Karin Michaëlis, * 20. März 1872 Randers (Dänemark), † 11. Jänner 1950 Kopenhagen, Journalistin, Schriftstellerin.
Biografie
Herkunft und frühe Jahre
Geboren als Kathrine Marie Bech Brøndum war sie eines von fünf Kindern von Jacob, einem Telegraphenbeamten und bedeutenden Freimaurer, und Nielsine Brøndum. In ihrer Kindheit hatte sie mit Hänseleien aufgrund ihres Schielens zu kämpfen. Auch eine Operation konnte die Fehlstellung aber nicht vollkommen beseitigen. Um Konzertpianistin zu werden, studierte sie zunächst Musik und Kunst in Kopenhagen, fing gleichzeitig aber auch mit dem Schreiben an. 1893 lernte sie Sophus Michaëlis kennen und ging eine Beziehung mit ihm ein. Aufgrund seiner weiterhin ausgelebten sexuellen Kontakte erkrankte sie an Gonorrhöe, was bei ihr zu dauerhaften gesundheitlichen Problemen und Unfruchtbarkeit führte. Sie verlobten sich im Oktober 1894 und heirateten ein Jahr später. Sie nannte ihn "Tao", während er ihren Namen zu Karin abkürzte und ihr den Spitznamen "Trold" gab. 1906 baute sich das Ehepaar Michaëlis auf der Insel Thurø ein Haus, das Sophus Michaëlis "Torelore" nannte.
Nach der Eheschließung versuchte Michaëlis als Schriftstellerin Fuß zu fassen. Der Durchbruch gelang ihr 1902 mit "Das Kind", gefolgt von dem Roman "Das Schicksal der Ulla Fangel" (1903), der in 22 Sprachen übersetzt wurde. Vor allem von Frauen gern gelesen, war das Buch in Deutschland nach 14 Tagen vergriffen und wurde mehrmals neu aufgelegt. Auch Rainer Maria Rilke zählte es zu seinen Lieblingsbüchern und verfasste eine schmeichelhafte Rezension. Mit "Das gefährliche Alter" erschien 1905 ihr Buch über die Wechseljahre der Frau, das von der Kritik regelrecht zerrissen wurde. Michaëlis traf dies hart, weil die Ablehnung vor allem von Frauen kam, die meinten, dass ihre Darstellung der Frau in den Wechseljahren den Emanzipationsbestrebungen schaden würde, was von männlichen Kritikern bestätigt wurde.
Vortragsreisen, Wienaufenthalte und der Schwarzwald'sche Kreis
Am 13. Jänner 1911 reiste Karin Michaëlis auf ihrer Vortragsreise von Berlin nach Wien und wurde von Eugenie Schwarzwald am Bahnsteig erwartet. Zwischen den beiden Frauen entwickelte sich eine lebenslange Freundschaft. Während ihrer Zeit in Wien lebte Michaëlis bei Eugenie und Hermann Schwarzwald in deren Wohnung in der Josefstädter Straße, die ein Treffpunkt für Vertreterinnen und Vertreter des kulturellen, liberalen und jüdischen Wiens war und in der herausragende Persönlichkeiten aus Kunst, Kultur und Politik verkehrten. In diesem Künstlerkreis knüpfte Karin Michaëlis zahlreiche Freundschaften und Kontakte, etwa zu Adolf Loos, der ihr ergebener Freund wurde und Oskar Kokoschka, der ein Bild von ihr anfertigte, das im Berliner Journal "Der Sturm" erschien, ihr dem Vernehmen nach aber nicht gefiel.
Nach einer erneuten Affäre ihres Mannes reichte Karin Michaëlis 1911 die Scheidung ein und verliebte sich kurze Zeit später in den um neun Jahre jüngeren US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Charles Stangeland, den sie im Februar des darauffolgenden Jahres heiratete. Die Ehe war von Beginn an konfliktbehaftet, da Stangeland auf einer zunehmenden Isolation von ihrer Familie und ihren Freunden bestand und auch mit ihren Aufenthalten in Wien und vor allem mit ihrem intimen Kontakt zum Schwarzwald'schen Kreis nicht einverstanden war. Da Charles Stangeland berufsbedingt hauptsächlich im Ausland lebte und mehrmals versetzt wurde, hielt sich Michaëlis – ohne sein Wissen – immer wieder für längere Zeit in Wien auf. Mit Hilfe von Eugenie Schwarzwald fand sie eine Stellung bei der Wiener Zeitung "Die Zeit".
1912 gestand ihr der ebenfalls zum Schwarzwald'schen Kreis gehörende junge Ingenieur Karl Blau seine Liebe – aber ohne Erfolg. Schwierig dürfte das Verhältnis zu Peter Altenberg gewesen sein, dennoch nahm Michaëlis 1919 an seinem Begräbnis teil. Freundschaft schloss sie hingegen mit Karl Kraus, zu dessen Vorlesung sie Adolf Loos begleitet hatte. Michaëlis schrieb für die dänische Wochenzeitung "København" eine Darstellung dieses Auftritts und gab Karl Kraus damit zum ersten Mal einen öffentlichen Auftritt in der Presse, da die Wiener Presse seine Werke und Lesungen ansonsten nicht erwähnte. Im Herbst 1912 kam Michaëlis wegen einer gemeinsamen Lesung mit ihrem langjährigen Freund, dem Journalisten und Schriftsteller Peter Nansen, nach Wien und die beiden waren bei Arthur Schnitzler in der Sternwartestraße zu Gast, wo sie auch Felix Salten und dem Ehepaar Beer-Hofmann begegneten. Obwohl das Zusammentreffen von keinem der Beteiligten als großer Erfolg empfunden wurde, blieb der Kontakt aufrecht. 1913 übersendete Schnitzler Michaëlis seine Novelle "Beate und ihr Sohn", die gewisse Ähnlichkeiten mit ihrem drei Jahre vorher erschienenen Buch "Das gefährliche Alter" hat.
Soziales Engagement während des Ersten Weltkriegs und der Zwischenkriegszeit
Während ihres Wien-Aufenthalts Ende 1915 besuchte Michaëlis zahlreiche Flüchtlings-und Kriegsgefangenenlager in Wiens Umgebung, genauso wie eine Waffenfabrik, um sich ein Bild über den Krieg zu verschaffen. Von ihrem Plan, die Front zu besuchen, kam sie allerdings ab. Sie war schockiert über die Armut und die Spuren, die der Krieg bei ihren Freunden hinterlassen hatte: Adolf Loos hatte aufgrund des schlechten Essens ein Magengeschwür, Oskar Kokoschka war schwer verletzt von seinem Einsatz an der Front zurückgekehrt und auch mit Rainer Maria Rilke, der von den Kriegsgeschehnissen schwer gezeichnet war, pflegte sie Kontakt. Im Sommer 1918 traf sie im Schwarzwald'schen Kreis auf Maria Lazar, mit der sie ebenfalls ein Leben lang freundschaftlich verbunden blieb. Michaëlis brachte Lazar Dänisch bei und diese übersetzte infolgedessen Michaëlis' Werke ins Deutsche.
Des Weiteren traf sie auf die 18-jährige angehende Schauspielerin Helene Weigel, der sie zu einem Vorsprechen beim Direktor der Volksbühne, Arthur Rundt, verhalf und darüber in der Vossischen Zeitung vom 26. Mai 1919 berichtete. So verhalf sie Weigel vermutlich zu ihrem ersten Engagement in Frankfurt. Im Sommer 1919 kehrte sie nach Dänemark zurück, um an ihrem Roman "Die große Beichte" zu arbeiten, den sie Karl Kraus widmete. Da sie ihre Stadtwohnung in Kopenhagen, in der sie die kalten Monaten verbrachte, weggegeben hatte, steuerte sie nun jedes Mal, sobald der Winter anbrach, das Schwarzwaldsche Haus in Wien an. Gemeinsam mit Eugenie Schwarzwald rief Michaëlis Gemeinschaftsheime in verlassenen Hotels, Pensionen und Schlössern auf dem österreichischen Land ins Leben, um alte Menschen oder Kriegswitwen zu versorgen. Über das Ehepaar Schwarzwald lernte sie den ungarischen Kommunisten und Schriftsteller Béla Balázs kennen, mit dem sie kurzzeitig eine Affäre hatte. Die Beziehung inspirierte das Buch "Darlehen von 30 Tagen" (1920), das Michaëlis und Balázs gemeinsam verfassten. Ab 1925 bekam Michaëlis einen festen Vertrag mit der Neuen Freien Presse in Wien und lieferte regelmäßig Beiträge für das Feuilleton der Zeitung. Sie beschäftigte sich mit Themen wie Euthanasie, Abtreibung, alleinerziehenden Müttern und außerehelichen Kindern. 1927 gelang ihr in Zusammenarbeit mit der dänischen Künstlerin Hedvig Collin ein weiteres erfolgreiches Frauenporträt, diesmal aus der Perspektive eines Kindes. "Bibi. A little danish girl" wurde in 20 Sprachen übersetzt. 1928 unternahm sie zahlreiche Reisen durch Polen, Serbien, Rumänien und Kroatien und leitete das Scheidungsverfahren gegen Charles ein, das sich allerdings für Karin Michaëlis als psychisch sehr belastend erwies. So warf Charles ihr etwa ein Verhältnis mit Adolf Loos vor, der zu diesem Zeitpunkt beschuldigt wurde, zwei junge Mädchen belästigt zu haben.
Ihren 60sten Geburtstag feierte Karin Michaëlis mit dem Schwarzwald’schen Freundeskreis in Wien. Zahlreiche Repräsentantinnen stellten sich in der Wohnung in der Josefstädter Straße ein, Telegramme, Geschenke und Blumen aus ganz Europa, Südafrika und Amerika langten ein. Die Stadt Wien veranstaltete ihr zu Ehren einen Fackelzug und das "das goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich" wurde ihr verliehen. Nur ein Jahr später, 1933, hatte sich die Situation grundlegend geändert. Das Ende der Ersten Republik in Österreich wie auch das Ende der Weimarer Republik stellte für viele ihrer Freundinnen und Freunde eine existentielle Bedrohung dar. Michaëlis nahm Maria Lazar mit ihrer Tochter Judith, Helene Weigel und ihren Mann Bertolt Brecht, zu dem sich in weiterer Folge eine sehr intensive Freundschaft entwickelte, sowie deren zwei Kinder bei sich auf Thurø auf. Viele andere Flüchtlinge folgten. Michaëlis berichtete ihrer Schwester Alma, dass sie in jenem Sommer 15 Flüchtlinge aus Deutschland im Haus hatte.
Auf ihren vielen Reisen besuchte sie oft Gefängnisse und nahm auch immer wieder ehemalige (politische) Gefangene bei sich auf. Sie setzte sich für die Freilassung politischer Inhaftierter wie etwa Hugo Breitner ein. Sie schrieb auch anderen Häftlingen in der Hoffnung, dass die Gefängnisfunktionäre sahen, dass es einflussreiche Menschen gab, die sich für die Insassen interessierten und es veröffentlichen würden, falls diese ohne Prozess ums Leben kämen. Bei einem Vortrag in der kommunistischen Studentenvereinigung in Kopenhagen äußerte Michaëlis offen Kritik an Hitler. Dennoch trat sie dem Reichsverband deutscher Schriftsteller, der unter der Schirmherrschaft von Joseph Goebbels gegründet worden war, bei, weil sie auf den deutschen Markt angewiesen war und glaubte, ihren Einfluss zugunsten ihrer jüdischen Freunde aufrechterhalten zu können.
Exil
1939 plante Michaëlis mit Elna Munch eine Autoreise durch die USA. Am 30. März fuhren die beiden Frauen mit dem Schiff nach Amerika und nur wenige Tage später, am 5. April, verbot die Reichsschrifttumskammer Michaëlis Bücher zur Gänze. Während Elna Munch wieder nach Europa zurückkehrte, nahm Michaëlis am Weltkongress der Schriftsteller vom 8. bis 10. Mai im Rahmen der Weltausstellung teil und verfolgte ihre Ambitionen, ihre Werke in Amerika verkaufen zu können. Kurz danach erhielt sie einen rätselhaften Brief von Elna Munch, die mit dem dänischen Außenminister verheiratet war, in dem sie Michaëlis darum bat, für sie und ihren Mann eine Wohnung zu suchen. Karin Michaëlis verstand die Warnung und kehrte nicht wie geplant im Oktober nach Dänemark zurück. Im April 1940, mit der Invasion Dänemarks, wurde Michaëlis von ihrer letzten größeren Einnahmequelle abgeschnitten. Sie blieb zwar aktives Mitglied des PEN und wurde zum Ehrenmitglied der Deutsch-amerikanischen Schriftstellervereinigung "German American Writers Association", ihr Versuch in Hollywood Fuß zu fassen, blieb allerdings erfolglos und machte sie von Almosen ihrer Freunde und ihres Bruders Allan abhängig. Gleichzeitig erschütterte sie der Tod von Eugenie Schwarzwald am 7. August 1940 zutiefst. Als die finanziellen Schwierigkeiten zu groß wurden, ging Michaëlis im Sommer 1942 in die Künstlerkolonie Yaddo im Bundesstaat New York, nahm aber nach einem Herzanfall und aufgrund ihrer schlechten finanziellen Lage die Einladung von Brecht und Weigel an, zu ihnen nach Santa Monica zu ziehen, wo sie acht Monate blieb.
Obwohl Michaëlis nicht erwartet hatte, Dänemark je wieder zu sehen, landete sie nach Kriegsende, am 8. Juli 1946, wieder in Kopenhagen, wo sie überschwänglich von der Presse und Freunden begrüßt wurde. Auch ihre Ankunft auf Thurø wurde gefeiert, wo sich all die Jahre ihr Nachbar um ihr Haus gekümmert hatte. Der dänische König verlieh ihr die Freiheitsmedaille und der Gemeinderat von Thurø ernannte sie zum Ehrenbürger der Insel. Aufgrund hoher Schulden war Michaëlis jedoch gezwungen, das Haus gemeinsam mit ihren Briefen, Papieren und Manuskripten an Sammler und die Königliche Bibliothek zu verkaufen. Sie beschaffte sich eine kleine Wohnung in Kopenhagen, in der sie bis zu ihrem Tode am 10. Jänner 1950 lebte. Den dritten Band ihrer Memoiren konnte sie nicht mehr fertigstellen.
Literatur
- Ernst-Ullrich Pinkert: Arthur Schnitzlers Dänemark. Impulse, Begegnungen, Resonanz, Intertextualität. Wien: Praesens Verlag 2015
- Beverly Driver Eddy: Karin Michaelis. Kaleidoskop des Herzens. Eine Biographie. Wien: Edition Preasens 2003
- Karin Michaelis: Der kleine Kobold. Lebenserinnerungen. Freiburg i. Br.: Kore Edition 1998
- Andrew Barker und Leo. A. Lensing: Peter Altenberg: Rezept die Welt zu sehen. Wien: Braumüller 1995
- Birgit S. Nielsen: Die Freundschaft Bert Brechts und Helene Weigls mit Karin Michaelis. Eine literarisch-menschliche Beziehung im Exil. In: Die Künste und die Wissenschaften im Exil 1933–1945, Hg. Edith Böhne und Wolfgang Motzkau-Valeton Gerlingen: Verlag Lambert Schneider 1992
- FemBio: Karin Michaelis [Stand: 20.09.2023]
- Wikipedia: Karin Michaelis [Stand: 20.09.2023]
Karin Michaëlis im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.