Sonnenschein (Familie)
Die Familie Sonnenschein aus der Kleinstadt Gaya in Mähren (Kyjov/Tschechische Republik) ist in ihrer Existenz ab den 1770er Jahren über die Matriken der örtlichen jüdischen Gemeinde fassbar.[1] Ein großer Teil der Familie verließ die mährische Heimat im 19., ganz vereinzelt auch noch im frühen 20. Jahrhundert Richtung Wien. So mancher Abkömmling machte dort Karriere. Andere erfuhren ebenda lebend im Laufe des 20. Jahrhunderts dramatische Schicksale. Die Biografien einzelner Familienmitglieder verdeutlichen die Möglichkeiten von persönlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung in einer aufstrebenden Großstadt ebenso wie in einer, die in den Sog der schwierigen bis verbrecherischen Politik des 20. Jahrhunderts geraten war.
Emanzipation und genutzte Chancen
Die josephinische Toleranzgesetzgebung, die Revolution von 1848, vor allem aber die Anerkennung von Juden als gleichberechtigte Staatsbürger durch das Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867 ermöglichten es den Angehörigen, bis dahin geltende Limitierungen gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und räumlicher Natur zu überwinden. Auch höhere Bildung wurde möglich. Aus lokalen finanziellen und wirtschaftlichen Aktivitäten, unter anderem einer Rollgerstefabrik in Gaya, entwickelte sich ein monarchieweit – und darüber hinaus – operierendes Unternehmen. Während weiterhin auch lokal gestützt gearbeitet wurde, entspross der 1871 gegründeten Wiener Niederlassung in Fünfhaus (Stadiongasse 1) eine Firma, die 1873 bei der Weltausstellung prominent vertreten war. Insbesondere auf dem Gebiet der Müllerei - sei es jener von Rollgerste oder Reis - erwarb man sich Expertise und trug diese auch vor bzw. publizierte dazu.[2]
Zu wirtschaftlicher Größe brachte es allen voran Max Sonnenschein, der aus dem väterlichen - und danach brüderlichen - Unternehmen ausstieg und über sein Wiener „Bureau für Patentverwertung“, das international agierte, sowie dann über die von ihm gegründete und geführte „Marchegger Maschinenfabrik“ als Industrieller Bedeutung erlangte. Das Ende der Monarchie und der Wegfall des Absatzmarktes für die Produkte der Firmen der Sonnenscheins bedeutete aber nicht das Ende der unternehmerischen und innovativen Tätigkeit in Wien, wie man an der Biografie von Dr. Fritz Solt, vormals Sonnenschein, ersehen kann. Die allermeisten der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach Wien migrierten Sonnenscheins waren liberal erzogen, emanzipierten sich vom Judentum und assimilierten sich in Wien. Sichtbarstes Zeichen dafür war der Austritt aus der Kultusgemeinde und die Namensänderung. Diese Handlungen gingen maßgeblich von jenen Mitgliedern der Familie aus, die schon in Wien ihre Kindheit und Jugend verbracht hatten bzw. hier geboren worden waren. Freilich schützten Austritt und Namensänderung nicht vor Verfolgung, Beraubung, Vertreibung und Vernichtung durch das NS-Regime.[3]
Die Nachkommen der „Wiener Sonnenscheins“ leben heute in Großbritannien, der Schweiz, Schweden und in den USA bzw. konnten sich dort nach der Emigration ein neues Leben aufbauen. Lediglich ein Zweig der Familie überlebte die NS-Zeit in Österreich.
Neben wirtschaftlich erfolgreichen Mitgliedern, brachte die Familie Literaten wie Hugo Sonnenschein und Oskar Sonnlechner hervor. Auch an den Anfängen des Fußballsports in Wien hatte man Anteil. Ernst Sonnenschein war als Fußballer in zwei frühen Fußballklubs der Stadt engagiert – beim Wiener Fußballclub 1898 sogar der Auslöser für die Gründung – und als Stabhochspringer lange Jahre Rekordhalter.
Die Biografien skizzieren Schicksale von grob 1850 bis 1950. Sie zeichnen ein Bild von Menschen, die ihren Platz in der Gesellschaft der Hauptstadt suchten und auch fanden, deren Versuch „dazuzugehören“ sich in reger Aktivität im Niederösterreichischen Gewerbeverein ebenso wie im Deutsch-österreichischen Turnverein ausdrückte. Sie gehörten nicht nur dazu, sie waren ein gestaltender Part, der ein liberales, kulturelles und wissenschaftliches gesellschaftliches Umfeld mitprägte. Das Spektrum der beruflichen und gesellschaftlichen Aktivitäten war groß. Hier können nur die herausragenden Persönlichkeiten dargestellt werden, die von gesamtgesellschaftlicher Relevanz sind.
Verwandtschaftliche Verhältnisse
Zur zeitlichen und verwandtschaftlichen Einordnung sei erwähnt, dass jene in Gaya in den 1830er/40er-Jahren geborene sowie die darauf folgende in Gaya und Wien geborene Generation, die für die hiesige Darstellung wichtigsten waren. Es handelt sich dabei einerseits um vor allem ein Kind von Abraham (1803-1879) und Veronika Sonnenschein (gest. 1893 in Wien), nämlich Max (1844-1926) sowie um dessen Sohn Oskar (1868-1936), andererseits um die Neffen von Max, Fritz (1890-1977) und Ernst (1877-1931), die Kinder seiner Brüder Moriz (1840-1923) und Adolf (1846-1912). Hugo Sonnenschein (1889-1953) stammt aus der Linie von Abrahams Onkel Markus (ca. 1775/80-1853).
Wien war bereits von den frühen 1850er Jahren an Wohnort der Familie. Abraham ist seit 1852 mit wirtschaftlichen Aktivitäten in der Stadt fassbar. 1857 heiratete er hier (nachträglich) Veronika.
Quellen
- WStLA, Nachlass Fritz Solt: Enthält auch von Fritz Solt angelegte und seinem Sohn Robert weitergeführte, nicht veröffentlichte Reminiszenzen.
Literatur
Zur Thematik allgemein siehe beispielhaft etwa:
- Georg Gaugusch: Wer einmal war. Das jüdische Großbürgertum Wiens 1800-1938. 3 Bde. Wien: Amalthea-Signum Verlag, 2011/2016/2020 (voraussichtlich).
Weblinks
Für die Verwandtschaftsverhältnisse und Links zu den Matriken siehe:
Einzelnachweise
- ↑ Die familieninterne Überlieferung durch Fritz Solt weiß zudem von einer Chronik zu berichten, die im Jahr 1717 begonnen und von Generationen geführt wurde, ehe sie im Ersten Weltkrieg verloren ging.
- ↑ ÖNB - ANNO: Prager Tagblatt, 7. Juni 1881, S. 14: Jacob Sonnenschein am böhmisch-mährischen Müllertag; Max Sonnenschein, Ueber die Reismüllerei in Russland. Wien: Philipp & Wittasek [1886]. Erst die technischen Erfindungen von Max Sonnenschein machten es möglich, eine effektive Reisschälfabrik mit Reis aus Indien in Fiume aufzubauen. Die Grundkenntnisse der Müllerei stammten aus der vätererlichen Rollgerstefabrikation in Gaya.
- ↑ Das Spektrum der Schicksale in der NS-Zeit reicht von jenem Dr. Fritz Solts, dem nach dem Anschluss die Flucht über London nach Kenia gelang, bis zu seinem gleichaltrigen Cousin, dem Gerber Georg Sonnenschein, der noch am Ostersonntag, dem 1. April 1945, im Keller einer Sammelwohnung in der Vereinsgasse im 2. Bezirk von Angehörigen der SA-Ortsgruppe „Stadtgut“ ermordet wurde (WStLA, M.Abt. 116 - Standesamt Brigittenau, A3, 777/1946).