Enquete für den Wiederaufbau der Stadt Wien
Vorgeschichte
In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, die auch maßgeblich durch die Alliierte Besatzung (1945-1955) geprägt war, stellte der Wiederaufbau Wiens eine essentielle Herausforderung dar. Dabei spielte das Wiener Stadtbauamt eine wichtige Rolle. Schon unmittelbar nach Kriegsende im Frühjahr 1945 entwarf Stadtbaudirektor Johann "Hans" Gundacker ein Programm für den Wiederaufbau Wiens. Zur obersten Priorität erklärte er die Freimachung und Instandsetzung wichtiger Verkehrsflächen, die Wiederherstellung der Energie- und Wasserversorgung und des Abwassersystems sowie die Reparatur von Straßenbahnen und Autobussen.
Die Enquete 1945/46
Die Enquete versammelte sich das erste Mal am 9. Juli 1945 im Sitzungssaal des Stadtsenats. Der Wiener Bürgermeister Theodor Körner eröffnete die Sitzung, rund 170 Fachleute nahmen daran teil. Darunter befanden sich Delegierte des Bundesministeriums für Handel, für Wiederaufbau, für Land- und Forstwirtschaft sowie für soziale Verwaltung, aber auch Repräsentantinnen und Repräsentanten des Staats, der Sicherheitsbehörden, der Niederösterreichischen Landsmannschaft, des Magistrats der Stadt Wien, der Österreichischen Eisenbahnen, städtischer Unternehmungen von Wien, von Hochschulen, Kammern, Innungen und anderen Einrichtungen.
Vorsitzender der Enquete war der amtsführende Stadtrat der Geschäftsgruppe Stadtbauamt Anton Weber, die Geschäftsführung übernahm Hermann Maetz. Die Enquete war in neun Fachkomitees aufgespalten.
- Stadtplanung
- Verkehr
- Eisen- und Straßenbahn
- Architektur und Stadtbild
- Bauordnung
- Technisch-konstruktive Fragen
- Energie , Wirtschafts- und Ingenieurbauten
- Bauwirtschaft
- Baufinanzierung
Diese gliederten sich wiederum in 32 Arbeitsausschüsse.
Die Enquete verfügte über keine Entscheidungsbefugnisse, sondern arbeitete Anregungen aus. Ziel dieser Beratungen, die bis 23. Jänner 1946 stattfanden, war die Vorbereitung von geordnetem Wiederaufbau und einer zielgerichtete Stadtentwicklung. Dabei sollte nicht bloß der Wiederaufbau der Stadt im Vordergrund stehen, sondern auch eine strukturelle Verbesserung und ein langfristiger und nachhaltiger Plan für den Wiederaufbau erreicht werden.
Konkret standen dabei die Auflockerung der eng besiedelten Stadt und die Koordinierung Wiens mit seiner Umgebung im Vordergrund. In den einzelnen Fachkomitees wurde eine Revision des Bauzonenplans und eine Überarbeitung der Bauordnung als vordringlich erachtet. Auch die Definition von historischen Schutzzonen und der Naturschutz (Erhaltung von Prater und Lobau) fanden Berücksichtigung. Im Fachkomitee für Ingenieurbauten war der Hochwasserschutz ein besonders Thema. Im Allgemeinen überwog ein stark technikgläubiger Zugang zur Stadtplanung, im Besonderen im Bereich des Individualverkehrs (Planung von Durchzugsstraßen, Tankstellen) dem eine große Rolle für die Stadtentwicklung zugesprochen wurde. Hinsichtlich der Stadterweiterung lag das Hauptaugenmerk auf der Entwicklung und Anbindung von Transdanubien. Im öffentlichen Verkehr war die weitere Elektrifizierung das Hauptthema. Auch der Bau von Kraftwerken und eines neuen Flughafens wurde bereits angedacht.
14 Punkte für den Wiederaufbau
Abschließend veröffentlichte die Enquete ein 14-Punkte-Programm, worin Ideen und Vorschläge zum Wiederaufbau zusammengefasst waren. Darin wurde der Wiederaufbau in drei Phasen gegliedert: Das Sofortprogramm, das Wiederaufbauprogramm und das Zukunftsprogramm. Das Programm der Enquete wurde stark von den Architekten Franz Schuster und Rudolf J. Boeck beeinflusst.
Die 14 Punkte des Programms[1]:
- Der Mensch steht im Mittelpunkt aller Überlegungen und Planungen im Wiederaufbau
- Schaffung der gesetzlichen, verwaltungstechnischen Grundlagen für den Wiederaufbau
- Landesplanung für den Wiederaufbau
- Die Stadt muss aufgelockert werden
- Die Stadt muss entmischt werden
- Bewusste Grünflächenpolitik
- Bauberatung
- Standardisierung und Normung
- Organischer Wiederaufbau: nicht "wieder" aufbauen, sondern "besser" aufbauen
- Vergrößerung der Fläche Wiens
- Hauptgesichtspunkte der Fachkommittees der Enquete für Stadtregulierung, Architektur und Stadtbild und Bauordnungsfragen
- Hauptgesichtspunkte der Fachkommittees der Enquete für Ingenieurbauten und Verkehrsfragen
- Hauptgesichtspunkte der Fachkommittees der Enquete für technisch-konstruktive Fragen und Energiewirtschaft
- Hauptgesichtspunkte der Fachkommittees der Enquete für Bauwirtschaft und Finanzierung
Beirat für Wiederaufbau
Nach der Enquete beschloss der Stadtsenat die Einsetzung eines „Beirates für den Wiederaufbau“ unter Vorsitz Stadtrats Anton Weber zur weiteren Behandlung der Enqueteergebnisse, worin Spezialistinnen und Spezialisten für die neun Fachgebiete der Enquete deren Aufgaben weiterführten. Die Nichtberücksichtigung von Empfehlungen des Beirates seitens des Magistrats der Stadt Wien bedurften einer schriftlichen Begründung.
1951 erarbeitete der Architekt Karl Heinrich Brunner erneut ein ‘Acht-Punkte-Programm Programm zur Erneuerung der Stadt Wien‘ erarbeitet, das ebenfalls die Auflockerung der Stadt zum Ziel hatte.
Literatur
- Marcus Denk: Zerstörung als Chance? Städtebauliche Grundlinien, Leitbilder und Projekte in Wien 1945-1958. Duisburg / Köln: WiKu-Verlag 2008, S. 127 ff.
- Wilhelm Kainrath: Die Bandstadt. Städtebauliche Vision oder reales Modell der Stadtentwicklung? Wien: Picus Verlag 1997, S. 91.
- Gottfried Pirhofer, Kurt Stimmer: Pläne für Wien. Theorie und Praxis der Wiener Stadtplanung von 1945 bis 2005. Wien: Stadt Wien 2007, S. 28 f.
- Stadtbauamt Wien [Hg.]: 14 Punkte für den Wiederaufbau. Kurzer Auszug aus den Hauptgerichtspunkten der Enquete für den Wiederaufbau der Stadt Wien. Juli 1945 bis Jänner 1946. Wien: Stadtbauamt 1946.
- Rudolf Zunke: Wiener Stadtplanung in der Wiederaufbauära nach dem Zweiten Weltkrieg. (Dipl.Arb., Univ.Wien), Wien 1993
Einzelnachweise
- ↑ Stadtbauamt Wien [Hg.]: 14 Punkte für den Wiederaufbau. Kurzer Auszug aus den Hauptgerichtspunkten der Enquete für den Wiederaufbau der Stadt Wien. Juli 1945 bis Jänner 1946. Wien: Stadtbauamt 1946