48° 7' 35.43" N, 16° 27' 48.70" E zur Karte im Wien Kulturgut
Das Brauhaus der Stadt Wien (Rannersdorf, Schwechat, Niederösterreich) war eine Brauerei im Besitz der Stadt Wien, die von 1905 bis 1959 bestand.
Gründung
Die Wiener Gastwirtinnen und -wirte hatten im ausgehenden 19. Jahrhundert mit der Preisgestaltung der Großbrauereien immer größere Probleme und forderten bereits 1881 die Errichtung eines städtischen Brauhauses. Der Wiener Brauherrenverein konnte dies lange Zeit erfolgreich gemeinsam mit der liberalen Fraktion im Wiener Gemeinderat verhindern.
Die Gastwirtinnen und -wirte setzten ihre Bemühungen jedoch fort und konnten um die Jahrhundertwende in Rannersdorf bei Schwechat das rund 80.000 m² große „landtäfliche Gut Wallhof“ vom Dominikanerorden kaufen und 1901 mit dem Bau des auch aus architektonischer Sicht durchaus beachtenswerten Brauhauses beginnen. 1903 konnte das "Wiener Brauhaus" mit der Bierproduktion beginnen. Aufgrund von Konflikten zwischen den Genossenschaftern geriet das Brauhaus jedoch in wirtschaftliche Schwierigkeiten und das Projekt stand bereits 1904 vor dem Ende.[1]
Übernahme durch die Stadt Wien
1905 beschloss die „Wiener Brauhaus Reg. Gen. m.b.H.“ bei einer dramatischen Generalversammlung in der Volkshalle des Wiener Rathauses – mit 1.436 gegen 108 Stimmen – die Genossenschaft aufzulösen und das Brauhaus der Gemeinde Wien zu übergeben.
Inzwischen war Karl Lueger Bürgermeister und konnte ohne größere Schwierigkeiten die Rettung der Brauerei durchsetzen. Das Brauhaus Rannersdorf wurde als „Brauhaus der Stadt Wien“ kommunalisiert. So konnte die Gemeinde Wien 1.200 Wiener Gastwirte und sonstige Kleinanleger vor dem wirtschaftlichen Ruin retten, welche große Teile ihres Vermögens in Anteilscheine am Genossenschaftsbrauhaus investiert hatten[2].
Das „Brauhaus der Stadt Wien" nahm am 1. September 1905 seinen Betrieb auf. Die Produktionsstätte wurde zügig ausgebaut und bald zeigte sich, dass das „Brauhaus der Stadt Wien“ trotz des weiteren Widerstandes des Wiener Brauherrenvereins gut geführt wurde. Die Straßenbahn stellte Waggons zum Biertransport zur Verfügung und die städtischen Markthallen wurden als Bierdepots verwendet. Bereits bei den von den Wirten heftig bekämpften Bierpreiserhöhungen durch das Bier-Kartell in den Jahren 1908[3] und 1911[4] ließ das städtische Brauhaus in den Zeitungen verkünden, dass man den Kartellbeschluss zur Preiserhöhung nicht befolgen werde. 1912 wurde mit 257.981 Hektolitern der Höchstausstoß der Vorkriegszeit gemeldet. Die Schulden der Genossenschaft wurden weiter reduziert und die ehemaligen Genossenschafter wurden letztendlich mit 70 Prozent des Nominalwertes ausbezahlt.
Zwischenkriegszeit
Für die sozialdemokratische Gemeindeverwaltung, die ab 1919 die Verwaltung übernahm, war das Brauhaus ein wichtiger städtischer Betrieb (siehe Rotes Wien). Es wurden erhebliche Investitionen in den Maschinen- und Fuhrpark getätigt und das Sudhaus soll damals das modernste Europas gewesen sein. 1930 wurde nur von den "Vereinigten Brauereien" mehr Bier produziert als in Rannersdorf. Für die Bediensteten gab es viele soziale Einrichtungen, wie ein „Wohlfahrtsgebäude“ mit modernen Umkleideräumen und Bädern, ein Freibad sowie ein Brauhaus-Restaurantsaal mit einer günstigen Werksküche. Es wurden Löhne und Zuwendungen weit über dem Kollektivvertrag ausgezahlt[5].
Hausmarke des Brauhauses der Stadt Wien war das Stadtbräu-Lager, ein lichtes Lagerbier. 1930 wurde mit dem Wiener Stadtbräu – Spezial Märzen, kurz Stadtbräu-Märzen genannt, eine neue Feinbiertype auf den Markt gebracht. 1932 wurde unter der registrierten Marke "Stefflbräu" ein dunkles Doppelmalzbier nach Münchner Art hergestellt[6].
Der politische Umsturz 1933/34 hatte fatale Folgen für das Brauhaus. Unter dem Dollfuß-Schuschnigg Regime gab eine umfangreiche Kündigungswelle für die meist sozialdemokratischen Angestellten und Arbeiter und 1937 wurde nicht einmal die Hälfte des Jahres 1930 produziert. Als die Nationalsozialisten in Österreich einmarschierten, wurde die gesamte Führungsmannschaft aus politischen Gründen entlassen und ein großer Teil der Arbeiter ausgetauscht.
Zweiter Weltkrieg und Nachkriegszeit
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs erlitt das Brauhaus der Stadt Wien schwere Schäden durch Bombentreffer und Kämpfe. Nach Kriegsende 1945 besetzten russische Truppen den Betrieb und richteten das Direktionsgebäude sowie die Mälzerei als Lazarett ein, die Werkskantine wurde in einen Operationssaal verwandelt. Trotz dieser Verhältnisse konnte im Juni 1945 wieder mit dem Brauen begonnen werden, aber wegen des fehlenden Hopfens und der geringen Gerstezuteilung konnte im Jahre 1946 nur ein Bruchteil der Betriebskapazität ausgenützt und nur Leichtbier produziert werden. Erst im Oktober 1948 konnte man mit der Erzeugung von höhergradigem, "normalem" Bier beginnen.
Ab 1950 setzte eine umfangreiche Werbeaktion für das „Stadtbräu“ und das „Stefflbräu“ ein, wobei bekannte Persönlichkeiten wie die Schauspieler Fritz Imhoff und Else Rambausek als „Werbe-Ikonen“ dienten.
Verkauf des Brauhauses
Gleichzeitig beschäftigte sich die Stadt Wien in den 1950er Jahren mit Verkaufsstrategien des Brauhauses. Die Wiener Stadträte Felix Slavik und Josef Afritsch nahmen Kontakt mit einem Konsortium österreichischer Brauereiinhaber auf, bei dem die Familie Mautner Markhof 52 Prozent der Anteile hielt. Obwohl ein deutscher Konzern ein höheres Kaufangebot gelegt hatte, beschloss der Gemeinderat 1959, das Angebot der Interessengruppe österreichischer Brauereien auf Ankauf des Brauhauses der Stadt Wien anzunehmen. Das Brauhaus wurde mit Gemeinderatsbeschluss vom 17. Juli 1959 verkauft. Der Betrieb wurde mit Ende des Jahres 1959 stillgelegt und der „Karl-Oppolzer-Kommanditgesellschaft“ übergeben. Es existierte ein umfassender Sozialplan für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Trotzdem gab es längere Proteste seitens der Belegschaft und der Öffentlichkeit, die jedoch wirkungslos blieben. Hauptgewinner des Verkaufs blieb die Schwechater Brauerei, die weitgehend das Absatzgebiet, aber auch einen Teil der Arbeiterinnen und Arbeiter übernahm.[7]
Nachdem die Brauanlagen einige Jahre leer standen, wurden einige Gebäude 1968 von der Firma Rohr-Mertl angekauft und zum größten Röhrenlager Österreichs umfunktioniert. Das ehemalige Sudhaus wurde in den Jahren 1969 bis 1971 umgebaut, und diese Gebäude bestehen Großteils noch.
Bilder
Werbeflächen für Gasthäuser, um 1950
Messestand, Wiener Messe 1949
Quellen
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Städtische Unternehmungen, Städtisches Brauhaus | 1905, 1945-1959
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Handschriften, A 102 - Inventar des Wiener Brauhauses | 1905
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Hauptarchiv - Akten - Kleine Bestände: Verwaltungsgebiete und Unternehmungen | 1778-ca. 1960, A26 - II/26 - Brauhaus | 1906-1914.
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Fotosammlung allgemein, FF: 148G - Wiener Brauhaus Rannersdorf
Literatur
- Johann Ableidinger: Geschichte von Schwechat. Schwechat: Verlag der Stadtgemeinde Schwechat 1929
- Heinrich Berg, Karl Fischer: Vom Bürgerspital zum Stadtbräu. Zur Geschichte des Bieres in Wien. Kleinausstellung des Wiener Stadt- und Landesarchivs. Hg. vom Verein für Geschichte der Stadt Wien. Wien: 1992 (Wiener Geschichtsblätter Beiheft 3, 1992).
- Adolf Eszöl: Das Brauhaus der Stadt Wien.
- Brigitte Pellar: Geschichte nicht ohne uns: die ersten 100 Jahre Gewerkschaft Agrar, Nahrung, Genuß. Wien: ÖGB Verlag 1992
- Schwechater Museumsnachrichten Nr. 2/1993
- Christian M. Springer, Alfred Paleczny, Wolfgang Ladenbauer: Wiener Bier-Geschichte, Wien: Löcker Verlag 2016, S. 218-227
Referenzen
- ↑ Johann Ableidinger: Geschichte von Schwechat, S. 123.
- ↑ Brigitte Pellar: Geschichte – nicht ohne uns, S.144; Adolf Eszöl: Das Brauhaus der Stadt Wien.
- ↑ ANNO: Neue Zeitung vom 26.07.1908, S.4
- ↑ ANNO: Reichspost vom 26.09.1911, S.6
- ↑ Schwechater Museumsnachrichten Nr. 2/1993, S.19-20.
- ↑ wikipedia.org: Brauhaus der Stadt Wien
- ↑ Adolf Eszöl: Das Brauhaus der Stadt Wien