Hannah Fischer
Hannah Fischer, * 27. September 1925 Wien, † 28. September 2016 Wien, Kindergartenpädagogin, Psychologin, Lehrerin, Schulleiterin.
Biografie
Herkunftsfamilie und Kindheit in Wien
Hannah Fischer und ihr Zwillingsbruder Rafael Erwin kamen 1925 in Wien zur Welt. Ihre Eltern waren die aus dem Rheinland stammende Louise Fischer (1889–1954), geborene Treu, und der aus Bratislava gebürtige Béla Fischer (1883–1957). Die beiden hatten einander 1923 am zionistischen Kongress in Karlsbad kennengelernt, an dem Louise Fischer als Journalistin teilgenommen hatte. Béla Fischer war während des Ersten Weltkriegs als Seelsorger der Heilanstalten des Roten Kreuzes tätig gewesen, später arbeitete er als Spitalsrabbiner für die Israelitische Kultusgemeinde. Das Paar heiratete am 12. November 1924 in Wien. Im Unterschied zu ihrem eher konservativen Ehemann war Louise Fischer eine progressive, politisch interessierte Frau, die auch nach der Eheschließung berufstätig blieb und als Journalistin unter anderem für kommunistische Zeitungen schrieb. Nach der Geburt der Kinder lebte sie für einige Zeit getrennt von ihrem Mann in Deutschland, kehrte aber nach Wien zu ihm zurück.
Hannah Fischer erlebte als Kind die Repressalien, denen ihre Mutter ausgesetzt war. In der Zeit des Dollfuß-Schuschnigg-Regimes fand in der elterlichen Wohnung eine Hausdurchsuchung statt und Louise Fischer, die für die Rote Hilfe aktiv war, wurde 1935 für einige Monate inhaftiert. Ab 1936 war sie für eine Organisation tätig, die in Zusammenarbeit mit der Israelitischen Kultusgemeinde jüdische Mädchen und Frauen als Hausgehilfinnen nach Großbritannien vermittelte. Als es nach dem sogenannten "Anschluss" erneut zu einer Hausdurchsuchung und Verhören kam, organisierte Louise Fischer die Ausreise ihrer Kinder und flüchtete selbst über diese Stellenvermittlung nach England. Béla Fischer wurde im Juni 1938 verhaftet und zunächst in das Konzentrationslager Dachau, später in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht. Zwar wurde er 1939 entlassen, doch war zu diesem Zeitpunkt keine Einreise nach Großbritannien mehr möglich. Er flüchtete per Schiff über Rumänien nach Palästina, war bis Kriegsende allerdings auf Mauritius interniert und konnte sich erst danach in Palästina niederlassen, wohin ihm Louise Fischer nach dem Krieg folgte. Das Ehepaar lebte bis an sein Lebensende in Israel. Die Zwillinge sollten ihren Vater nach 1938 nicht wiedersehen.
In Wien besuchte Hannah Fischer zunächst die Volksschule in der Speisinger Straße. Nach antisemitischen Anfeindungen durch Kinder und Lehrende wechselte sie in die Volksschule in der Lainzer Straße, anschließend ging sie in das Chajes-Gymnasium in Wien.
Exil
Im September 1938 gelangte Hannah Fischer gemeinsam mit ihrem Zwillingsbruder über eine von ihrer Mutter organisierte Kinderverschickung nach England. Die Geschwister waren im ersten Jahr in einem Kinderheim in der Küstenstadt Deal untergebracht, danach in unterschiedlichen Heimen – nach Geschlecht getrennt – in London. Louise Fischer konnte einen Monat nach ihren Kindern Wien verlassen und fand in London eine Anstellung als Spitalsköchin. Trotz der räumlichen Nähe waren persönliche Treffen kaum möglich und Hannah Fischer stand mit ihrer Mutter hauptsächlich brieflich in Kontakt. Dank eines Stipendiums konnte Hannah Fischer die Badminton School in Bristol besuchen und machte dort 1941 ihren Abschluss. Anschließend ging sie nach London und arbeitete zunächst als "Trainee" in den Hampstead War Nurseries von Anna Freud und lernte über sie psychoanalytische Zugänge kennen. Ab Jahresbeginn 1944 war sie gruppenleitende Pädagogin in der "Austrian Day Nursery", dem Kindergarten des Austria Centres in London. Zudem engagierte sie sich in "Young Austria", der Jugendgruppe des Austrian Centre.
Rückkehr und Wirken in Wien
Im September 1946 kehrte Hannah Fischer nach Österreich zurück und arbeitete zunächst ein Jahr lang in einem Betriebskindergarten der USIA (einem Verbund zur Verwaltung des sowjetischen Vermögens in Österreich) in Schwadorf. Nach ihrer Rückkehr war sie der KPÖ beigetreten, der sie bis 1968 angehörte. Danach nahm sie die SPÖ-Mitgliedschaft an. Da ihre in England erworbene Ausbildung nicht anerkannt wurde, musste Hannah Fischer eine Befähigungsprüfung für Kindergärtnerinnen ablegen und erst danach, ab 1947, war sie bis 1952 in einem Kindergarten der Stadt Wien tätig. Ebenfalls 1947 inskribierte sie sich an der Universität Wien und studierte neben ihrer hauptberuflichen Tätigkeit als Kindergärtnerin Pädagogik und Psychologie. Sie dissertierte mit einer Arbeit über das ein- bis zweijährige Kind und wurde 1952 zur Dr. phil. promoviert. Ab 1957/1958 arbeitete Hannah Fischer als Kinderpsychologin und Erziehungsberaterin im Zentralkinderheim der Stadt Wien. An der 1960 erschienenen Broschüre "Wiener Säuglingsfürsorge", einem Ratgeber für werdende Mütter, hatte sie wesentlichen Anteil. Ab 1967 lehrte sie an der Bildungsanstalt für Kindergartenpädagogik (heute: bakip21), deren Leitung sie von 1984 bis zu ihrer Pensionierung 1990 innehatte.
Die Arbeit mit Anna Freud hat Hannah Fischers berufliches Wirken nachhaltig geprägt und die beiden Frauen standen über viele Jahre in losem Kontakt zueinander. Bereits 1971 regte Fischer die Gründung eines Anna-Freud-Kindergartens an, der 1980 den Betrieb in der Gersthofer Straße 125-129 in Währing aufnahm und 1981 feierlich eröffnet wurde. Fischer engagierte sich von 1986 bis 2002 zudem in einem Projekt, das saharauische Frauen zu Kindergärtnerinnen für die Westsahara ausbildete. Ab 2002 trat sie auch als Zeitzeugin auf und war in der Exilforschung aktiv. Über viele Jahre gab sie zudem ehrenamtlich Lernhilfe für Kinder mit nicht deutscher Erstsprache.
Hannah Fischer, die zeitlebens unverheiratet blieb, zog ab 1962 ihren Adoptivsohn Franz groß.
Werke
- Wiener Säuglingsfürsorge. Herausgegeben vom Jugendamt der Stadt Wien. Wien: 1960
- Hannah Fischer: Das ein- und zweijährige Kind im Tagesheim. Ein Beitrag zur Pädagogik der Kleinkinderkrippe. Wien: Verlag für Jugend und Volk 1960
Quellen
Literatur
- Ilse Korotin [Hg.]: biografiA. Lexikon österreichischer Frauen. Band 1. Wien: Böhlau 2016, S. 828
- Sandra Wiesinger-Stock: Hannah Fischer – "Das Exil war meine Universität". Schülerin Anna Freuds, Kinderpsychologin und psychoanalytisch orientierte Pädagogin. Wien: Mandelbaum 2016
- Theodor Kramer Gesellschaft: Wir trauern um Hannah Fischer, 2016 [Stand: 14.06.2024]
- Hannah Fischer: Der lange Weg vom Traum zur Wirklichkeit. Zur Entstehung des Anna Freud Kindergartens. In: Vom Weggehen. Zum Exil von Kunst und Wissenschaft. Hg. von Sandra Wiesinger-Stock / Erika Weinzierl / Konstantin Kaiser. Wien: Mandelbaum Verlag 2006, S. 277–280
- Centropa: Interview von Tanja Eckstein mit Hannah Fischer, 07.2004 [Stand: 14.06.2024]
- Traude Bollauf: Kinder-Emigration: Anpassung an eine fremde Welt. Am Beispiel zweier Wiener Geschwisterpaare. Dipl.-Arb. Univ. Wien. Wien 2003
Hannah Fischer im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.