VS Herderplatz 1
48° 10' 21.61" N, 16° 24' 38.70" E zur Karte im Wien Kulturgut
Die Volksschule Herderplatz 1 ist eine öffentliche Volksschule im 11. Wiener Gemeindebezirk, Simmering. In unmittelbarer Nähe befindet sich die ASO Herderplatz 1A. Beide Schulen sind historisch eng miteinander verknüpft.
Schulgründung
Im August 1910 wurde der Bau einer Doppelvolksschule im nordöstlichen Teil des neuprojektierten ovalen, als Gartenanlage geplanten Platzes, der erst im darauffolgenden Jahr seinen Namen "Herderplatz" erhalten sollte, in Angriff genommen. Bis Ende des Jahres 1910 wurde der Rohbau ausgeführt und mit dem Dachstuhl versehen. Im September 1911 wurden die Bauarbeiten abgeschlossen, sodass das Schulgebäude für das Schuljahr 1911/1912 in Benützung genommen werden konnte. Die Einweihung fand am 12. Juni 1912 statt. Das in der großen Gartenanlage des Herderplatzes freistehende Schulgebäude bildete die symmetrische Hälfte der hufeisenförmigen Anlage mit baumbestandenem Innenhof.
Im ersten Schuljahr 1911/1912 stand die Knabenvolksschule unter der provisorischen Leitung von Julius Sitte und führte 13 Klassen mit insgesamt 689 Knaben. Von diesen Schülern waren 652 römisch-katholisch, zwei altkatholisch, 26 evangelisch und zehn jüdisch. Neben dem Schulleiter unterrichteten 15 Lehrer an der Schule. Die Mädchenvolksschule wurde vom provisorischen Leiter Franz Mach geleitet und führte ebenfalls 13 Klassen mit insgesamt 665 Mädchen. Von diesen Schülerinnen waren 646 römisch-katholisch, zwei altkatholisch, zwölf evangelisch, vier jüdisch und eine griechisch-katholisch. Neben dem Leiter wurden 17 Lehrerinnen im Personenstand der Mädchenvolksschule geführt.
Schulausstattung
Das Schulgebäude bestand wie geplant aus zwei zweistöckigen Haupttrakten, in welchen jeweils die Knaben- und die Mädchenvolksschule untergebracht war, und aus einem einstöckigen Verbindungstrakt, in dem sich der Turnsaal befand. Der von diesen drei Trakten eingeschlossene Hof war an der offenen Seite durch ein Gitter eingefriedet und diente als Spiel- und Eislaufplatz.
Das Schulhaus enthielt 30 Lehrzimmer, zwei Turnsäle mit Kleiderablagen, zwei Kanzleien, acht Lehrmittelzimmer, 34 Kleiderablagen, zwei Schuldienerwohnungen. Im Kellergeschoß befanden sich Schulwerkstätte, die Ausspeiseräume mit Küche, Waschküchen, Kesselräume und die notwendigen Nebenräume. Die zwei in Eisenbeton hergestellten Stiegen waren zwei Meter breit. Die Decken waren im Keller mit Ziegelgewölben, in den übrigen Geschoßen in Eisenbeton ausgeführt. Die Fußböden in den Lehrzimmern, Kanzleien und Wohnungen waren mit Eichenbrettern, in den Turnsälen mit Pfosten, in den Kleiderablagen sowie in den Aborten mit Terrazzo und auf den Gängen mit Klinkerplatten belegt.
Erster Weltkrieg
Die Kriegsereignisse des Ersten Weltkrieges führten dazu, dass die beiden Volksschulen am Herderplatz ab Kriegsbeginn ihr ursprüngliches Schulgebäude verlassen mussten, da dieses für militärische Zwecke genützt wurde. So wurde die Knabenvolksschule in der Knabenbürgerschule MS Enkplatz 4/I untergebracht, während die Mädchenvolksschule in der Mädchenbürgerschule MS Enkplatz 4/II unterkam. Zu diesem Zeitpunkt führte die Knabenvolksschule unter Leopold Sperlich 15 Klassen mit 722 Schülern, die Mädchenvolksschule 14 Klassen mit 720 Schülerinnen. Bereits im ersten Kriegsjahr waren sechs Lehrer der Knabenvolksschule eingezogen worden. Alle Schulkinder erhielten aufgrund des Platzmangels Wechselunterricht.
Es ist anzunehmen, dass die Umsiedlung sowie der Wechselunterricht während der ganzen Dauer des Krieges anhielt. Auch wenn die Knaben offenbar kurzzeitig wieder in das ursprüngliche Gebäude am Herderplatz zurückkehren konnten, so waren doch bereits im Schuljahr 1915/1916 sieben Lehrer eingezogen und 16 Lehrkräfte in einer Mehl- und Brotkommission beschäftigt, sodass ein normaler Unterricht auch hier nicht erfolgten konnte. Gleiches galt für die Mädchenvolksschule, von der zwölf Lehrkräfte ebenfalls in der Mehl- und Brotkommission arbeiteten. Die anderweitige Unterbringung fand wohl nicht nur am Enkplatz statt, sondern auch in anderen Schulgebäuden, die allerdings nicht näher benannt werden. Im Schuljahr 1918/1919 wird die Doppelvolksschule Brehmstraße 9 noch einmal als Schule genannt.
Die Schülerinnen- und Schülerzahl sank in den Kriegsjahren. Im Schuljahr 1918/1919 waren nur noch 496 Knaben eingeschrieben, die 13 Klassen besuchten. In der Mädchenschule waren es noch 509 Schülerinnen in 13 Klassen.
Februar 1934 und Ständestaat
Im Zusammenhang mit den Ereignissen im Februar 1934 gab es einen Wechsel in der Schulleitung der Mädchenvolksschule. Ab 10. Februar 1934 übernahm Oberlehrerin Anna Haslehner die Agenden der Schule. Auch nach dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 wechselten die Schulleitungen. Die Knabenvolksschule übernahm ab 25. August 1938 Oberlehrer Franz Pfohl, während die seit spätestens ab 1936/1937 existierende Hauptschule für Knaben und Mädchen am Herderplatz ab dem 29. September 1938 von Egon Bergen geleitet wurde. Die Hauptschule existierte bis 1943. Ab Mitte der 1930er Jahren wurden keine Außenstellen mehr am Herderplatz geführt.
NS-Zeit und Zweiter Weltkrieg
In der NS-Zeit wurden die Schulräumlichkeiten am Herderplatz wie vielerorts von nationalsozialistischen Organisationen benutzt. So benutzten die Hitlerjugend sowie der Bund deutscher Mädel regelmäßig den Turnsaal.
Während des Zweiten Weltkriegs waren beide Volksschulen durchgängig an anderen Schulen untergebracht, da das Schulgebäude am Herderplatz als Reservelazarett verwendet wurde. Anfangs diente die Doppelvolksschule Braunhubergasse 3 der Unterbringung, wo die Schulkinder Wechselunterricht erhielten. Im Schuljahr 1943/1944 wurden die Knaben in die Mädchenvolksschule Brehmstraße 9 umgesiedelt. Im letzten Kriegsjahr kamen dann alle Volksschulkinder im Gebäude der Oberschule Gottschalkgasse 21 unter, weil das Schulgebäude der Braunhubergasse 3 zerbombt worden war. Die Hauptschule für Knaben und Mädchen, die nur bis 1943 existierte, kam in ihren letzten Jahren in der Knabenhauptschule Enkplatz 4 unter. Auch wurde das Schulgebäude durch die Luftkrieg im Oktober 1944 so schwer beschädigt, dass es unbenützbar blieb.
Zweite Hälfte 20. Jahrhundert
Bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit wird im Handbuch der Stadt Wien im Jahr 1953 neben der Volksschule auch eine Hilfsschule für Knaben und Mädchen am Herderplatz aufgeführt, welche die heutige ASO Herderplatz 1A ist.
Am 16. November 1979 wurde im Hof des Schulgebäudes ein Schulverkehrsgarten eröffnet.
Gegenwart
Heute ist die VS Herderplatz 1 eine offene Volksschule mit Nachmittagsbetreuung. Dort werden freizeitpädagogische Angebote im sportlichen-bewegungsorientierten und musisch-kreativen Bereich angeboten. Ein Schwerpunkt wird auf die Sprach- und Lesekompetenz gelegt . Eine mobile Sprachheilpädagogin aus der Wiener Sprachheilschule aus dem 3. Bezirk arbeitet an der Volksschule am Herderplatz. Nach unternommenen Renovierungsarbeiten besitzt das Schulgebäude auch Freizeiträume und einen Essensbereich.
Quellen
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Stadtschulrat, A9/1 - Standesausweise: Öffentliche Schulen 1916-1945
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Stadtschulrat, B4 - Standesausweise 1876-1915
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Kartographische Sammlung, Pläne der Plan- und Schriftenkammer, P10/2.120422
- Georeferenzierter Kriegsschädenplan von 1946 in Wien Kulturgut
- Handbuch der Stadt Wien. 67.-68. amtlich redigierter Jahrgang. Wien: Verlag für Jugend und Volk 1952/1953
- Handbuch der Stadt Wien. 1979/1980. 94. amtlich redigierter Jahrgang. Wien/München: Jugend und Volk [1980]
- Verwaltungsbericht der k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien im Jahre 1910. Bericht des Bürgermeisters Dr. Josef Neumayer. Wien: Gerlach & Wiedling, Buch und Kunstverlag 1911
- Verwaltungsbericht der k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien im Jahre 1911. Bericht des Bürgermeisters Dr. Josef Neumayer. Wien: Gerlach & Wiedling, Buch und Kunstverlag 1912
Literatur
- Felix Czeike: XI. Simmering. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1980 (Wiener Bezirkskulturführer, 11), S. 17