Grundbücher
Mittelalterliche Entwicklung
Die älteste Form der schriftlichen Evidenzhaltung der zu einer Grundherrschaft gehörigen verbauten und unverbauten Parzellen war das Urbar oder Dienstbuch, das periodisch neu angelegt und jeweils durch Nachträge ergänzt wurde. Darin waren - topografisch geordnet - die einzelnen Parzellen, die Namen der Nutznießer (Besitzer) und die von ihnen zu bestimmten Terminen zu leistenden Grundzinse verzeichnet. Die ältesten in Wien erhaltenen Dienstbücher sind jene des Bürgerspitals (1305)[1] und des Schottenstifts (1314, mit Nachträgen bis 1327). In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts begann man, parallel zu den Dienstbüchern Grundbücher zu führen, in welchen Übertragungen der Nutznießung (Kauf, Vererbung, Verpfändung) chronologisch mit Angabe des früheren Besitzers, des Diensts und der Eintragungsgebühr sowie mit topografischen Hinweisen verzeichnet wurden.
Reformen Rudolfs IV. und Auswirkungen auf die Grundbuchsführung
Die Grundbücher der Gemeinde Wien standen auf einer wesentlich höheren Stufe der Rechtsentwicklung. Die Reformen Rudolfs IV. führten dazu, dass der Rat der Stadt Wien, deren Stadtherr er war, zur obersten grundherrlichen Instanz innerhalb der Stadt wurde. Auf diese neue Funktion geht auch die Schaffung eines eigenen Grundsiegels zurück, das seit dem Jahr 1360 an Verkaufsurkunden über Hausbesitz und Burgrechte in der Stadt nachzuweisen ist. Obwohl solche Urkunden private Ausfertigungen der Geschäftspartner waren, musste der Verkauf unter Mitwirkung und Genehmigung von Bürgermeister und Rat erfolgen. Sichtbares Zeichen dieser Mitwirkung war die Anbringung des Grundsiegels der Stadt an der betreffenden Urkunde neben jenem des Verkäufers. In manchen Fällen siegelte und bestätigte damit jene Urkunden nur der Rat, nicht aber der Aussteller.
Für das Grundbuchswesen hieß das, dass sich die Führung änderte. Änderten sich die Besitzverhältnisse einer Liegenschaft, so mussten diese in ein Buch eingetragen werden, um den Besitzanspruch zu sichern. Die Eintragung durch die Stadt als Institution mit hohem Ansehen und hoher Glaubwürdigkeit garantierte den Anspruch in erhöhtem Maße. Die Wiener Grundbuchsherren urkundeten häufig auch in fremder Sache, da trotz der Gesetzgebung Rudolfs, dass nämlich innerhalb des Burgfrieds nur die Stadt als Grundherr zu fungieren habe, noch viele andere Grundherren Hoheitsrechte wahrnahmen. Auch deren Liegenschaftstransaktionen wurden eingetragen und besiegelt.
Zunächst legte die Stadt Kaufbücher an, die von 1368 bis 1437 geführt wurden, und getrennt davon Gewerbücher (Gewere = Nutznießung). Die Grundlage für die Intabulierung waren Urkunden. Die Eintragungen in die Kaufbücher waren Auszüge aus den Kaufbriefen über Liegenschaften. In die Gewerbücher wurde eingetragen, dass die Intabulierungsgebühr von 72 Pfennigen bezahlt worden war. Die Einschreibung erfolgte aber nur, wenn die Liegenschaft im Erbwege oder durch ein Gerichtsurteil an den neuen Besitzer gelangt worden war. Ab 1420 führte man nur mehr Gewerbücher, in welche nun auch Käufe eingetragen wurden. 1373 wurde das erste Satzbuch (von Satz = Hypothek) angelegt.
Die Ordnung in den so genannten städtischen Grundbüchern war allerdings nicht sehr praktisch. Sie erschwerte das Auffinden einzelner Eintragungen. Die Bücher wurden in 20 Buchstaben des Alphabets aufgeteilt. Kriterium für die Eintragung war der Vorname. Innerhalb des Buchstabens erfolgte eine chronologische Ordnung. 1474 gab man das System zugunsten eines rein chronologischen auf. 1543 wurden die ersten Indices (Gb 1/68) zu den älteren Grundbüchern angelegt.
Andere Grundherren - unterschiedliche Systematik
Von anderen Grundherrschaften in Wien – abgesehen von Bürgerspital und Schottenstift - haben sich Grundbücher dieser Art erst ab dem 15. Jahrhundert erhalten. Basis war ein Dienstbuch, das topografisch nach Fluren und Rieden geordnet war. Den Hauptteil der Grundbücher bildeten chronologisch angelegte Gewerbücher. Neben dem Namen des Besitzers wurde im Dienstbuch die Foliozahl eingetragen, auf der die Geweranschreibung oder die Grundstücksbelastung vermerkt war. Auch vermerkte das Dienstbuch jährlich, ob Abgaben (Dienste) an den Grundherrn entrichtet wurden. Satzbücher wurden – abgesehen von wenigen Ausnahmen – erst am Ende des 17. Jahrhunderts allgemein eingeführt. Voraussetzung für die Eintragung ins Grundbuch war der Vorweis einschlägiger Urkunden; im Notfall genügte ein Zeugenbeweis. Die Ausgestaltung der Grundbuchsführung oblag dem jeweilige Grundherrn und wurde nicht vom Landesfürsten vorgegeben. Die Unterschiede in der Führung wurden allerdings im Laufe der Zeit zunehmend geringer.
Vereinheitlichung
Die Führung von Grundbüchern durch die einzelnen Grundherrschaften erfolgte zunächst in unterschiedlicher Form; vereinheitlicht wurde die Grundbuchsführung erst durch den am 13. März 1679 erlassenen „Tractatus de juribus incorporalibus" (IV. Teil, §§ 9-25); die Grundherren wurden verpflichtet, Grundbücher auf eigene Kosten zu führen, bei jedem Wechsel des Grundstücksbesitzers Eintragungen vorzunehmen und ebenso die Sätze (Lasten) einzutragen. Die Urkunden sollten beim Grundbuchsherrn verwahrt werden (Beginn der Urkundensammlung). Große Grundherrschaften, beispielsweise Stift Klosterneuburg, zerlegten ihren Gesamtbesitz in Verwaltungseinheiten, sogenannten Ämter.
Neues System
Ein Grundbuch besonderer Art war die Landtafel. Nach Aufhebung der Grundherrschaften (7. September 1848) und Ablöse der damit verbundenen Leistungen (bis 1850) ging die Kompetenz zur Grundbuchsführung auf die neugeschaffenen Bezirksgerichte über. Zunächst behielt man die bisherige Form bei - auch die gesonderte Erfassung der bisherigen Landtafel-Güter. Die heute gültige Art der Grundbuchsführung basiert auf dem Allgemeinen Grundbuchsgesetz vom 26. Juni 1871, das am 15. Februar 1872 in Kraft trat, und auf einem Durchführungsgesetz vom 2. Juni 1874. Danach besitzt jedes Objekt innerhalb einer Katastralgemeinde, die in Wien den inneren Bezirken und den 1890 eingemeindeten Ortsgemeinden außerhalb des Gürtels entspricht, eine Grundbuchs-Einlagezahl (EZ), nach welcher das Objekt im Hauptbuch (Teil A: Beschreibung; Teil B: Eigentumsveränderungen; Teil C: Belastungen) gereiht ist; neben dem Hauptbuch besteht eine Urkundensammlung. Am 15. Juli 1927 fielen dem Brand des Justizpalasts alle damals aktuellen Grundbücher für den Wiener Raum sowie die noch immer weitergeführte Niederösterreichische Landtafel zum Opfer; der Besitzstand musste anhand von Urkunden und anderen Quellen rekonstruiert werden.
Umstellung auf EDV
Am 27. November 1980 wurde das Gesetz über die Umstellung des Grundbuchs auf automationsunterstützte Datenverarbeitung beschlossen (Grundbuchsumstellungsgesetz, Bundesgesetzblatt 550/1980). Die Eingliederung der einstigen landtäflichen Objekte in die allgemeinen Grundbücher der Katastralgemeinden erfolgte erst 1986/1987 im Zuge dieser Automatisierung. Die städtischen Grundbücher bis etwa 1880 befinden sich im Wiener Stadt- und Landesarchiv, die neueren teilweise noch im zuständigen Bezirksgericht.[2] Grundbücher anderer alter Grundherrschaften aus dem Wiener Raum werden teilweise von kirchlichen Archiven (vor allem Schottenstift, Stift Klosterneuburg, Stift Heiligenkreuz, Barnabiten, Deutscher Orden) oder Privatarchiven verwahrt. Mit der Novelle des Grundbuchsumstellungsgesetzes 2003 wurde auch die Urkundensammlung elektronisch. Seither neuanfallende Grundbuchsurkunden werden in der elektronischen Urkundendatenbank gespeichert. Die herkömmliche Urkundensammlung besteht allerdings weiterhin für jene Urkunden, die aus technischen Gründen nicht elektronisch gespeichert werden können.[3]
Siehe auch:
Quellen
Die Grundbücher im Wiener Stadt- und Landesarchiv sind nach Grundherrschaften geordnet, wobei die Herrschaften 1-32 echte alte Grundherrschaften, die Herrschaften 101-266 neu geschaffene Einheiten darstellen, denen topografische Ordnungsprinzipien zugrunde liegen. Innerhalb der topogafischen Ordnung finden die alten Grundherrschaften aber Berücksichtigung. Das Prinzip, jeder Herrschaft auch innerhalb der topografischen Ordnung eine Nummer zu geben, blieb erhalten.
Literatur
- Heinrich Demelius: Über die alten Wiener Grundbücher. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien. Band 9. Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 1951, S. 110 ff.
- Klaus Lohrmann: Grundbücher. Wien 1986 (Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs, Reihe A: Archivinventar, Serie 1: Stadtarchiv, 2)
- Archivalien aus acht Jahrhunderten. Ausstellung des Archivs der Stadt Wien. Dezember 1964 - Februar 1965. Wien: Eigenverlag der Museen der Stadt Wien 1965 (Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, 15), S. 25 f. (Katalognummer Nummer 25, 26)
- Martin Stürzlinger: Die Wiener Grundbücher der Frühen Neuzeit. Auswertungen einer Datenbank. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 56 (2000), S. 213 ff.
- Jürgen C.T. Rassi, Grundbuchsrecht. Handbuch für die Praxis. Wien: Manz'sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung 2019
Einzelnachweise
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, Grundbücher, B6.1 - Dienstbuch A 1305-
- ↑ Die aktuelle Übersicht darüber, welche Grundbücher bereits an das Wiener Stadt- und Landesarchiv übergeben wurden, findet sich im Wiener Archivinformationssystem: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Bezirksgerichte Wiens
- ↑ Jürgen C.T. Rassi, Grundbuchsrecht. Handbuch für die Praxis. Wien: Manz'sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung 2019, S. 25-26.