Volksgerichtsakten
Volksgerichsakten („Vg Vr-Strafakten“) sind Akten zu Strafverfahren, die zwischen 1945 und 1955 im Zuge der Ahndung nationalsozialistischer Verbrechen am Volksgericht Wien durchgeführt wurden. Sie enthalten Strafanzeigen, Zeugenaussagen sowie gegebenenfalls Anklageschriften, Hauptverhandlungsprotokolle, Beweismittel und Urteile. Sie gehören zu den zentralen NS-Quellen, die im Rahmen biografischer Forschung zu Personen in der NS-Zeit genutzt werden.
Voraussetzungen
Das Volksgericht Wien wurde 1945 nach dem Zweiten Weltkrieg unter der Alliierten Besatzung (1945-1955) im Zuge der Entnazifizierung zur Verurteilung von NationalsozialistInnen und nationalsozialistischen Verbrechen als erstes Volksgericht eingerichtet. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür stellten das Verbotsgesetz und das Kriegsverbrechergesetz dar. Die Bezeichnung als Volksgerichte wurde bewusst in Anlehnung an den Volksgerichtshof im Nationalsozialismus vorgenommen, die Benennung war jedoch umstritten.
Aufbau und Inhalt
Geahndet wurden unter anderem der Entzug von jüdischem Vermögen („Arisierungen“), Denunziation, Misshandlungen durch die Gestapo, Deportation von Juden und Jüdinnen, Euthanasie-Verbrechen, Kriegsverbrechen, Hochverrat.
Der Aufbau der Akten folgt einem einheitlichen Muster - die Akten können dabei folgende Bestandteile aufweisen:
- eine Aktenübersicht
- ein Antrags- und Verfügungsbogen, auf dem unter anderem Anträge der Staatsanwaltschaft oder des Untersuchungsrichters vermerkt sind (z.B. Ausdehnung oder die Einstellung des Verfahrens)
- eine Strafanzeige
- einen Strafregisterauszug sowie eine Auskunft aus dem Melderegister
- die Vernehmung des oder der Beschuldigten
- Zeugenaussagen
- Anklageschrift
- Haftzettel (z.B. über die Überstellung der angeklagten Person ins Gefangenenhaus, „Einlieferungsnote“)
- gegebenenfalls andere Strafverfahren, die in den Akt einbezogen wurden
- Ermittlungsergebnisse
- Beweismittel oder Abschriften dieser
- gegebenenfalls das Protokoll der Hauptverhandlung sowie ein Beratungsprotokoll
- gegebenenfalls das Urteil
- Gnaden- bzw. Tilgungsgesuche
Benutzung der Akten und Zitierung
Die Volksgerichtsakten werden einerseits durch eine phonetische Kartei, andererseits durch eine interne Datenbank im Wiener Stadt- und Landesarchiv erschlossen. Für die Recherche und die Suche nach Akten ist in der Regel die Kenntnis von Name und Geburtsdatum der gesuchten Person notwendig. Da die Akten der erweiterten Schutzfrist für personenbezogene Akten unterstehen, ist für die Benutzung der Nachweis der Tod der betroffenen Person(en) nachzuweisen, sofern seit ihrer Geburt weniger als 110 Jahre vergangen sind.[1]
Die Strafakten des Volksgerichts tragen das Aktenzeichen Vg (für Volksgericht) Vr (Verfahren wegen Verbrechen und Vergehen). Die Aktenzahl setzt sich aus der jeweiligen Gerichtsabteilung, den Aktenzeichen sowie einer jährlich fortlaufenden Zahl und dem Jahr zusammen (z.B. Vg 5d Vr 211/48). Gegebenenfalls wird mittels der Ordnungszahl auf ein bestimmtes Stück innerhalb des Aktes verwiesen (z.B. Vg 5d Vr 211/48-10).
Beispiel für die Zitierung eines Volksgerichtsaktes: WStLA, Volksgericht, A1 - Vg Vr-Strafakten: Vg Vr 211/48
Bestandsgeschichte
Der Bestand lagerte im Landesgericht für Strafsachen und übersiedelte dort mindestens drei Mal. Die ersten Aktenaushebungen für wissenschaftliche Zwecke erfolgten dort Anfang der 1970 Jahre; ab diesem Zeitpunkt erfolgten auch Entlehnungen zur Mikroverfilmung an das Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien und später an das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes sowie an Privatpersonen zu Forschungszwecken. Am 31. Mai 2006 wurde der Bestand vom Wiener Stadt- und Landesarchiv übernommen.
Quellen
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Volksgericht, A1 - Vg Vr-Strafakten
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 119, A16 – Vermögensverfall aufgrund des Verbotsgesetzes
Weblinks
Literatur
- Hellmut Butterweck: Nationalsozialisten vor dem Volksgericht Wien. Österreichs Ringen um Gerechtigkeit 1945-1955 in der zeitgenössischen öffentlichen Wahrnehmung. Innsbruck: Studien Verlag 2016
- Brigitte Rigele: Verhaftet. Begnadigt. Davongekommen. Verfahren vor dem Volksgericht Wien 1945-1955. Wien: Wiener Stadt- und Landesarchiv 2010 (Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs, 80)
- Claudia Kuretsidis-Haider: "Das Volk sitzt zu Gericht". Österreichische Justiz und NS-Verbrechen am Beispiel der Engerau-Prozesse 1945-1954. Innsbruck: Studien Verlag 2006 (Österreichische Justizgeschichte, 2)
- Hellmut Butterweck, Verurteilt und begnadigt, Österreich und seine NS-Straftäter, Wien: Czernin 2003
- Karl Marschall: Volksgerichtsbarkeit und Verfolgung von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen in Österreich. Eine Dokumentation. Wien: Bundesministerium für Justiz 1977
Einzelnachweise
- ↑ Siehe § 10 (2) Wr.ArchG: Archivgut, das schutzwürdige personenbezogene Daten im Sinne des § 1 Abs. 1 Datenschutzgesetz 2000 enthält, unterliegt einer verlängerten Schutzfrist, die erst mit dem Tod der betroffenen Person endet, es sei denn, die betroffene Person hat einer Einsichtnahme schon zu Lebzeiten ausdrücklich zugestimmt. Ist der Todestag nicht feststellbar, endet die Schutzfrist 110 Jahre nach der Geburt der betreffenden Person (Wiener Archivgesetz, LGBl. Nr. 55/2000).