Hugo Breitner
Hugo Breitner, * 9. November 1873 Wien, † 5. März 1946 Claremont (USA), Bankbeamter, Kommunalpolitiker.
Biografie
Der Sohn des Börserats Moritz Breitner – eines aus Budapest nach Wien übersiedelten jüdischen Getreidehändlers – besuchte 1884 bis 1890 Schulen in der Leopoldstadt und 1890 bis 1893 die Handelsakademie. Im Jahr 1894 trat Hugo Breitner als Beamter in die Österreichische Länderbank ein. Zeitlebens stark an Kunst und Kultur interessiert, betätigte er sich nebenberuflich als Kunst- und Musikkritiker. Zudem arbeitete er als Lokalberichterstatter beim "Neuen Wiener Journal" sowie bei der "Neuen Freien Presse" und war Herausgeber der "Wiener Kunstkorrespondenz". 1910 wurde Breitner Prokurist der Länderbank, 1914 Direktor-Stellvertreter und 1917 Direktor des Bankinstituts. Diese Tätigkeit übte er bis zum Jahr 1918 aus. 1918 ließ er sich frühzeitig pensionieren, um sich ganz seinem politischen Engagement widmen zu können.
Politische Laufbahn
Als Breitner 1918 der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei beitrat, hatte er zuvor bereits in der Gewerkschaft der Bankbeamten eine Rolle gespielt. 1907 bis 1911 war er Vizepräsident des "Reichsvereins der Bank- und Sparkassenbeamten Österreichs", aus dem eine schlagkräftige gewerkschaftliche Organisation entstand. Zudem wirkte er als Redakteur der Vereinszeitschrift "Der österreichische Bankbeamte", die sich unter seiner Leitung zu einem anerkannten Kampf- und Fachorgan entwickelte. Nach dem Ersten Weltkrieg war er Mitglied des Provisorischen Gemeinderates und kandidierte 1919 im 20. Bezirk. Er gehörte ab 1918 dem (vorerst Provisorischen) Gemeinderat von Wien an und war von 1920 bis 1933 Abgeordneter zum Wiener Landtag und Mitglied des Gemeinderates der Stadt Wien. In dieser Zeit fungierte er zunächst als Stadtrat und ab 1920 als Amtsführender Stadtrat der Geschäftsgruppe Finanzwesen. Zudem war er von 1920 bis 1927 Mitglied des Bundesrates.
Hugo Breitner beschäftigte sich bereits ab Mitte 1918 eingehend mit der Entwicklung der kommunalen Finanzen und erste Ansätze einer veränderten Finanzpolitik zeichneten sich schon im Budgetvoranschlag der Stadt Wien für das Rechnungsjahr 1919/1920 ab. In seiner Amtszeit arbeitete er ein völlig neues Steuersystem aus, dessen Grundgedanke in einer nach dem Lebensaufwand gestaffelten Heranziehung der einzelnen Bevölkerungsschichten zur Steuerleistung lag. So trat die direkte Städtische Luxussteuer anstelle der indirekten Massensteuer. Breitner vertrat die Auffassung, dass jene Menschen, denen "eine gute Auslandsvaluta oder leichter Gelderwerb Vergnügungen in einer Zeit ermöglicht, in der die Massen von bittersten Sorgen gequält sind, zu den schweren Lasten der Gemeinde entsprechend beitragen"[1].
Am 1. Februar 1923 wurde eine zweckgebundene Wohnbausteuer beschlossen, die es ermöglichte, ein umfassendes kommunales Wohnbauprogramm einzuleiten, durch welches unter zusätzlicher Verwendung von Mitteln aus dem ordentlichen Budget bis 1933 über 63.000 Wohnungen erbaut werden konnten. Es ist das bleibende Verdienst Breitners, dass er die Finanzen der Stadt Wien nach dem Zusammenbruch und der Inflation auf neue Grundlagen stellte und damit eine von sozialen Gesichtspunkten geleitete kommunale Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik ermöglichte, wie etwa die Fürsorge- und Gesundheitsreformen Julius Tandlers.
Von den politischen Gegnern der Sozialdemokratie wurde Breitner massiv angefeindet, als "Vampir" oder gar "Menschentöter" punziert[2]. Ernst Rüdiger Starhemberg, 1930 kurzzeitig Innenminister im Kabinett Carl Vaugoin, verstieg sich 1930 auf einer Kundgebung der Heimwehren am Wiener Heldenplatz gar zur Behauptung: "Erst wenn der Kopf dieses Asiaten [was auf seine jüdische Herkunft anspielen sollte] in den Sand rollt, wird der Sieg unser sein!"[3][4] Im Gegensatz dazu muss betont werden, dass der Anteil der Luxussteuern mit einem Fünftel bis Viertel der Steuereinnahmen keineswegs so hoch war, wie es nach der öffentlichen Diskussion schien. Auch die Umverteilungswirkung hielt sich in relativ bescheidenen Grenzen.[5]
1924 veröffentlichte Breitner die Grundzüge seiner Politik in der Broschüre "Die Finanzpolitik der Gemeinde Wien". Ab 1929 geriet die städtische Finanzverwaltung unter dem Druck des Bundes in beträchtliche Schwierigkeiten. Dieser beeinträchtigte das System schwer, indem er die Ertragsanteile im Rahmen des Finanzausgleichs verringerte und Steuern sowie Maßnahmen, die auf dem Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz von 1917 basierten, beeinspruchte.
Hugo Breitner war über seinen unmittelbaren Aufgabenbereich der Modernisierung und Reformierung der inneren Finanzverwaltung hinausgehend Initiator einer unüberblickbaren Zahl von Maßnahmen der sozialdemokratischen Gemeindeverwaltung, die in ihrer Gesamtheit zu einer Verbesserung des Lebensstandards, aber auch zu gesellschaftspolitischen Veränderungen und sozialen Umverteilungen führen sollten. Bedeutende finanzielle Mittel stellte Breitner beispielsweise für die sozialdemokratische Kulturpolitik der Stadt Wien zur Verfügung – mit dem Ziel, qualitativ hochwertige Kunst und Musik einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dazu zählten insbesondere die Subventionierung der sogenannten "Sozialdemokratischen Kunststellen" zur Bereitstellung billiger Konzert- und Theaterkarten, die direkte Subventionierung von Künstlervereinigungen (von Arbeitergesangsvereinen bis zu den Wiener Philharmonikern) oder die Einführung der Wiener Festwochen. Auch die individuelle Künstlerförderung erfuhr eine entscheidende Ausweitung.
Rücktritt, Haft und Emigration
Am 25. November 1932 schied Breitner aus Gesundheitsrücksichten aus seinem Amt als Stadtrat. 1933 legte er auch sein Gemeinderatsmandat zurück, war jedoch von 1933 bis 1934 noch ehrenamtlicher Leiter der Zentralsparkasse der Gemeinde Wien. Am 12. Februar 1934 wurde Breitner im Zuge der Februarkämpfe verhaftet und erst nach mehrwöchiger Haft wieder freigelassen. Zum Zeitpunkt des "Anschlusses" Österreichs an das Deutsche Reich befand sich Breitner auf einem Kuraufenthalt in Florenz. Von dort emigrierte er mit seiner Familie nach einem Zwischenaufenthalt in Paris in die USA, wo er sich in Claremont (Kalifornien) niederließ. Auch in seiner neuen Heimat blieb Breitner nicht untätig, sondern hielt an der Universität Vorlesungen zur Finanzpolitik, publizierte Fachartikel und nahm vereinzelte Aufträge als Buchhalter an. Von 1939 bis 1942 verfügte er über ein Research Fellowship an der Claremont University. 1944 erlangte er die amerikanische Staatsbürgerschaft. Er war Mitglied des "Austrian Labor Committee" (ALC) und der "Austrian Labor Information", denen auch Ernst Papanek, der ebenso in die USA flüchten konnte, angehörte.
Nach 1945 trug Breitner Karl Seitz brieflich seine Bereitschaft zur Rückkehr nach Wien und zur Mitarbeit am Wiederaufbau der Stadt an: "Ich strebe keinen bestimmten Posten an, ich lege auf Titel nicht den geringsten Wert. Ich beanspruche keine Zahlung."[6] Mitten in den Vorbereitungen zur Rückkehr nach Wien verstarb Hugo Breitner im März 1946 in Kalifornien.
Nachwirken
Die Urne Breitners wurde 1950 nach Wien überführt. Auf Beschluss des Stadtsenats wurde an der Stirnseite des linken Arkadengangs der Feuerhalle Simmering ein gemeinsames Urnendenkmal für Julius Tandler, Robert Danneberg und Hugo Breitner errichtet. Zudem wurde die städtische Wohnhausanlage Hugo-Breitner-Hof nach ihm benannt. Sein Andenken wird durch das Breitnerdenkmal und die "Hugo-Breitner-Gesellschaft zur Förderung des künstlerischen Nachwuchses" geehrt.
Werke
- Hugo Breitner: Kapitalistische oder sozialistische Steuerpolitik – wer soll die Steuern bezahlen? Wien: Landesorganisation Wien der Sozialdemokratischen Partei Österreichs 1926
- Hugo Breitner: Seipel-Steuern oder Breitner-Steuern? Die Wahrheit über die Steuerpolitik der Gemeinde Wien. Wien: Verlag der Wiener Volksbuchhandlung 1927
- Hugo Breitner: Österreich und die Schweiz – Vergleich und Ausblick. London: Londoner Büro der Österreichischen Sozialisten 1944
Quellen
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, BPD Wien, K11 – Prominentensammlung, 19. Jh.–20. Jh.: Meldezettel von Hugo Breitner
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Nachlass Breitner
Literatur
- Peter Eigner: Die Finanzpolitik des Roten Wien. In: Werner Michael Schwarz / Georg Spitaler / Elke Wikidal [Hg.]: Das Rote Wien 1919–1934. Ideen, Debatten, Praxis. Basel: Birkhäuser 2019, S. 42–49.
- Wolfgang Fritz: "Der Kopf des Asiaten Breitner". Politik und Ökonomie im Roten Wien. Hugo Breitner – Leben und Werk. Wien: Löcker Verlag 2000
- Wolfgang Maderthaner: Hugo Breitner, Julius Tandler – Architekten des Roten Wien. Wien: VGA 1997
- Herwig Würtz: Hugo Breitner. 70 Jahre Plakatsammlung der Wiener Stadt- und Landesbibliothek. Wien: Wiener Stadt- und Landesbibliothek 1993
- Gerhard Reisinger: Die Finanzpolitik Hugo Breitners. Entstehung und Ausformung des neuen Wiener Steuersystems in der ersten Republik. Diss. Univ. Wien. Wien 1990
- Norbert Polzer: Der Kunstliebhaber und Kunstförderer Hugo Breitner und die Hugo-Breitner-Gesellschaft. In: Wiener Geschichtsblätter 42 (1987), S. 1 ff.
- Maren Seliger / Karl Ucakar: Wien. Politische Geschichte 1896–1934. Wien: Jugend & Volk 1985 (Geschichte der Stadt Wien, 2), Register
- Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933–1945 / International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933–1945. Hg. vom Institut für Zeitgeschichte / Research Foundation for Jewish Immigration, New York, in Zusammenarbeit mit Werner Röder und Herbert A. Strauss. Band 1: Politik, Wirtschaft, Öffentliches Leben. Bearbeitet von Dieter Marx Schneider und Louise Forsyth. München [u. a. ]: De Gruyter Saur 1980
- Bernhard Denscher: "Hinaus mit dem Asiaten aus Wien!" Hugo Breitner – Zielscheibe politischer Haßtiraden in den Wahlkämpfen von 1927 und 1930. In: Wien aktuell magazin 8–9 (1978), S. XXXVI ff.
- Alfred Magaziner: Die Wegbereiter. Aus der Geschichte der Arbeiterbewegung. Wien: Volksbuchverlag 1975, S. 136 ff.
- Felilx Czeike: Wien und seine Bürgermeister. Sieben Jahrhunderte Wiener Stadtgeschichte. Wien: Jugend und Volk 1974, Register
- Jean Maitron / Georges Haupt [Hg.]: Dictionnaire biographique du mouvement ouvrier international. Band 1: Autriche. Paris: Éditions Ouvrières 1971
- Gerhardt Kapner: Freiplastik in Wien. Wien [u. a.]: Jugend & Volk 1970, S. 341
- Karl Ausch: Hugo Breitner. In: Norbert Leser [Hg.]: Werk und Widerhall. Große Gestalten des österreichischen Sozialismus. Wien: Verlag der Wiener Volksbuchhandlung 1964, S. 97 ff.
- Hans Markl: Kennst du die berühmten letzten Ruhestätten auf den Wiener Friedhöfen? Band 1: Zentralfriedhof und Krematorium (Urnenhain). Wien: Pechan 1961, S. 161
- Felix Czeike: Wirtschafts- und Sozialpolitik der Gemeinde Wien 1919–34. 2 Bände. Wien: Jugend & Volk 1958–1959 (Wiener Schriften, 6, 11)
- Hugo Kaudelka: Hugo Breitner. Biographische Skizze. Sonderabdruck aus: Wiener Schriften 4 (1956), S. 166–199
- Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950. Band 1. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1957, S. 111
- Franz Planer [Hg.]: Das Jahrbuch der Wiener Gesellschaft. Biographische Beiträge zur Wiener Zeitgeschichte. Wien: F. Planer 1929
Weblinks
- Das Rote Wien. Weblexikon der Wiener Sozialdemokratie: Breitner, Hugo
- POLAR – Wiener Politikerinnen und Politiker Archiv 1918–1934: Hugo Breitner
- Österreichisches Parlament: Hugo Breitner
Einzelnachweise
- ↑ Arbeiter‐Zeitung, 01.01.1922, S. 1–3
- ↑ Bernhard Denscher: "Hinaus mit dem Asiaten aus Wien!" Hugo Breitner – Zielscheibe politischer Haßtiraden. In: Wien aktuell 8–9/1978, XXXVI f.
- ↑ Die gestrige Heimwehrkundgebung auf dem Heldenplatz. In: Neue Freie Presse, 05.10.1930, S. 11
- ↑ Um die Freiheit!". In: Arbeiter-Zeitung, 05.10.1930, S. 1
- ↑ Peter Eigner: Die Finanzpolitik des Roten Wien. In: Werner Michael Schwarz / Georg Spitaler / Elke Wikidal [Hg.]: Das Rote Wien 1919–1934. Ideen, Debatten, Praxis. Basel: Birkhäuser 2019, S. 45–47.
- ↑ Zit. nach ebd., S. 12