P1.253 7 Brücken und Wehraufnahmen
- WStLA, Kartographische Sammlung, Sammelbestand P1.253 8 Situation des Wienflusses
- WStLA, Kartographische Sammlung, Sammelbestand P1.253 9 Längenprofile
Literatur
- Christina Spitzbart-Glasl: Die topographische und hydrotechnische Aufnahme des Wienflusses unter Prof. Josef Stummer 1847-1857. Wien: Zentrum für Umweltgeschichte 2015 (Materialien zur Umweltgeschichte Österreichs, 4)
- Robert Messner: Die Josefstadt im Vormärz. Historisch-topographische Darstellung der westlichen Vorstädte (nördliche Hälfte) und westlichen Vororte Wiens auf Grund der Katastralvermessung. Wien: Verband der wissenschaftlichen Gesellschaften Österreichs 1973, S. 314-317
- Christina Spitzbart-Glasl und Gudrun Pollack: Competition in transition. An exploration of water and land use in the Wien River valley through the eyes of mid 19th century engineers. In: Land Use Competiton. Ecological, Economic and Social Perspectives. Hg. von Jörg Niewöhner et. al. Berlin, Heidelberg: Springer 2016, S. 363-379
Einzelnachweise
- ↑ Robert Messner: Die Josefstadt im Vormärz. Historisch-topographische Darstellung der westlichen Vorstädte (nördliche Hälfte) und westlichen Vororte Wiens auf Grund der Katastralvermessung. Wien: Verband der wissenschaftlichen Gesellschaften Österreichs 1973, S. 314-315