Das Verlassenschaftsverfahren ist ein gerichtliches Verfahren im österreichischen Recht, das der Feststellung des Vermögensstandes der Verlassenschaft und der Übergabe an den Erben dient.
Die wichtigsten Aktenteile sind:
- Todesfallaufnahme (früher Todfallsaufnahme): Erfassung der Daten des Verstorbenen, von erbberechtigten Verwandten, letztwilligen Verfügungen, von Vermögenswerten und/oder Schulden, sowie die Übernahme dieser eventuellen letztwilligen Verfügungen durch den Gerichtskommissär.
- Erbantrittserklärung: die Erben werden aufgefordert zu erklären, ob und wie sie die Erbschaft annehmen oder ausschlagen wollen, und ihr Erbrecht auszuweisen (indem sie angeben, ob sie sich auf die gesetzliche Erbfolge, auf ein Testament oder Erbvertrag stützen).
- Einantwortung: Ende des Verfahrens im Normalfall. Dadurch tritt der Erbe in alle Rechte und Pflichten des Erblassers (allenfalls je nach Art der abgegebenen Erbantrittserklärung nur im Umfang der Verlassenschaftsaktiva) ein.
Sind Aktiven der Verlassenschaft nicht vorhanden oder übersteigen sie nicht den Wert von 4.000 Euro und sind keine Eintragungen in öffentliche Bücher (Grundbuch, Firmenbuch) erforderlich, so unterbleibt die Abhandlung, wenn kein Antrag gestellt wird. Nach dem alten Außerstreitgesetz sprach man von der Abtuung armutshalber. Das neue Außerstreitgesetz spricht von Unterbleiben der Abhandlung.
Zuständigkeiten in Wien
Bis 1849 war zur Durchführung der Verlassenschaftsabhandlung die Grundherrschaft zuständig, in deren Sprengel der Verstorbene gewohnt hatte, im Wiener Burgfrieden demnach alternativ die Stadtgemeinde (der Magistrat) sowie beispielsweise das Schottenstift, das landesfürstliche Vizedomamt oder das Bürgerspital. Das Verfahren begann mit der "Sperre" (amtliche Sicherstellung), Inventarisierung (der wir beispielsweise im Vormärz wegen der Zensur komplette Bücherlisten zu verdanken haben) und Schätzung des Nachlasses durch Beamte des grundherrschaftlichen Gerichts, worüber ein Protokoll (die "Sperr-Relation") aufgenommen wurde. Dann erfolgte die Ermittlung der Erben, entweder anhand eines (mündlich bezeugten oder schriftlichen) Testaments, eines Erbvertrags oder (wenn solche Dokumente nicht vorlagen) durch Feststellung des nächsten Blutsverwandten. Mit der Einantwortung (das heißt der Aufhebung der Sperre und Ausfolgung des Nachlasses an die Erben) war das Verfahren abgeschlossen. An den Grundherrn waren bestimmte Abgaben (Mortuarium oder Todfallsaufnahme, Laudemium oder Anleit) und Taxen (Verwaltungsgebühren) zu entrichten.
Dem Wiener Stadtgericht unterstanden ursprünglich Bürger, Inwohner und Tagwerker, jedoch nicht der Adel, fremde Untertanen, Hofbefreite, Angehörige der Universität und der Klerus. Die Reformen Kaiser Josephs II. brachten wesentliche Änderungen für die städtische Verwaltung und Gerichtsbarkeit. 1782 und 1783 wurde das Stadtgericht in erster Instanz zuständig für alle nichtadeligen Personen, die innerhalb des Linienwalls wohnten, ausgenommen diejenigen, die noch einer fremden Gerichtsbarkeit unterstanden.
Seit der Aufhebung der Grundherrschaften (1848) werden die Verlassenschaftsabhandlungen durch das zuständige staatliche Bezirksgericht abgewickelt.[1]
Nicht vom Bezirksgericht abgewickelt wurden Angehörige des niederösterreichischen Landrechts (Adelige), deren Verlassenschaftsabhandlungen im Bestand der niederösterreichischen Landtafel zum größten Teil beim Brand des Justizpalastes 1927 vernichtet wurden. Restbestände befinden sich im Österreichischen Staatsarchiv. Ebenso werden Verlassenschaften der Inhaber von beim Handelsgericht protokollierten Firmen von 1856 bis 1932 vom Handelsgericht abgehandelt.[2]
Zuständig für alle Auslandsösterreicher ist das Bezirksgericht Innere Stadt.
Tabelle: Zuständige Behörden und Archive
Für Verlassenschaftsabhandlungen in Wien zuständige Behörden und Archive[3]
Personenkreis | zuständige Behörde | Verwahrung des Schriftgutes heute |
Mitglieder des Kaiserhauses und regierender/fürstlicher Häuser | Hofkanzlei bzw. Staatskanzlei, Obersthofmaschallamt (1783-1918) |
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Personenkreis | Zuständigkeiten in Wien bis 1783 | Verwahrung des Schriftgutes heute |
Behördenchefs und Beamte der landesfürstlichen Zentralbehörden, Angehörige des Hofstaates und Hofbedienstete | Obersthofmarschallamt (bis 1783; 1749-1763 Niederösterreichische Regierung) |
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Angehörige der Hofjägerei | Oberstjägermeisteramt (bis 1749, danach Niederösterreichische Regierung) |
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Niederösterreichische Landstände, Beamte der landständischen Verwaltungen in Österreich unter der Enns | Landmarschallamt (ab 1764 "altes" Niederösterriechisches Landrecht) 1500-1783 |
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Landesfürstliche Landesbeamte, nicht-landsässige Adelige, Neuadelige, höhere Geistlichkeit, kaiserliche Pfarrer und Benefiziaten, Großkaufleute | Niederösterreichische Regierung (bis 1783) |
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Bedienstete der Reichskanzlei und des Reichshofrats, Reichshofratsagenten, Residenten von Reichsständen | Reichskanzlei und Reichshofrat (bzw. Justizkommission) |
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Rechtssachen von Exterritorialen (1754 bis 1767) | Obersthofmarschallamt | |
Niedere Geistliche der Diözesen Wien und Passau (österreichischer Anteil) | Passauisches Offizialat und Wiener erzbischöfliches Konsistorium |
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Angehörige der Universität Wien (und bestimmte Professionisten) | Universitätskonsistorium |
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Stadtbürger | Stadt Wien |
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Untertänige Bevölkerung | Zuständige Grundherrschaft |
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Personenkreis | Zuständigkeiten in Wien von 1783 bis 1850 | Verwahrung des Schriftgutes heute |
Adelige, Geistliche und sonstige Privilegierte | ("Neues") Niederösterreichisches Landrecht |
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"Unadelige" | zuständiges Ortsgericht
a) Bürger und Einwohner: Magistratisches Zivilgericht b) untertänige bäuerliche Bevölkerung: zuständige Grundherrschaft |
a) WStLA, Magistratisches Zivilgericht b) Herrschaftsarchive:
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Personenkreis | Zuständigkeiten in Wien ab 1850 | Verwahrung des Schriftgutes heute |
Adelige | Landesgericht für Zivilrechtssachen[6] |
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Gesamte Wohnbevölkerung (außer Firmenbesitzer) | zuständige Bezirksgerichte | |
Firmenbesitzer | Handelsgericht Wien |
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Personenkreis | Zuständigkeiten in Wien bis 1869 | Verwahrung des Schriftgutes heute |
Soldaten und Offiziere der kaiserlichen bzw. k.k. Regimenter, Korps und Anstalten | Regiments-, Korps- und Anstaltsgerichte |
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Generäle, Offiziere ab Oberst, außerhalb der Regimenter dienende Offiziere und Zivilbedienstete | Hofkriegsrat (Justizabteilung), ab 1753 niederösterreichisches Judicium delegatum militare-mixtum beim Generalkommando |
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Quellen
Verlassenschaftsabhandlungen im Wiener Stadt- und Landesarchiv:
1508 bis 1783
Patrimoniale Justiz und Verwaltung: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Patrimoniale Verwaltung und Justiz
Bis 1783
Alte Ziviljustiz: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Städtische Justizbehörden, Alte Ziviljustiz | 1548-1783
1783 bis 1850
Magistratisches Zivilgericht: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Städtische Justizbehörden, Magistratisches Zivilgericht
Ab 1850
Bezirksgerichte: Die Verlassenschaftsabhandlungen aus den Bezirksgerichten werden aus dem jeweils zuständigen Bezirksgericht nach Abteilung bestellt (siehe Geschäftseinteilungen). Die Zuständigkeit des Bezirksgerichts richtet sich nach der letzten Wohnadresse, die Zuständigkeit der Abteilung nach dem Anfangsbuchstaben des Familiennamens.
Handelsgericht: Die Verlassenschaftsabhandlungen des Handelsgerichts liegen in zwei Serien. Eine Bestellung erfolgt mit Angabe von Jahr und Aktenzahl aus dem Namensverzeichnis (s.u.); ab dem Jahr 1857 sind die Verlassenschaftsabhandlungen des Handelsgerichts einzeln erschlossen und können direkt bestellt werden.
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Handelsgericht, A2: A – Verlassenschaftsabhandlungen 1854-1897
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Handelsgericht, A11: A – Verlassenschaftsabhandlungen 1898-1932
Namensverzeichnisse 1856 bis 1931:
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Handelsgericht, B86, Band 1 (1856-1897 (-1899))
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Handelsgericht, B86, Band 2 (1898-1918)
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Handelsgericht, B86, Band 3 (1919-1920)
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Handelsgericht, B86, Band 4 (1921-1931)
Weblinks
- familysearch.org: Digitalisate der Officiosa des Magistratischen Zivilgerichts (Wiener Stadt- und Landearchiv, Magistratisches Zivilgericht, B1)
Literatur
- Hellmuth Feigl: Die niederösterreichische Grundherrschaft. In: Forschungen zur Landeskunde von Niederösterreich 16 (1964) (Register)
- Helmuth Feigl: Quellen zur Regional- und Lokalgeschichte im Niederösterreichischen Landesarchiv mit besonderer Berücksichtigung des Waldviertels. In: Schriftenreihe des WHB, Krems: 1988, S. 9-32.
- Michael Hochedlinger / Irmgard Pangerl: "Mein letzter Wille". Kulturhistorisch bedeutende Testamente und Verlassenschaftsabhandlungen in Wiener Archiven (16.-18. Jahrhundert), Wien 2004 (Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs, Reihe C: Sonderpublikationen 10).
- Michael Hochedlinger: Archivalischer Vandalismus? Zur Überlieferungsgeschichte frühneuzeitlicher Testamente und Verlassenschaftsabhandlungen in Österreich. In: Archivalische Zeitschrift 84. Band Köln/Weimar/Wien 2001 S. 289 - 364
- Walter Sauer: Grund-Herrschaft in Wien 1700-1848. In: Kommentare zum Historischen Atlas von Wien 5 (1993), S. 32
Einzelnachweise
- ↑ Reichsgesetzblatt vom 28. Juni 1850, Gesetz über das Verfahren der Verlassenschafts-Abhandlungen, dann in Vormundschafts- und Kuratelangelegenheiten
- ↑ Kaiserliche Verordnung vom 21. Dezember 1855 betreffend die Competenz-Erweiterung der Handelsgerichte Wien und Triest auf Rechtsangelegenheiten außer Streitsachen, RGBl. 2/1856 sowie 6. Bundesgesetz von 23. Dezember 1931 über Änderungen des Verfahrens in bürgerlichen Rechtsangelegenheiten (Siebente Gerichtsentlastungsnovelle), BGBl. 6/1932)
- ↑ Basierend auf: Michael Hochedlinger / Irmgard Pangerl: "Mein letzter Wille". Kulturhistorisch bedeutende Testamente und Verlassenschaftsabhandlungen in Wiener Archiven (16.-18. Jahrhundert), Wien 2004 (Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs, Reihe C: Sonderpublikationen 10), S. 16 f.
- ↑ Der Link führt auf den ersten Karton.
- ↑ Nachschlagebücher im HHStA:
- ↑ Helmuth Feigl: Quellen zur Regional- und Lokalgeschichte im Niederösterreichischen Landesarchiv mit besonderer Berücksichtigung des Waldviertels. In: Schriftenreihe des WHB, Krems: 1988, Seiten 9-32.