Kunstkammer (Hofburg)
48° 12' 26.40" N, 16° 21' 57.68" E zur Karte im Wien Kulturgut
Kunstkammer (1., Hofburg, Lustgarten, im Bereich des heutigen Michaelertrakts). In den Jahren 1558 bis 1560/1563 ließ Kaiser Ferdinand I. in seiner Wiener Residenz ein Gebäude errichten, das zur Aufbewahrung und Präsentation seiner Kunstsammlung und Kleinodien bestimmt war, und das im Erdgeschoß die 1556 erbaute "Spanische Küche" Erzherzog Karls II. miteinbezog. Im Rahmen eines Forschungsprojektes über die Wiener Hofburg[1] konnte der bis dahin nicht bekannte Standort dieses Kunstkammergebäudes nachgewiesen werden: Das zweigeschoßige Bauwerk befand sich anschließend an das 1540 bis 1542 erbaute Ballhaus am Rand des Unteren Lustgartens, der der Alten Burg im Nordosten vorgelagert war, und war mit einem Eingang vom Garten ebenso wie von der Burggasse (so hieß zeitgenössisch die Gasse, die vom Kohlmarkt her an der Alten Burg vorbei zum Burgtor und westlich aus der Stadt hinaus führte) zugänglich.[2]
Bis zum Bau des Kunstkammergebäudes wurden die Sammlungen des Kaisers, die 1554 erstmals explizit vom Kammerdiener Ferdinands I., Leopold Heyperger, als "Khunst Chamer" bezeichnet wurden,[3] auf mehrere Räume verteilt, in den sogenannten Schatzgewölben im Südturm der Alten Burg im Nahbereich der Sakristei der Burgkapelle sowie im Westturm aufbewahrt. In den Schriftquellen ist 1554 erstmals der Begriff "Kunstkammer" verzeichnet, ab 1558 heißt es "Bau einer Kunstkammer" und 1610 taucht erstmals der Begriff "Kunsthaus" auf. So ist mit der Terminologie in den Quellen die Entwicklung von in diversen Räumen der Alten Burg gelagerten Kunstgegenständen in ein von der Alten Burg räumlich getrenntes Gebäude, ein Kunstmuseum, nachzuvollziehen. Seit Dreger, der irrtümlich die Nennung "Kunsthaus" schon für 1558 anführte,[4] zieht sich dieser Fehler hartnäckig bis in Publikationen der jüngsten Zeit.
Das räumlich bescheidene, aber entwicklungsgeschichtlich umso bedeutendere Kunstkammergebäude Ferdinands I. kann als erster Museumsbau Mitteleuropas bezeichnet werden. Mit der Idee, seine Kunstsammlungen und Kleinodien zusammenzuführen und in einem eigens dafür errichteten Gebäude aufzustellen und seinen Gästen zu präsentieren, hat Ferdinand I. für die Sammlungstätigkeit seines Sohnes Ferdinand II. von Tirol in Ambras und seines Enkels Rudolf II. in Prag den Weg bereitet und seinen Schwiegersohn Herzog Albrecht V. von Bayern maßgeblich beeinflusst.
Unter Maximilian II. musste 1573 die Zwischendecke des Kunstkammergebäudes, die wohl aufgrund der schweren Belastung schadhaft geworden war, erneuert werden. Bis 1578 erhielt der Bau zwei weitere Stockwerke: Das Erdgeschoß bestand weiterhin aus der erzherzoglichen Küche und aus einem Sammlungsbereich, im ersten Obergeschoß befand sich die "Untere Kunstkammer", im zweiten Obergeschoß das neue Appartement für Erzherzog Ernst und im dritten Obergeschoß die "Obere Kunstkammer".
Rudolfinische Hauskrone, 1602
Erweiterung durch den Galeriebau Rudolfs II.
Mit dem gartenseitig angebauten dreigeschossigen Galeriebau Rudolfs II. 1583–1585 erfolgte eine beträchtliche Erweiterung der Ausstellungsräumlichkeiten und deren bauliche Anbindung mittels eines Schwibbogengangs über den Burggraben in das Mezzanin des Nordosttraktes der Alten Burg, wo bis heute Räume der Kaiserlichen Schatzkammer situiert sind. Bei der Erweiterung kam der Brunnen an der Lustgartenmauer auf der Fassade des Kunstkammerbaues zu liegen. Vom kaiserlichen Appartement in der Alten Burg konnte man direkt in die oberste Galerie gelangen, von deren Ende der Obere Lustgarten zu betreten war. In dem Trakt wurden wesentliche Teile der aus Prag nach Wien verbrachten Kunstbestände Rudolfs II. untergebracht. Der Galerieraum im zweiten Stock beherbergte mit der Rudolfinischen Hauskrone und der große antiken Achatschale die wohl prominentesten Stücke. Diese Betonung der repräsentativen Funktion schlug sich auch in einer neuen Bezeichnung nieder: 1628 taucht in den Quellen die Bezeichnung "Schatzkammer" auf. Von 1641 bis 1642 musste der gesamte Gebäudekomplex (Galeriebau, Kunstkammergebäude, Ballhaus) wegen schwerer Bauschäden einer Generalsanierung durch Giovanni Battista Carlone unterzogen werden. Der Bau der 1735 fertig gestellten Winterreitschule beeinträchtigte die Wirkung des Ensembles Schatzkammer und Lustgarten empfindlich, da letzterer bis auf einen kleinen Rest verbaut wurde. 1747 ordnete Maria Theresia nicht nur eine grundlegende Neuordnung der Sammlung an, sondern auch wesentliche Umbauten. Der Trakt wich zu einem großen Teil einem neuen Theater, dem später so genannten Alten Burgtheater. Der Schatzkammer verblieben die angestammten Räume im Schweizertrakt und die unmittelbar an diese angrenzenden Teile des rudolfinischen Galerietraktes[5]. Diese Räumlichkeiten werden bis heute von der Kaiserlichen Schatzkammer genutzt, wobei große Teile der Bestände in das 1891 eröffnete Kunsthistorische Museum (vor allem Sammlung kunstindustrieller Gegenstände, heute Kunstkammer) übertragen wurden.
Wappentafel für den 1536 angelegten Brunnen an der Lustgartenmauer, vor 1894/1895
Ein kleiner Rest des rudolfinischen Galerietraktes wird bis heute von der Kaiserlichen Schatzkammer genutzt. Dazu zählt jener Raum, in dem Maria Theresia das Münzkabinett einrichten ließ (heute Saal II der Geistlichen Schatzkammer), 1754
Die Sommerreitschule (vorne) mit den baulichen Überresten des Galerietraktes (Mitte). Links die Alte Burg, rechts die Rückseite des Alten Burgtheaters mit Stiegenaufgang, um 1858
Burgplatz gegen den Schweizertrakt mit dem in den Platz hineinragenden Eck des ehemaligen Kunstkammergebäudes, vor 1895
Ehemaliger Burggraben und Schweizertrakt. Vorne ein Fundamentrest des Kunstkammerbaues, 2020
Literatur
- Renate Leggatt-Hofer [bis 2015 Holzschuh-Hofer] / Reinhold Sahl [Hg.]: Die Wiener Hofburg. Sechs Jahrhunderte Machtzentrum in Europa, Wien: Brandstätter Verlag 2018
- Hellmut Lorenz / Anna Mader-Kratky [Hg.]: Die Wiener Hofburg 1705–1835. Die kaiserliche Residenz vom Barock bis zum Klassizismus. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2016 (Veröffentlichungen zur Bau- und Funktionsgeschichte der Wiener Hofburg, 3)
- Herbert Karner [Hg.]: Die Wiener Hofburg 1521–1705. Baugeschichte, Funktion und Etablierung als Kaiserresidenz. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2014 (Veröffentlichungen zur Bau- und Funktionsgeschichte der Wiener Hofburg, 2)
- Sabine Haag [Hg.]: Kunsthistorisches Museum Wien: Die Kunstkammer Wien. München [u.a.]: Beck [u.a.] 2013
- Moriz Dreger: Baugeschichte der k. k. Hofburg in Wien bis zum XIX. Jahrhunderte. Hg. vom kunsthistorischen Institute der k.k. Zentral-Kommission für Denkmalpflege. Wien: Anton Schroll & Co Kunstverlag 1914 (Österreichische Kunsttopographie, XIV)
Einzelnachweise
- ↑ Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW): Forschungsprojekt Hofburg [Stand 11.1.2023].
- ↑ Renate Holzschuh-Hofer [seit 2015 Leggatt-Hofer]: Galerie, Kunstkammergebäude und Ballhaus, 1521–1619. In: Herbert Karner [Hg.]: Die Wiener Hofburg 1521-1705. Baugeschichte, Funktion und Etablierung als Kaiserresidenz. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2014 (Veröffentlichungen zur Bau- und Funktionsgeschichte der Wiener Hofburg, 2), S. 198–211.
- ↑ Renate Holzschuh-Hofer [seit 2015 Leggatt-Hofer]: Galerie, Kunstkammergebäude und Ballhaus, 1521–1619. In: Herbert Karner [Hg.]: Die Wiener Hofburg 1521-1705. Baugeschichte, Funktion und Etablierung als Kaiserresidenz. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2014 (Veröffentlichungen zur Bau- und Funktionsgeschichte der Wiener Hofburg, 2), S. 203–204.
- ↑ Moriz Dreger: Baugeschichte der k. k. Hofburg in Wien bis zum XIX. Jahrhunderte. Hg. vom kunsthistorischen Institute der k. k. Zentral-Kommission für Denkmalpflege. Wien: Anton Schroll & Co Kunstverlag 1914 (Österreichische Kunsttopographie, XIV), S. 106.
- ↑ Das Aussehen des Münzkabinetts, das damals im Raum direkt über dem Burggraben eingerichtet wurde, ist in einer 1754 erschienenen Publikation bildlich überliefert