Spanische Juden
Spanische Juden (Sephardim).
Anfang des 17. Jahrhunderts lassen sich in Wien vereinzelt Spanische Juden nachweisen, die Ende des 15. Jahrhunderts aus Spanien vertrieben worden waren und sich vor allem in der Türkei niedergelassen hatten (Grabsteine auf dem Judenfriedhof in der Roßau); sie blieben eine von den Wiener Juden unabhängigen Gruppe, die anfangs in Wien nicht sesshaft wurde. Erst Ende des 17. Jahrhunderts kamen sie zahlreicher, da Wien durch die Siege über die Türken einen Teil des Einzugsgebiets für seinen Südosthandel wiedergewonnen hatte. Aufgrund des Friedensvertrags von Passarowitz (1718) konnten sich türkische Untertanen und somit auch Spanische Juden in Wien niederlassen und Handel treiben; sie genossen weitgehende Steuerfreiheit, während es sonst Juden seit 1670 verboten war, sich in Wien niederzulassen. Ein Zusammenschluss zu einer Gemeinde der Spanischen Juden auf rechtlicher Basis ist vermutlich 1736 erfolgt und soll durch ein kaiserliches Patent (vermutlich beim Brand des Tempels 1824 verbrannt) verbrieft gewesen sein. Der Schöpfer dieser Gemeinde war kein türkischer Jude, sondern ein Jude aus Spanien, Diego d'Aquilar (ursprünglicher Name Moses Lopez Pereira, circa 1730-1755 in Wien nachweisbar), dem Karl VI. die Tabakpacht in den Österreichischen Ländern übertrug. In seinem Haus Stadt Konskriptionsnummer 307 versammelten sich die Spanischen Juden zum häuslichen Gottesdienst.
Zu den ersten spanischen Judenfamilien in Wien gehörten die Camondo aus Konstantinopel, Aaron Nissan, Naphtali Estenasy, Aaron Samuel Nissim, Juda Amar, Mago und Benvenisti. 1761 wohnten 469 tolerierte Juden und 17 Spanischen Juden (zumeist in ihren Handlungsgewölben) in Wien (ihre Familien lebten meist in der Türkei), 1767 zählte man 19 Spanische Juden, die bereits in Häusern von Christen wohnten. Als rechtlich anerkannte Körperschaft bestand die spanische Judengemeinde (gesichert durch ein Dokument, die sogenannten „Punkte") ab 17. Juni 1778. Anfang des 19. Jahrhunderts errichteten sie ein eigenes Bethaus samt Schule in der Leopoldstadt (2, Obere Donaustraße), das 1824 abbrannte. Das neue Bethaus befand sich ab 1825 im Haus Leopoldstadt Konskriptionsnummer 321 (Große Hafnergasse [heute Große Mohrengasse ]; 2, Taborstraße und Große Mohrengasse 3). 1843 bewilligte Ferdinand I. den Bau eines Tempels, der 1860-1868 errichtet wurde (Leopoldstadt Konskriptionsnummer 491 [Große Fuhrmanngasse, heute Zirkusgasse ]), jedoch 1885 wegen zahlreicher Baumängel demoliert und bis 1887 neu erbaut wurde. Die Synagoge des Verbandes der Türkischen Israeliten Sephardim 2, Zirkusgasse 22 wurde 1888 feierlich eröffnet. Die seit 1852 bestehende Wiener Israelitische Kultusgemeinde versuchte unter Vorgabe des Gesetzes von 25. Mai 1868 die Unterstellung der spanischen Judengemeinde zu erwirken und verlangte die Zahlung von Mitgliedsbeiträgen, worauf die Spanischen Juden während der langwierigen Verhandlungen mit dem Innen- und Außenministerium Zuflucht in der türkischen Botschaft suchten.
Durch das Judengesetz von 21. März 1890 verlor die spanische Judengemeinde ihre Selbständigkeit, durfte jedoch ihre Synagoge in der Zirkusgasse behalten, in dem sie ihr rituelles Eigenleben weiterführte. Die Kluft zwischen den beiden Judengemeinden blieb bestehen. 1891 versuchte die niederösterreichische Statthalterei einen Kompromiss zu erwirken, 1909 wurde ein Regulativ geschlossen, wodurch den Spanischen Juden innerhalb des Verbands der Israelitischen Kultusgemeinde ihre rituelle Autonomie gewährt und ihnen die Ernennung ihrer Religionsdiener sowie die Sicherung ihrer Besitzrechte garantiert wurde. Trotz dieser Sonderstellung blieben weiterhin Differenzen bestehen. 1915 wurden noch 1.000 Spanische Juden in Wien gezählt. 1918 gelang es den Spanischen Juden, die Selbständigkeit ihrer Gemeinde nochmals herzustellen (Beschluss von 6. November. 1918 [Gemeindeautonomie und Loslösung von der Israelitischen Kultusgemeinde]). Das Jahr 1938 setzte der spanischen Judengemeinde ein Ende; am 10. November 1938 (Novemberpogrom) wurde der türkische Tempel in der Zirkusgasse niedergebrannt.
Literatur
- Ferdinand Opll / Karl Rudolf: Spanien und Österreich. Wien: Jugend und Volk 1991
- Ferdinand Opll, Karl Rudolf: Spanien und Wien. In: Wiener Geschichtsblätter. Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 46 (1991), Beiheft 3 (Auch als Veröffentlichung des Wiener Stadt- und Landesarchivs, Reihe B, Heft 34 (1991) erschienen)
- Rudolf Till: Geschichte der Spanischen Juden in WIien. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien. Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 1947, S. 108 ff.