Grinzinger Brauhaus
48° 15' 27.87" N, 16° 20' 22.53" E zur Karte im Wien Kulturgut
Grinzinger Brauhaus (19., Cobenzlgasse 30, auch Drei-Stern-Bräu oder Brauhaus St. Leopold), Brauerei.
Anfänge
Hinter dem Trummelhof errichtete im Jahr 1814 Reichsgraf Franz Simon Pfaff von Pfaffenhofen neben einer schon bestehenden Branntweinbrennerei eine „englische Bierbrauerey“. Er setzte auf für Wien völlig neue englische Produktionstechniken und kaufte sämtliche Maschinen und Werkzeuge in London. Es gab eiserne Weichstöcke, Maischbottiche und Kühlen (diese waren oval und an beiden Enden kielförmig geformt, woher auch der Name „Kühlschiff“ stammt). Man ließ die Würze, ehe sie in den Gärbottich kam, durch metallene mit Wasser gekühlte Rohre laufen. [1]
Ära Jetter und Richter
Da die Wiener vom Geschmack des neuen Bieres nicht begeistert waren, musste er die Brauerei 1820 an Ludwig Jetter verpachten und 1835 verkaufen. Dieses Jahr steht noch heute als Gründungsjahr über dem Eingang des Trummel-Hofes. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurden jährlich ca. 5000 Hektoliter Bier gebraut. 1852 starb Jetter und seine Gemahlin führte den Betrieb unter dem Namen „Ludwig Jetter’s sel. Witwe“ weiter. Die Brauerei hatte nur kurz ihre Produktion eingestellt und ging 1855 an Franz Richter und danach auf seinen gleichnamigen Sohn über, der im Brauherrenverein ein anerkannter Mann wurde und von 1869 bis 1872 an seiner Spitze stand. Er erweiterte die Brauerei wesentlich und 1873 wurden 46.633 Hektoliter Bier erzeugt. Von da an ging die Produktion ständig zurück. 1875 starb Franz Richter junior und seine Witwe Josephine erbte die Anteile. 1882 wurde die Firma unter Leitung ihres Sohnes Rudolf in eine offene Handelsgesellschaft umgewandelt. Die kleine Brauhausschank befand sich schräg gegenüber vom Trummelhof in der Cobenzlgasse 7.
Ära Bratmann - Brauhaus St. Leopold
1897 erwarb der 1848 in Mähren geborene Produktenhändler Josef Bratmann (1848-1924) den Betrieb. Er steigerte den Ausstoß wieder auf bis zu 40.000 Hektoliter (1908). Außerdem wurden dort ein sehr bekanntes Kracherl und Sodawasser produziert. Ende des Jahres 1901 wurde eine Flaschenfüllerei eingerichtet und Anfang 1902 mit dem Verkauf von Flaschenbier begonnen. 1911/12 wurden hier in der Braukampagne 32.131 Hektoliter Bier gebraut. Der Betrieb war damit mit Abstand die kleinste Brauerei Wiens.[2] Während des Ersten Weltkriegs ging die Produktion stark zurück und auch danach litt das Brauhaus St. Leopold unter der Schwäche des Brauereigewerbes und der starken Konkurrenz der Vereinigten Brauereien.
Drei Stern Bräu und Niedergang
1924 erbte Josef Bratmanns Tochter Margaretha (1888-1981) und deren Mann Eduard Budil (1894-1947) das Brauhaus. Sie modernisierten die Anlage nach dem Nathan-Verfahren und setzten vor allem auf Flaschenbiererzeugung unter dem Namen „Drei-Stern-Bräu“.[3] Das dunkle Bier war zwar bekannt und begehrt, doch 1930/31 brachten wirtschaftliche Probleme das endgültige Aus für das Grinzinger Brauhaus. Am 31. Oktober 1951 erlosch die Konzession ungenützt. Es wurde dort einige Jahre nur mehr Bier anderer Erzeuger, hauptsächlich vom Brauhaus der Stadt Wien in Rannersdorf, abgefüllt.
Das Gelände wurde bereits in den 1930er-Jahren von der Sascha-Film Verleih- und Vertriebs GmbH (Atelier Grinzing) – ab 1938 Wien-Film – erworben und 1953 um 5,8 Millionen Schilling eine Synchronisationshalle und ein Film-Kopierwerk eingerichtet.
Mitte der 1980er-Jahre wurden auch diese Aktivitäten eingestellt, danach lagen die Gebäude brach und verfielen. Teile der noch bestehenden Gemäuer wurden um 2004 zu einem modernen Wohn- und Geschäftshaus ausgebaut.
Heute
Heute besteht der sogenannte Trummelhof mit Inschrift "Brauhaus" über dem Tor in veränderter Form als Wohnhaus mit einem Lokal. Der ehemalige Bierausschank mit Garten ist in veränderter Form als Restaurant erhalten geblieben. Die Brauhausrestauration in der Grinzinger Allee 36 mit dem einst 3.000 Personen fassenden "Bertasaal" wurde in den 1930er-Jahren abgerissen. An der Stelle wurden Villen und Wohnhäuser errichtet.
Bilder
Quellen
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Handelsgericht, A4: Firmenakt: R185 Franz Richter Erben, Brauhausunternehmer
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Handelsgericht, B75/4: Handelsregister Ges 4/36, Franz Richter & Comp. 1863-gelöscht
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Handelsgericht, B74/30: Handelsregister E 30/309, Josef Bratmann 1897-40 --> gelöscht
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Handelsgericht, B76/52: Handelsregister A 52/17a, "Drei Goldstern" Wiener Bier-Vertrieb Eduard Budil & Co. 1925-1940 -> gelöscht
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Handelsgericht, A2: A67/1875: Verlassenschaftsabhandlung Franz Richter, Brauhandelsbesitzer
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Handelsgericht, A51: 39/1875: Testament Franz Richter
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Archivbibliothek: W 28.127 (Konvolut von reproduzierten Fotografien und Bauplänen zum Umbau des ehemaligen Grinzinger Brauhaus zum Kopierwerk Grinzing der Wien-Film)
Literatur
- Döbling – Eine Heimatkunde des XIX. Wiener Bezirkes (hg. Von Döblinger Lehrern). Wien 1922
- Christian Springer / Alfred Paleczny / Wolfgang Ladenbauer: Wiener Bier-Geschichte. Böhlau Verlag: Wien-Köln-Weimar 2017, 146-150
- Christian M. Springer: Das Grinzinger Brauhaus im Trummelhof. In: Döblinger Extrablatt, Nr. 20/2019, S. 26-28 und Nr. 21/2019, S. 14-16
- Leopold Weiss: Die Groß-Industrie Österreichs. Festgabe zum glorreichen 50-jährigen Regierungsjubiläum Seiner Majestät des Kaisers Franz Josef I. Wien 1898, S. 209
- Christian Springer: Historische Brauerei-Topographie Wien. Die Brauereien auf dem Gebiet des heutigen Stadtgebietes. Wien 2023, 107-112
Referenzen
- ↑ Leopold Weiss: Die Groß-Industrie Österreichs. Festgabe zum glorreichen 50-jährigen Regierungsjubiläum Seiner Majestät des Kaisers Franz Josef I. Wien 1898, S. 209.
- ↑ Neues Wien Tagblatt vom 1. Juni 1913
- ↑ Döbling – Eine Heimatkunde des XIX. Wiener Bezirkes (hg. Von Döblinger Lehrern). Wien 1922, S. 284.