Marianne Kohn
Marianne Kohn, * 27. Oktober 1945 Wien, Gastwirtin, Barmixerin.
Biografie
Marianne Kohn kam als Tochter von Maria und Karl Kohn zur Welt. Als Jüdin bot ihrer Mutter die Ehe mit dem jüdisch geborenen, aber mittlerweile katholisch getauften Karl Kohn einen gewissen Schutz vor der nationalsozialistischen Verfolgung. Endgültig rettete sie erst die Kapitulation der Wehrmacht zwei Wochen vor der angekündigten Deportation. Zahlreiche Verwandte starben in Konzentrationslagern, einige wenige konnten fliehen.
Kohn lebte gemeinsam mit ihrer Mutter und Großmutter im 3. Bezirk, Reisnerstraße, der Vater wohnte nie mit den Frauen zusammen. Nicht nur aufgrund der Tätigkeit der Mutter als Claqueurin in der Wiener Staatsoper, sondern auch aufgrund der Beziehung der Mutter zu Marcel Prawy wurde Kohn in die Welt der Oper eingeführt, die zu einer lebenslangen Leidenschaft geriet. Kohn verfolgte zunächst die Absicht, Opernsängerin zu werden, woraufhin die Mutter Unterrichtsstunden für sie organisierte. Kohn verwarf den Traum allerdings, nachdem die Gesangslehrerin ihr mitgeteilt hatte, sie würde über eine Altstimme verfügen.
Eine Lehre im Verkauf begeisterte sie nicht, sie brach die Berufsschule ab und ging stattdessen zur Wiener Filmproduktionsfirma "Wien-Film" in der Neubaugasse im 7. Bezirk und wurde zur Filmcutterin ausgebildet. Als die zunehmenden Konflikte mit ihrer Mutter und Großmutter ein weiteres Zusammenleben verunmöglichten, machte sich Kohn im Alter von 17 Jahren selbstständig nach Rom auf. Hier fand sie in der Filmstadt Cinecittà eine Anstellung und arbeitete unter anderem für Pier Paolo Pasolini und Federico Fellini. Insgesamt verbrachte Marianne Kohn acht Jahre in der italienischen Hauptstadt, pendelte jedoch immer wieder nach Wien. Während einem dieser Aufenthalte, bei dem sie eigentlich Dokumente für die Hochzeit mit einem Italiener besorgen wollte, lernte sie im Club "Voom Voom" in der Daungasse im 8. Bezirk ihren späteren Ehemann und Vater ihrer Tochter kennen. Während der Ehe arbeitete das Paar gemeinsam dort, er als Kellner, Kohn in der Garderobe. Im Oktober 1971 kam die gemeinsame Tochter zur Welt, die Ehe zerbrach im Laufe der Zeit.
Ihren ersten Job als Barkeeperin nahm sie 1979 im neu eröffneten Lokal "Schoko" in der Mahlerstraße im 1. Bezirk an. In den 1980er Jahren war sie in der Wiener Party- und Clubbing-Szene allgegenwärtig, Bekanntheit erlangte sie als Barkeeperin im legendären "Club U4", den sie von 1983 bis 1987 leitete und in dem sie mit zahlreichen Persönlichkeiten und Bands Bekanntschaft machte, darunter Falco, "Deep Purple", Andy Warhol, Alice Cooper, Nina Hagen, Kurt Cobain, "Die toten Hosen", Johnny Depp oder Udo Jürgens. Eine intensive, langjährige Freundschaft verband sie mit Helmut Lang. Laut der deutschen Tageszeitung "Die Welt" galt Kohn als "Königin der Nacht" und "wohl bekannteste Barfrau Wiens". Sie leitete später auch das "Café Europa" und organisierte mit großem Engagement Clubbings und Musikevents, etwa "Soul Seduction"und Events im Technischen Museum. Sie gründete auch selbst einige Lokale, darunter das "Mazel tov" und das "Operncafé", die nach kurzer Zeit aber wieder geschlossen wurden. 1995 übernahm sie die "Loos Bar", deren Geschäftsführerin sie bis heute ist. Loos hatte übrigens auch mit ihren Vorfahren, den Möbelfabrikanten Jakob und Josef Kohn, zusammengearbeitet. Zu ihren Gästen zählten Weltstars wie Quentin Tarantino. 2012 diente die Bar als Setting für eine neue Kampagne von "Gucci", einer italienischen Luxusmarke.
Marianne Kohn designte zudem ihre eigene Modelinie "Povera" und setzte sich gemeinsam mit ihrer Tochter für den Tierschutz ein. Im Dezember 2010 stellte man bei Kohn ein Ovarialkarzinom fest, aufgrund dessen sie zunächst operiert wurde und sich dann, nachdem ein Rezidiv aufgetreten war, einer Chemotherapie unterzog. Dies veranlasste sie dazu, sich im Rahmen der Plattform "Ovarcome", für an Eierstockkrebs erkrankte Frauen und deren Angehörige, zu engagieren. Sie ist Trägerin des Goldenen Verdienstzeichens des Landes Wien.
Heute lebt sie abwechselnd in ihrer Wiener Wohnung und den Gutensteiner Alpen.
Literatur
- Lisa Trompisch: Marianne Kohn: Was es mit dem Einser-Barhocker in der Loos-Bar auf sich hat. In: Kurier, 18.10.2021
- Manfred Rebhandl: Marianne Kohn: "In der Oper soll man sich entsprechend anziehen!" In: Der Standard, 01.08.2020 [Stand: 07.07.2024]
- Ela Angerer: Königin der Nacht. Marianne Kohn und die wilden Jahre der Wiener Szene. Wien: Brandstätter 2021
- Cordula Reyer: Königin der Nacht regiert in Wiens mythischster Bar. In: Die Welt, 31.07.2012
- Bei mir ist immer Weihnachten. In: Der Standard, 24./25.03.2012
- Samir H. Köck: Loos Bar – "Man muss sich der Aura fügen". In: Die Presse, 14.05.2011