Alpinismus
Alpinismus (Bergsteigen; Anteil der Wiener). Bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kommt es in den österreichischen Alpen zu Gipfelbesteigungen, doch erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts können die meisten Gipfel als erstiegen bezeichnet werden; anfangs rüstete man zur Bezwingung von Gipfeln Expeditionen aus, die jenen glichen, die später in außereuropäischen Gebirgen eingesetzt wurden. Pioniere der Frühzeit waren der Erzbischof von Gurk, Franz Graf Salm (Kleinglockner), und Erzherzog Johann (Torstein, Hochwildstelle unter anderem). Der Naturforscher Friedrich Simony erschloß in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Dachsteinmassiv, Julius von Payer (später als Nordpolfahrer berühmt geworden) unter anderem die Ortlergruppe. In der Biedermeierzeit (Ausflüge) betrachteten die Bewohner Wiens den Besuch des Wechsels oder des Schneebergs noch als „Hochgebirgstour"; der Mangel an geeigneten Verkehrsmitteln und hohe Kosten verwehrten den meisten Städtern den Zugang zu den Bergen. Die in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts erschienenen „Reiseführer" (Franz von P. Gaheis, Anton Doll 1805, Johann Pezzl 1807, F. C. Weidmann 1823 und J. G. Seidl 1826) kommen über den Wienerwald kaum hinaus und warnten meist vor Touren ins „Hochgebirge" (das nach Ansicht mancher bereits in der Brühl begann); Franz Xaver Embel und Joseph August Schuhes beschreiben hingegen bereits im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts Ausflüge auf den Schneeberg. Die Romantik war der Verbreitung des Bergsteigens dienlich; 1827 bestieg Anastasius Grün den Schneeberg. Adolph Schmidl beschreibt 1835 erstmals auch Gebirgsgegenden, wie Wechsel, Semmering und Schneeberg. Die kurz danach eröffnete Südbahnstrecke der Eisenbahn (1841 durchgehend bis Gloggnitz, seit 1854 über den Semmering) veränderte die Situation grundlegend, da es nunmehr möglich wurde, die Distanzen in kürzerer Zeit zu bewältigen. Seit 1860 wurde der Alpinismus allmählich zum Leistungssport. In den 1850er und 1860er Jahren mehrte sich die Zahl der Wiener Bergsteiger, die in den Zentralalpen, in den Dolomiten und selbst in den Westalpen zahlreiche Erstbesteigungen bewältigten; unter den Wissenschaftlern sind die Geographen August Böhm, Carl Diener (auch Paläontologe) und Friedrich Simony oder der Geologe Eduard Sueß, unter den Bergbegeisterten die Brüder Emil und Otto Zsigmondy (beide Ärzte), der Jurist Dr. Heinrich Pfannl und der Alpenmaler Gustav Jahn hervorzuheben, unter den Wienerinnen Hermine Kauer (1880 erste Frau auf dem Ankogel; Herminensteig auf dem Schneeberg) und Rose Friedmann. Als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Alpen erschlossen waren, entwickelte sich das Bergsteigen zum Volkssport; es entstanden alpine Vereine (Österreichische Alpenverein [ÖAV; 19. November 1862], Österreichischer Touristenklub [ÖTK; 18. Mai 1869], Österreichischer Alpenklub [6. Dezember 1878], Österreichischer Gebirgsverein [ÖGV, ursprünglich „Niederösterreich Gebirgsverein", 25. März 1890], Touristenverein „Die Naturfreunde" [TVN; 28. März 1895]), die Schutzhütten bauten (der Österreichische Alpenverein seit 1877 [Rainerhütte im Kapruner Tal], die Naturfreunde seit 1907 [Padasterjochhaus in den Stubaier Alpen; Festredner war Karl Renner]; erstes Schutzhaus im Wienerwald war das Anningerhaus des „Vereins der Naturfreunde in Mödling" [1878]), gesicherte Steige anlegten, Wege markierten, gedruckte Führer und Touristenkarten herausgaben sowie Bergsteigerschulen schufen; durch die Naturfreunde wurden neue soziale Schichten angesprochen, der Touristenklub erschloß die niederösterreichisch-steirischen Grenzberge (1871 Erwerbung des Baumgartnerhauses auf dem Schneeberg, 1876 Errichtung des Karl-Ludwig-Hauses auf der Rax). In den 1870er Jahren dominierten im Rax- und Schneeberggebiet Dr. Wratislaw Fikeis und Dr. Franz Krischker. Bemerkenswert sind auch die von Wien ausgehenden Bemühungen um die Schwierigkeitsbewertung von Klettertouren (der Wiener Fritz Benesch war der erste Alpinautor, der 1894 ein auf Ziffern aufgebautes Schema entwickelte). Am 8. März 1896 ereignete sich auf dem Reißtalersteig (Rax) ein Lawinenunglück, das für die Gründung eines „Alpinen Rettungsausschusses" (22. Mai 1896) ausschlaggebend war; aus diesem ging 1945 der Österreichische Bergrettungsdienst (ÖBRD) hervor. Der Besucherstrom wuchs mit dem Bau von Bergbahnen (1897 Schneebergbahn, 1926 Raxseilbahn). Nach dem Ersten Weltkrieg fand politisches Gedankengut in die Alpenvereine Eingang (1921 „Arierparagraph" der Sektion „Austria", nachfolgend Gründung einer eigenen Sektion „Donauland", die jedoch 1925 aus dem Alpenverein ausgeschlossen wurde); Exponent der radikal-antisemitischen Richtung war Eduard Pichl (1872-1955; durch seine Leistungen als Bergsteiger [Dachsteinsüdwand, Nordwand der Planspitze] anerkannt), der auch den Wehrturnverein „Edelweiß" leitete, eine paramilitärische Organisation. In der Ersten Republik kamen Extrembergsteiger teilweise aus dem Heer der Arbeitslosen, die die ihnen aufgezwungene Freizeit nützten. Besonders im Gesäuse wurden damals von Wienern zahlreiche neue Durchstiege erzwungen; zu nennen sind Hubert Peterka (1908-1976), Fritz Kasparek (1910-1954) und Hans Schwanda (1904-1983); Dr. Karl Prusik erfand den nach ihm benannten Klemmknoten. Erstmals richteten sich die Blicke auch nach Übersee (unter anderem Expedition 1938 in den Himalaja, an der der Wiener Arzt Dr. Rudolf Jonas [† 1962; Bruder von Bürgermeister [[Franz Jonas] teilnahm). 1953 erfolgte über Initiative der Wiener Otto Wilhelm Steiner und Rudolf Jonas die Gründung der Österreichischen Himalaja-Gesellschaft (ÖHG). 1954 bezwang der Wiener Dr. Herbert Tichy den Gipfel des Cho Oyu (8.153 Meter), 1956 wurde die Österreichische Himalaja-Karakorum-Expedition unter Leitung von Fritz Moravec gestartet (Gasherbrum zwei), 1959 befanden sich im Expeditionsteam Moravec' verschiedene Wiener Bergsteiger, 1963 waren an der Dhaula-Himalaja-Expedition die Wiener Walter Gstrein und Ernst Kulhavy beteiligt, und 1979 stand die Lhotse-Expedition unter der Leitung von Erich Vanis aus Wien. Auch in den übrigen Berggebieten der Erde (Nord- und Südamerika, Kaukasus, Kleinasien und so weiter) waren Wiener Bergsteiger erfolgreich.
Literatur
- Peter Csendes, Gerhard Schirmer: Mit Seil und Haken. Der Wiener Anteil an der Erschließung der Bergwelt. In: Wiener Geschichtsblätter. Band 39. Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 1984, Beiheft 4
- Peter Csendes [Hg.]: Das Zeitalter Kaiser Franz Josephs I. Österreich 1848-1918. Das Tagebuch einer Epoche. Wien: Brandstätter 1989, S. 78 f., S. 132 f.
- Eduard Pichl: Wiens Bergsteigertum. Wien: Österreichische Staatsdruckerei 1927
- Felix Czeike: Reisen und Wandern in der Biedermeierzeit. In: Lotte Frauendienst [Hg.]: Das Buch von Niederösterreich. Wien: Forum-Verlag 1970, S. 244 ff.
- Karl Ziak: Die Wiener Hausberge. In: Lotte Frauendienst [Hg.]: Das Buch von Niederösterreich. Wien: Forum-Verlag 1970, S. 253 ff.
- Briefmarkenabhandlung der Postdirektion anläßlich des Erscheinens von österreichischen Briefmarken (1970)