Wohnbaupolitik des "Roten Wien"

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Sandleiten. Blick über den Nietzscheplatz Richtung Wohnhausanlage, 1928
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BildnameName des Bildes Sandleitenhof2.jpg
BildunterschriftInformation, die unterhalb des Bildes angezeigt werden soll Sandleiten. Blick über den Nietzscheplatz Richtung Wohnhausanlage, 1928

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Siedlung Hermeswiese (1926)
Bieler Hof (1928)

Wohnsituation Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts

Zu Ende des 19. Jahrhunderts, als Wien zur Millionenmetropole angewachsen war, herrschte in Wien eine eklatante Wohnungsnot. Mangels öffentlicher Wohnbauten waren große Teile der Wiener Arbeiterschaft gezwungen, in privaten Mietshäusern zu oft unzumutbaren Bedingungen Quartier zu nehmen. Vor diesem Hintergrund entstanden um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert erste Ansätze zum Bau von Arbeiterwohnungen in Form von speziellen Werksiedlungen (Floridsdorfer Lokomotivfabrik Firma Brevillier & Urban) bzw. als Projekte von karitativen Vereine. Der Erste Weltkrieg sorgte jedoch für ein jähes Ende dieser Entwicklung. Im Jahr 1917 waren nahezu drei Viertel aller Wohnungen in Wien überbelegte Ein- und Zweizimmerwohnungen.

Grundlagen der sozialdemokratischen Wohnbaupolitik nach dem Ersten Weltkrieg

Auf der Grundlage ihrer 1914 verabschiedeten kommunalpolitischen Grundsatzagenda („Was fordern die Sozialdemokraten von der Gemeinde Wien?“) konnte die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) nach ihrem Wahlerfolg von 1919 an die Verwirklichung ihres ambitionierten Wohnbauprogrammes gehen, welches bis heute die im Stadtbild sichtbarste Leistung des Roten Wien zur Folge hatte. Zur konzeptiven Leitlinie erwuchs dabei trotz Gegenmodellen wie der „Gartenstadtidee“ bald die Vorstellung der gemeindeeigenen Großwohnanlage mit integrierten, kollektiv nutzbaren Gemeinschaftselementen (Zentralwaschhäuser, Kindergärten, Mütterberatungsstellen, Volksbibliotheken, Veranstaltungs- und Versammlungssäle, Werkstätten, Geschäftslokalen der Konsumgenossenschaft).

Offen blieben unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg zunächst die Bereitstellung von geeignetem Baugrund sowie die allgemeine Finanzierungsgrundlage. Der seit 1919 amtierende Finanzstadtrat Hugo Breitner versuchte zunächst über Inlandsanleihen, das nötige Kapital für den städtischen Wohnbau bereitzustellen. Als Wien im Jahr 1922 ein selbstständiges Bundesland wurde und damit in der Lage war, eigene Steuergesetze zu verabschieden, wurde mit der Anfang 1923 verabschiedeten zweckgebundenen Wohnbausteuer schließlich das entscheidende Instrument in der Wohnbaupolitik geschaffen. Im Verbund mit einem System neuer „Luxus“-Abgaben gelang es durch die progressive Besteuerung von Immobilieneigentum, den privaten Immobilienmarkt zu regulieren sowie die nötigen Finanzmittel für den Wohnungsbau aufzubringen. Von 1923 bis 1931 gab die Gemeinde Wien knapp 67 Mio. Schilling für den Ankauf von Bauland aus; auf diese Weise wurde sie auch zum größten Grundbesitzer der Stadt. Dies diente nicht nur dem kommunalen Wohnbau, sondern auch der Eindämmung der Grundstückspekulationen.

Verwirklichte Bauprogramme

Bereits im Jahr 1919 wurde (noch unter ungünstigen Voraussetzungen) mit dem kommunalen Wohnbau begonnen: Metzleinstaler Hof, Wohnhausanlage Schmelz, Siedlungsanlage Rosenhügel, Kolonie Rannersdorf, Erdberger Hof, Fuchsenfeldhof. Das am 21. September 1923 beschlossene „erste Wohnbauprogramm“ sah die Errichtung von 25.000 neuen Wohnungen vor; ein Ziel, das bis 1926 verwirklicht werden konnte. 1927 folgte das „zweite Wohnbauprogramm“ mit dem Ziel der Errichtung von weiteren 30.000 Wohneinheiten. Bis 1934 wurden auf diese Weise in Wien 65.000 Gemeindewohnungen errichtet (siehe auch „Städtische Wohnbauprogramme“).

Teils erbitterten politischen Widerstand erfuhr die SDAP-Wohnbaupolitik aus dem bürgerlichen Lager. In publizistischen Kampagnen wurden die angebliche qualitative Unzulänglichkeit der Gemeindebauten angeprangert (bis hin zur „Einsturzgefahr“), der in Wien 1922 eingeführte Mieterschutz sowie die Wohnbau- und andere sogenannte „Breitner-Steuern“ unablässig diffamiert. Im Jahr 1929 engte schließlich eine von der konservativen Bundesregierung erzwungene Neufassung des Finanzausgleichs die eigenständige Wiener Finanzpolitik wesentlich ein. Als indirekte Folge dieser Kampagne trat 1932 Finanzstadtrat Breitner von seinem Amt zurück, zu seinem Nachfolger wurde Robert Danneberg gewählt. Die Niederlage der Sozialdemokratie im Februar 1934 (Februarkämpfe) bedeutete auch das Ende der Wohnbaupolitik des „Roten Wien“.

Strukturelemente des kommunalen Wohnbaus

Die insgesamt 382 während der Ersten Republik in Wien errichteten Gemeindebauten wurden von 199 verschiedenen Architekten geplant. Dennoch setzte sich ein unverkennbarer Stil durch – trotz individueller Unterschiede erkennt man die Wiener Gemeindebauten der Zwischenkriegszeit auch heute noch „auf den ersten Blick“. Bis etwa 1922 wurden die meisten Bauten vom Stadtbauamt entworfen, wo mehrere Otto Wagner-Schüler wie Karl Ehn, Engelbert Mang, Gottlieb Michal oder Konstantin Peller tätig waren; später wurden zunehmend auch freie Architekten beschäftigt, von denen sich viele auch mit Fragen der Inneneinrichtung und des Designs beschäftigten (Einbaumöbel, „Frankfurter Küche“ 1927 etc.).

Charakteristisch für die meist großzügig konzipierten Wohnhausanlagen sind ihre expressive Architektur und die Einplanung gemeinschaftlicher Sozialeinrichtungen. Auf diese Weise entstand eine autarke Infrastruktur innerhalb der Bauten selbst. Die Waschanlage im Karl-Marx-Hof (19. Bezirk, Döbling) war beispielsweise so konzipiert, dass mit nur einem Waschtag pro Monat die gesamte Wäsche eines Haushaltes erledigt werden konnte.

Innerhalb der Wohnanlagen sorgten breit angelegte Höfe für ausreichend Licht, frische Luft und Bewegungsräume. Charakteristischerweise wurden die einzelnen Stiegenhäuser der Wohnblöcke nun nicht mehr von der Straße aus erschlossen, sondern vom Innenhof her. Mit dem öffentlichen Straßenraum waren die Anlagen nur noch durch ein oder mehrere große Tore verbunden. Dies kam auch der Sicherheit der in den Höfen spielenden Kinder zugute.

Auch die Grundrisse der Wohnungen selbst wurden radikal neu konzipiert. Alle Räume waren direkt beleuchtet und belüftet, jede Wohnung erhielt einen Vorraum zum Stiegenhaus, und fast alle Wohnungen besaßen fließendes Wasser und WC. Dabei ist nicht zu übersehen, dass die durchschnittliche Wohnungsgröße für moderne Verhältnisse sehr klein blieb (40 bis 50 Quadratmeter). Auf der anderen Seite ermöglichte dies auch einen konkurrenzlos niedrigen Mietzins, der 1926 für eine durchschnittliche Gemeindebauwohnung knapp 4 Prozent eines durchschnittlichen Arbeiterlohnes betrug.

Nachwirkungen

Nach dem österreichischen Bürgerkrieg im Februar 1934 (Februarkämpfe) kam der kommunale Wohnbau praktisch zum Erliegen. In den Jahren 1935/36 erfolgte unter austrofaschistischer Ägide eine systematische Umbenennung von politisch nunmehr nicht opportunen Bezeichnungen kommunaler Wohnbauten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die Gemeinde Wien unter SPÖ-Regierung ihre Wohnbautätigkeit wieder auf. Wegen der Baugrundknappheit ging man in den fünfziger Jahren zu höheren Wohnblöcken – meist in Zeilenanordnung – über (siehe Städtische Wohnbauprogramme).

Siehe auch: Rotes Wien

Literatur

  • Rainer Bauböck: Zur sozialdemokratischen Wohnungspolitik 1919–1934: Mieterschutz, Wohnungsanforderung und kommunaler Wohnbau unter besonderer Berücksichtigung Wiens. Wien: Univ. Diss. 1977
  • Rainer Bauböck: Wohnungspolitik im sozialdemokratischen Wien 1919–1934. Salzburg: Neugebauer 1979
  • Natalie Baumann: Die Entwicklung der Wiener Gemeindebauten im Kontext ihrer Architektur. Wien: Dipl.-Arbeit 2012
  • Eve Blau: The architecture of Red Vienna 1919–1934. Cambridge [u.a.]: MIT Press 1999
  • Eve Blau: Rotes Wien: Architektur 1919–1934. Stadt, Raum, Politik. Wien: Ambra 2014
  • Erich Bramhas: Der Wiener Gemeindebau. Vom Karl-Marx-Hof zum Hundertwasserhaus, Basel [u.a.]: Birkhäuser 1987
  • Peter Eigner / Herbert Matis / Andreas Resch: Sozialer Wohnbau in Wien. Eine historische Bestandsaufnahme. In: Jahrbuch des Vereins für die Geschichte der Stadt Wien 1999. Wien 1999, S. 49-100 (auch als Online-Quelle: URL: http://www.demokratiezentrum.org/fileadmin/media/pdf/matis_wohnbau.pdf)
  • Hans Hautmann / Rudolf Hautmann: Die Gemeindebauten des Roten Wien 1919–1934. Wien: Schönbrunn-Verlag 1980
  • Karl Honey: Die Wohnungspolitik der Gemeinde Wien. Wien: Deutsch-Österreichischer Städtebund 1926
  • Albert Lichtblau: Wiener Wohnungspolitik 1892–1919. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik 1984
  • Inge Podbrecky / Arnold Pöschl: Rotes Wien, gehen, sehen & genießen. 5 Routen zu gebauten Experimenten, vom Karl-Marx-Hof bis zur Werkbundsiedlung. Wien: Falter-Verlag 2003
  • Ursula Schwarz: Die Benennung der Wiener Gemeindebauten von 1919–1945. Wien: Dipl.-Arbeit 1992
  • Ursula Schwarz: Die Benennung der Wiener Gemeindebauten von 1945–1993. Wien: Univ. Diss. 1995
  • Helmut Weihsmann: Das Rote Wien. Sozialdemokratische Architektur und Kommunalpolitik 1919–1934. 2., vollkommen überarb. Auflage. Wien: Promedia 2002
  • Walter Zednicek: Architektur des Roten Wien. Wien: Zednicek 2009

Weblinks