Schubertkino
48° 13' 18.32" N, 16° 21' 15.67" E zur Karte im Wien Kulturgut
Das Schubert Kino (9., Währinger Straße 46), dessen Name an den im Himmelpfortgrund, dem heutigen Alsergrund, geborenen österreichischen Komponisten Franz Schubert erinnert, wurde 1911 vom Kinolizenzinhaber Arthur von Schleppnik[1] im ehemaligen „Schubertsaal“ gegründet. Das Schubert Kino besaß bei der Aufnahmeschrift für die Kinokonzession 1912 einen kleinen, 4,5 Meter breiten, 24 Meter langen und circa vier Meter hohen Saal, welcher Sitzplätze für 175 Zuseher bot. Das Kino musste in den 1990er Jahren schließen.
Erste Jahre: 1912−1918
Lizenz
1912[2] übernahm Dr. Egon Hellin das Kino, das er nicht nur zur Gänze besaß, sondern für das er auch die Lizenz zugesprochen bekam. 1913 baute der neue Eigentümer das Kino um und ersetzte die bisherigen Klappstühle durch Kinobänke, sodass sich die Fassungszahl auf etwa 200 Personen erhöhte.
Während des Ersten Weltkriegs war Hellin als Reserveoffizier eingesetzt, dessen Bruder Franz Hellin übernahm daher die Leitung des Betriebes, bis auch dieser am 16. August 1915 eingezogen wurde und die Vollmacht zur Leitung bis zum Ende des Krieges an einen Freund der Familie überging.[3] Im Jänner 1918 wurde der Fassungsraum des Kinosaals mit einer Sitzplatzanzahl für 177 Personen festgesetzt.[4]
Filmbrand im Schubertkino
Am 26. April 1918 entstand um 18 Uhr in der Apparatenkammer des Kinos während einer Vorstellung ein Brand mit Stichflammenwirkung, der durch das Reißen und Hängenbleiben einer Filmrolle im Filmprojektor hervorgerufen wurde. Während des Löschversuchs fielen Teile des brennenden Films auf eine ungeschlossene Aufbewahrungsbox und entzündeten weitere Filmrollen. Das Feuer wurde durch die Feuerwehr gelöscht, und die etwa 50 Besucherinnen und Besucher der Vorstellung konnten diese unbeschadet verlassen.
Zwischenkriegszeit: 1919−1938
1919 trat Dr. Egon Hellin mit seiner Lizenz des Schubert Kinos als Einlage in einen Gesellschaftsvertrag – die „Schubertkinogesellschaft“ – ein, zu der auch Leon M. Altaras gehörte.[5] Er betrieb das Kino als Kinematographenlizenzinhaber weiter, musste jedoch 1920 für die Verlängerung seiner Lizenz den Fassungsraum des Saals auf 168 Sitzplätze reduzieren, um den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestabstand von 90 Zentimetern zwischen den Sitzreihen gewährleisten zu können.[6]
Durch den Kauf aller Gesellschaftsteile der „Schubertkinogesellschaft“ wurde 1923 der ehemalige Mitgesellschafter Leon M. Altaras zum alleinigen Besitzer des Kinos. Der 1872 in Novibazar geborene Inhaber eines Damenmodegeschäfts führte den Betrieb mit Unterstützung seines Sohnes Samuel Altaras als Geschäftsführer von diesem Zeitpunkt an weiter, während Hellein noch bis 1926 Konzessionär des Betriebs blieb.[7]
Durch die Eröffnung des nahegelegenen Colosseum Kinos geriet das Schubert Kino 1925 in finanzielle Nöte und suchte 1928 bei der Magistratsabteilung 17 um eine Verlegung des Kinobetriebs in einen gegenüberliegenden Neubau der Gemeinde Wien an.[8] Da dieser Antrag jedoch abgelehnt wurde, versuchte Altaras, das Kino aufzuwerten, indem er den Saal aufwendig restaurieren ließ und den Fassungsraum auf 177 Personen erweiterte. Im Zuge des Einbaus einer Tonfilmanlage im Jahr 1931 wurde durch die Auflösung des Orchesterraums der Saal um zusätzliche zehn Sitzplätze auf 187 erweitert.[9]
NS-Zeit und „Arisierung“
Am 31. August 1938 wurde Leon M. Altaras durch einen Bescheid des Besonderen Stadtamtes II aufgrund seiner jüdischen Herkunft und mit sofortiger Wirksamkeit die Konzession entzogen.[10] Altaras wurde durch die Reichsfilmkammer zu diesem Zeitpunkt noch „nahegelegt“, seinen Betrieb, wenn möglich, zu verkaufen, da das Kino ansonsten geschlossen werden würde. Im Oktober 1938 teilte Altaras der Reichsfilmkammer mit, dass er bereit sei, seinen Betrieb zu veräußern und den Besitz „arisieren“ zu lassen.[11]
Ab dem 29. Oktober 1938 wurde für das Schubert Kino bis zu seiner Veräußerung die Allgemeine Filmtreuhand G.m.b.H als „kommissarische Leitung“ eingesetzt und durch diese Ing. Friedrich Mrozowski als Geschäftsführer bestellt, welcher für seine Position monatlich 300 RM aus dem Gewinn des Betriebs zugesprochen bekam.[12]
Ein Kaufvertrag von 30. November 1938 zwischen Leon M. Altaras und Therese Janderka, der einen Kaufpreis von 30.000 RM vorsah, wurde von der Reichsfilmkammer abgelehnt.[13] Eine „Kommissionelle Betrachtung“ des Schubert Kinos im Juni 1939 ergab zudem, dass das Kino eine „Restaurationsinvestion“ von 15.000 bis 20.000 RM benötigen würde. So wurde der Verkaufspreis auf nur noch 8.000 RM festgelegt.[14]
Am 24. Oktober 1939 erhielt Therese Janderka, welche zuvor schon vier Jahre lang Inhaberin eines „Provinz-Filmtheaters“ gewesen war,[15] einen Bescheid des Finanzsamts Alsergrund, in dem bestätigt wurde, dass der nun von ihr geführte Betrieb „Schubert-Kino“ nun unter dem neuen Namen „Schubert Lichtspiele“ angemeldet sei.[16]
Im Juni 1941 wurde die Sitzplatzanzahl des Saales kurzzeitig von 187 auf 190 erweitert, jedoch schon im August 1941 wieder auf 188 reduziert.[17] Kurz vor Kriegsende 1945 flüchtete Therese Janderka (inzwischen verheiratete Benischke) mit ihrem zweijährigen Kind aus Wien.[18]
Nachkriegszeit
Am 29. April 1945 übernahm Karl Tögl aufgrund einer Vollmacht des damaligen Wiener Vizebürgermeisters Karl Steinhardt die provisorische Leitung des „arisierten“ „Schubert Lichtspieltheaters“.[19] Am 30. Juni 1946 wurde Tögl durch die British Property Control zum öffentlichen Verwalter des Kinos ernannt.
Die nach Wien zurückgekehrte einstige „Ariseurin“ Therese Janderka versuchte in der Zwischenzeit, die Aufhebung der öffentlichen Verwaltung zu erlangen, wurde jedoch mehrfach von den Behörden zurückgewiesen. Daraufhin suchte sie beim Bundesministerium für Verwaltung und Wirtschaft (BMVW) um die Zuerkennung eines monatlichen Unterhalts aus dem Erlös des Kinos an.[20] Dem Ansuchen auf Unterhalt wurde schließlich stattgegeben.[21] Das Unternehmen sei bisher nicht von der British Property Control an das BMVW übergeben wurde,[22] Tögl sei von den österreichischen Behörden nicht bestellt worden und daher nicht als „öffentlicher Verwalter im Sinne des Verwaltergesetzes“ anzusehen.
Am 2. Dezember 1947 wurde schließlich der Kinobetriebs-, Filmverleih- und Filmproduktionsgesellschaft m.b.H. (KIBA), vertreten durch dessen Geschäftsführer Dr. Julius Primost, aufgrund des Wiener Kinogesetzes 1935, §1, G.Bl. der Stadt Wien Nr. 21, die Konzession für den Standort Währinger Straße 46 verliehen.[23]
Am 3. Mai 1948 informierte die British Property Control die Magistratsabteilung 69, dass das Schubert Kino nun von der Magistratsabteilung 69 unter Kontrolle genommen werden könne. Am 5. August desselben Jahres wurde ein Pacht- und Programmvertrag zwischen der KIBA und dem Kinounternehmen „Schubertkino“, vertreten durch dessen öffentlichen Verwalter Karl Tögl, geschlossen.[24]
Am 12. Dezember 1949 kam es zwischen Leon M. Alteras, der nach England geflohen war und in der Zwischenzeit die englische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, sowie Therese Benischke (vormals Janderka) zu einem „Rückstellungsvergleich“, durch den Benischke wieder zur offiziellen Inhaberin des Schubert Kinos wurde.[25] Karl Tögl wurde anschließend an den Rückstellungsvergleich am 22. Dezember 1949 mittels eines Folgebescheids als öffentlicher Verwalter abberufen.[26] Mehrmalige Ansuchen Benischkes um die neuerliche Verleihung der Konzession für das Kino wurden von den Behörden jedoch mit den Hinweis, dass diese bereits bei der KIBA liege, die den Betrieb des Kinos ununterbrochen führe, abgewiesen. Benischke pachtete daraufhin die Konzession der KIBA mittels „Pacht- und Programmvertrag“.
1960er Jahre bis 2006
Das Schubert Kino konnte sich noch bis in die 1990er Jahre halten, zeigte eine Zeitlang „Oldies“ und Reprisen und wurde zuletzt zum „Pornokino“.[27] Inhaber des Kinos war in dieser Zeit der Produzent Herbert Heidmann (Commerz-Film),[28] der daneben auch das Weltspiegel-Cinema Paradiso führte.[29] Heidmann produzierte unter anderem 1984 den Erotikfilm „Das französische Frühstück“ und übernahm 1992 die Produktion der Dokumentation „Die verlorenen Jahre“. Danach zog er sich aus der Spielfilmproduktion zurück und konzentrierte sich auf die Betreuung seiner Kinos.[30]
Schließung
In den 1980er Jahren wurde das Währinger Gürtelkino eine starke Konkurrenz für das Schubert Kino, sodass es schließlich in den 1990er Jahren für immer schließen musste.
Nachnutzung: Schubert Theater
Von 2006 an beherbergte das ehemalige Schubert Kino das von Lorenz Janeschitz geführte Theater „Le Petit“. Seit 2007 wird das ehemalige Kino von Simon Meusburger als „Schubert Theater“ weitergeführt.[31]
Fassungsraum
Siehe auch: Kino
Quellen
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 104, A11: 9. Schubertkino
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 119, A27 - ÖV Kino: K87 Schubert-Lichtspiele
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 471, A3/3: 9. Währinger Straße 46 Schubert-Kino
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Reichsfilmkammer, Außenstelle Wien, A1 – Kinoakten: 112 Schubert-Kino
Literatur
- Werner Michael Schwarz: Kino und Kinos in Wien. Eine Entwicklungsgeschichte bis 1934. Wien: Turia & Kant 1992, S. 237
- Michael Reutz: Sex and Crime in Austria. Produktions- und Rezeptionsgeschichte von Eddy Sallers Geißel des Fleisches und Schamlos. Dipl.-Arb. Univ. Wien. Wien 2009
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 104, A11: 9. Schubertkino: In einer Verhandlungsschrift von 1911 wurde Arthur von Schleppnik als Kinolizenzinhaber – 9., Währinger Straße 46, „Schubertsaal“ – angegeben.
- ↑ Werner Michael Schwarz: Kino und Kinos in Wien. Eine Entwicklungsgeschichte bis 1934. Wien: Turia & Kant 1992, S. 237.
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 104, A11: 9. Schubertkino, Schreiben an Niederösterreichische Statthalterei.
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 104, A11: 9. Schubertkino, Konzessionsverlängerung.
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 104, A11: 9. Schubertkino, Anwaltsbrief an M.A. 52.
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 104, A11: 9. Schubertkino, Kinolizenz-Erneuerung.
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 104, A11: 9. Schubertkino, Anwaltsbrief an M.A. 52.
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 104, A11: 9. Schubertkino, Ansuchen um Verlegen des Standortes.
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 104, A11: 9. Schubertkino, Genehmigungsbescheid der M.A. 52.
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, Reichsfilmkammer, Außenstelle Wien, A1 – Kinoakten: 112 Schubert-Kino, Bescheid des Besonderen Stadtamt II.
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, Reichsfilmkammer, Außenstelle Wien, A1 – Kinoakten: 112 Schubert-Kino, Brief an die Reichsfilmkammer Berlin.
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, Reichsfilmkammer, Außenstelle Wien, A1 – Kinoakten: 112 Schubert-Kino, Brief von Dr. Kurt Hammer/Reichsfilmkammer an Leon Altaras; sowie Wiener Stadt- und Landesarchiv, Reichsfilmkammer, Außenstelle Wien, A1 – Kinoakten: 112 Schubert-Kino, Brief von Friedrich Mrozowski an Reichsfilmkammer/ Dr. Kurt Hammer.
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, Reichsfilmkammer, Außenstelle Wien, A1 – Kinoakten: 112 Schubert-Kino, Aktenvermerk.
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, Reichsfilmkammer, Außenstelle Wien, A1 - Kinoakten: 112 Schubert-Kino, Kaufvertrag.
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, Reichsfilmkammer, Außenstelle Wien, A1 – Kinoakten: 112 Schubert-Kino, Mietvertrag.
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, Reichsfilmkammer, Außenstelle Wien, A1 - Kinoakten: 112 Schubert-Kino, Bescheid Finanzamt.
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, Reichsfilmkammer, Außenstelle Wien, A1 - Kinoakten: 112 Schubert-Kino, Bescheinigung Konzession.
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 119, A27 - ÖV Kino: K87 Schubert-Lichtspiele, Gesuch der Frau Benischke.
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 119, A27 - ÖV Kino: K87 Schubert-Lichtspiele, Mitteilung An? Gezeichnet Tögl Karl.
- ↑ Ansuchen an BMVW.
- ↑ Bescheid BMVW und BPC.
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 471, A3/3: 9. Währinger Straße 46 Schubert-Kino.
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 471, A3/3: 9. Währinger Straße 46 Schubert-Kino.
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 471, A3/3: 9. Währinger Straße 46 Schubert-Kino, Pacht- und Programmvertrag.
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 471, A3/3: 9. Währinger Straße 46 Schubert-Kino, Rückstellungsvergleich.
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 471, A3/3: 9. Währinger Straße 46 Schubert-Kino, Bescheid.
- ↑ [rafmannewsnetwork.blogspot.com/2011/02/im-interview-nikolaus-habjan.html Interview mit Nikolaus Hajian.]
- ↑ [www.filmportal.de/institution/commerz-film-herbert-heidmann-wien_beaaf74abbdf4692bb68906df083cd6b Filmportal: Commerz-Film Herbert Heidmann (Wien).]
- ↑ Michael Reutz: Sex and Crime in Austria. Produktions- und Rezeptionsgeschichte von Eddy Sallers Geißel des Fleisches und Schamlos. Dipl.-Arb. Univ. Wien. Wien 2009, S. 14.
- ↑ Michael Reutz: Sex and Crime in Austria. Produktions- und Rezeptionsgeschichte von Eddy Sallers Geißel des Fleisches und Schamlos. Dipl.-Arb. Univ. Wien. Wien 2009, S. 75.
- ↑ [www.schuberttheater.at Schubert Theater.]