Ballett
Das Theater des Mittelalters kannte nur Tanzeinlagen; älter sind lediglich Volkstänze und kultische Tänze; beim Turnierfest Maximilians I. 1506 in Innsbruck gab es ebenfalls Tanz. Ende 16. Jahrhundert kam das Ballett aus Oberitalien an den Wiener Hof und wurde von diesem gefördert; wurden zunächst Ballette auf der Bühne oder im Freien mit Instrumentalmusik, Sologesang und Chören aufgeführt, so ist Leopold I. als Begründer des Opernballetts zu betrachten. Die älteste erhaltene Wiener Ballettmusik (zur Oper „II Giro crescente" von Antonio Bertali, 1661) stammt von Wolfgang Ebner, der als Höhepunkt das berühmte Rossballett (balletto a cavallo) des Francesco Sbarra folgte (24. Jänner 1667). Das Hofballett orientierte sich am französischem Vorbild (ballet de cour; Hoftänzer mußten die Pariser Tanzakademie absolviert haben), war jedoch wesentlich einfacher; der Primat der Männer wurde im späten 17. Jahrhundert gebrochen. Seit dem Spätbarock treten (im Zusammenhang mit den großen Ballettfamilien) erstmals Berufstänzer in Erscheinung. Die Einführung des Balletts (als mythologisches, historisches oder Märchen-Ballett) in die Oper, mit deren Handlung oftmals kein Zusammnenhang bestand, führte zu seiner Entdramatisierung. Einen Markstein der Entwicklung setzte 1761 der Choreograph Angiolini mit der Gestaltung des „Don Juan" des Opernreformators Gluck; er wandelte das barocke „Schau- und Maschinenballett", bei dem der Mensch Nebensache war, zu jenem Ballett, in dem der Mensch das agierende und leitende Wesen war. 1767 wurde eine „Theatral-Tanzschule" gegründet. Um 1775 entwickelten Hilverding mit dem Ballet d'action und der von Maria Theresia nach Wien berufene Noverre, der sich für den Ausdruck des Menschlichen aussprach, einen eigenen Tanzstil, der natürlicher wirkte als der steife Stil des Barock; Noverre wies der Musik eine untermalende Rolle zu.
Im Biedermeier gab es neben dem Hofballett auch Theaterballette (so im Theater in der Leopoldstadt); das Opernballett fand seine alleinige Heimstatt im Kärntnertortheater, an dem an der Wende zum 19. Jahrhundert der Neapolitaner Salvatore Viganò Ballettmeister und seine Gattin Tänzerin war (Beethoven komponierte für das Ehepaar Viganò 1801 „Die Geschöpfe des Prometheus"). Mit Maria Taglioni, die vom Kärntnertortheater aus ihre Weltkarriere startete, Fanny Elßler, die ihr den Weltruf streitig machte, und Carlotta Grisi begann die Zeit des romantischen Ballettstils und des Spitzentanzes. Das Ballett wurde vielfach von drei auf vier oder fünf Akte erweitert und umfaßte bis zu 20 Nummern. Nach der Eröffnung der Hofoper (1869) wurde wegen der größeren Bühne das Ensemble des Balletts auf 80 Mitglieder erhöht. Noch 1869 wurde von Dingelstedt der Berliner Ballettmeister Paul Taglioni nach Wien berufen, der hier sein Prachtballett „Sardanapal" einstudierte. Die Epoche des romantischen Balletts wurde in der Folge zwar von einem realistischen Schaugepränge abgelöst, die Struktur des Balletts blieb jedoch annähernd die gleiche. Unter Wilhelm Jahn kam es 1888 zur Uraufführung der „Puppenfee" von Josef Bayer (1885 Hofballettmeister); außer der „Puppenfee" sind auch Delibes' „Coppelia" (1870) und „Sylvia" (1876) noch heute auf dem Programm. Neben Gluck verwendeten auch Verdi (Aida, Macbeth), Wagner (Tannhäuser), Borodin (Fürst Igor), Smetana (Verkaufte Braut) und andere das Ballett als integralen Bestandteil einer Opernhandlung.
Josef Hassreiter (1890-1919 Hofballettmeister) begründete mit Bayer und dem Ausstattungschef Franz Gaul einen „Wiener Balletstil" und ein hauseigenes Balletcorps; die erste Primaballerina aus seiner Schule war Elsa von Strohlendorf, die an die Stelle der letzten in der langen Reihe der italienischen Primaballerinen, Cäcilie Cerri, trat. Die Schwestern Wiesenthal (Grete Wiesenthal) brachten Anfang des 20. Jahrhunderts einen neuen Ausdruckstanz auf die Bühne. Gustav Mahler hatte wenig Sinn für das Ballett. Erst in der Zwischenkriegszeit änderte sich die Einstellung zum Ballett, als es zur Uraufführung bedeutender Werke von Richard Strauss kam („Josefslegende", „Schlagobers"). Ab 1923/1924 fanden Ballettaufführungen vor allem in den neu adaptierten Redoutensälen statt. Die Nachfolge Strohlendorfs trat Gusti Pichler an (1935 Ehrenmitglied der Staatsoper), doch nahm das Ensemble an Größe ständig ab. Erika Hanka, die 1942 die Leitung des Staatsopernballetts übernahm und eine klassische Tanzlyrik vertrat, führte dieses zu neuen Erfolgen. Nach 1945 übersiedelte die Staatsoper ins Theater an der Wien; in den Spielplan wurden zahlreiche neue Werke aufgenommen. Bei den Staatsvertragsfeierlichkeiten (15. Mai 1955) übernahm das Opernballett eine repräsentative Aufgabe. Im Eröffnungsjahr der Oper (1955) errang Hanka mit „Der Mohr von Venedig" einen besonderen Erfolg; zu Solotänzerinnen ernannte sie Julia Drapal (bis 1959) und Edeltraut Brexner (erste Trägerin des Fanny-Elßler-Rings). Das Staatsopernballett tritt bei zahlreichen festlichen Ereignissen repräsentativ in Erscheinung (beispielsweise Festwocheneröffnung, Untermalung des Neujahrskonzerts der Wiener Philharmoniker bei der Fernsehübertragung).
Literatur
- Hugo Riemann: Riemann Musiklexikon. In drei Bänden. Mainz: Schott 1959-1961 (weitere Literatur)
- Riki Raab: Das k. k. Hofballett unter Maria Theresia. In: Österreich im Europa der Aufklärung. Kontinuität und Zäsur in Europa zur Zeit Maria Theresias und Joseph II. Internationales Symposion in Wien 20.-23. Oktober 1980. Band 1. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1985, S. 767 ff.
- Riki Raab: 100 Jahre Wiener Opernballett. In: Wiener Geschichtsblätter 24 (1969), S. 487 ff.
- Riki Raab: Grabstätten von Ballettmitgliedern des Kärntnertortheaters, der k. k. Hofoper und der Staatsoper. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 28 (1972), S. 173 ff.
- Elvira Ruziczka: Das Wiener Opernballett. Diss. Univ. Wien. Wien 1948
- Franz Hadamowsky / Alexander Witeschnik: Hundert Jahre Wiener Oper am Ring [Jubiläumsausstellung]. Wien: Aktionskomitee 100 Jahr-Feier der Wiener Staatsoper 1969, S. 162 ff.
- Marcel Prawy: Geschichte und Geschichten der Wiener Staatsoper. Wien [u.a.]: Molden 1969, S. 209 ff.