HS Siccardsburggasse 55-57
48° 10' 26.04" N, 16° 22' 14.27" E zur Karte im Wien Kulturgut
Bürgerschule für Knaben und Mädchen in getrennten Abteilungen, 10., Siccardsburggasse 55-57.
Die Bürgerschule Siccardsburggasse 55-57 war eine öffentliche Bürgerschule im 10. Wiener Gemeindebezirk, Favoriten. Im selben Gebäude, allerdings mit einem anderen Eingang und deshalb unter einer anderen Adresse befanden sich die Mädchenvolksschule Arthaberplatz 12-13 sowie die Knabenvolksschule Rotenhofgasse 35-37.
Heute befindet sich an diesem Standort die städtische Wohnhausanlage Brunngraberhof der Gemeinde Wien, die in den Jahren 1957-1959 errichtet wurde.
Schulgründung
Mit Gemeinderatsbeschluss vom 12. Juli 1904 erwarb die Gemeinde Wien vom Stadtbaumeister Eduard von Frauenfeld insgesamt vier Liegenschaften im Gesamtausmaß von 2314 Quadratmeter am Arthaberplatz, Ecke Rotenhofgasse, Davidgasse und Siccardsburggasse zur Errichtung einer Doppelvolksschule und Doppelbürgerschule. Mit Gemeinderatsbeschluss vom 12. September 1905 wurde dann das Projekt für den Bau und die Einrichtung der Doppelvolks- und bürgerschule genehmigt. Im Jahr 1906 wurde das Schulgebäude fertiggestellt und konnte in Benützung genommen werden.
Das Schulgebäude diente zur Unterbringung einer Bürgerschule für Knaben und Mädchen unter gemeinsamer Leitung mit insgesamt zehn Klassen sowie einer allgemeinen Volksschule für Knaben mit 15 Klassen und einer allgemeinen Volksschule für Mädchen gleichfalls mit 15 Klassen. So befand sich die Knabenbürgerschule in der Siccardsburggasse 55 und die Mädchenknabenschule daneben in der Siccardsburggasse 57. Die Knabenvolksschule war in der Rotenhofgasse 35-37 untergebracht, während die Mädchenvolksschule ihre Anschrift am Arthaberplatz 12-13 hatte.
Im ersten Schuljahr 1906/1907 eröffnete die Doppelbürgerschule unter der Leitung von Guido Jöndl. Die Knabenabteilung wurde von 298 Schülern in sechs Klassen besucht. Davon waren 283 Schüler römisch-katholisch, einer altkatholisch und 14 evangelisch. Die Mädchenabteilung bestand aus 241 Schülerinnen, die auf fünf Klassen aufgeteilt waren. Von den Schülerinnen waren 234 römisch-katholisch und sieben evangelisch. Eine Schüler- und oder Lehrerbibliothek besaß die Schule Anfang des ersten Schuljahres noch nicht; der Beschluss über den Ankauf erfolgte erst im Novembermonat des Jahres 1906.
Schulausstattung
Das Schulgebäude enthielt 40 Lehrzimmer, zwei Zeichensäle, einen Handarbeitssaal, drei Modellzimmer, drei Turnsäle inklusive Ankleideräumen, sieben Lehrmittelzimmer, drei Kanzleien, zwei Konferenzzimmer und zwei Schuldienerwohnungen.
Die Zwischendecken der Geschoße waren in den Schulräumen Traversentramdecken, in den Aborten, Gängen und im Stiegenhaus Ziegelgewölbe. Die Fußböden in den Räumen waren mit harten Eichenbretteln belegt. Im Schulgebäude Arthaberplatz 12/13 waren zwei im Erdgeschoß gelegene Lehrzimmer mit Holzsteinfußböden versehen. In den Aborten und Gängen lag Terazzopflaster. In den Lehrräumen wie in den Aborten, Gängen und auf den Stiegen waren Hohlkehlensockel angebracht; diese waren in den Räumen aus Holzsteinmasse, sonst aus Terrazzo- oder Kunststein.
Erster Weltkrieg und Zwischenkriegszeit
Die Bürgerschule Siccardsburggasse 55-57 war seit Kriegsbeginn in der Herzgasse 27 untergebracht, da das eigene Gebäude vom Militär belegt war. Turnsaal und Zeichensaal wurden vom katholischen Arbeiterinnen-Verein "Favoriten" für Fortbildungszwecke, vom Lehrlingshort der städtischen Fortbildungsschulen sowie vom Knabenhort benützt. Ab dem Jahr 1916/1917 diente der Turnsaal jedoch als öffentliche Ausspeisungsstelle. Ihre Funktion als fachliche Fortbildungsschule konnte die Knabenbürgerschule während der Zeit des Ersten Weltkriegs aufrechterhalten (im Schuljahr 1915/1916 für Eisen- und Metallarbeiter sowie für Eisen- und Modelltischler; ab dem Schuljahr 1916/1917 für Gießer sowie für Schuhmacher).
Ständestaat, NS-Zeit und Zweiter Weltkrieg
Während die Knabenhauptschule (frühere Bürgerschule vor dem Hauptschulgesetz 1927) sogar noch in der Zeit des Ständestaats im Schuljahr 1936/1936 als Religionssammelstelle für den evangelischen sowie für den jüdischen Religionsunterricht fungierte und in diesem Jahr auch noch sechs jüdische Schüler die Schule besuchten, tauchen spätestens nach dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich im Jahr 1938 keine jüdischen Schüler mehr auf.
Wo Anfang der 1930er Jahre der Turnsaal noch durch den Christlich-deutschen Turnverein "Favoriten", den Athletikklub "Favoriten" sowie durch den Touristenverein "Die Naturfreunde" mitbenützt wurde, wurden die Räumlichkeiten nach und nach von nationalsozialistischen Organisationen belegt. So wurde der Turnhof von einer NSDAP-Ortsgruppe (wohl dem NSDAP-Kreis IV zugehörig) benützt. Weitere Lehrzimmer wurden von der Hitlerjugend und dem Bund deutscher Mädel belegt.
Die Verdrängung der französischen Sprache als Fremdsprache auf dem Lehrplan erfolgte schrittweise. Für die Mädchen der Hauptschule löste Englisch die französische Sprache erst im Schuljahr 1942/1943 vollständig ab, während die Knaben bereits im Schuljahr 1938/1939 englischen Sprachunterricht hätten erhalten sollen, dieser allerdings erst 1940/1941 umgesetzt wurde. Die Mädchenhauptschule fungierte zudem in der Kriegszeit zeitweise als Religionssammelstelle für den altkatholischen Religionsunterricht.
Ab 1940/1941 bis Kriegsende war die Hauptschulen der Siccardsburggasse dann wiederum (wie bereits im Ersten Weltkrieg) in der Doppelhauptschule Herzgasse 27 untergebracht, da das eigene Gebäude vom Militär belegt war. In der Herzgasse 27 befanden sich zu diesem Zeitpunkt bereits zahlreiche andere Schulen, sodass Wechselunterricht erteilt werden musste. 1944/1945 waren zudem die Knabenhauptschule Hebbelplatz 1 sowie die Knabenhauptschule Antonsplatz 12 im Schulgebäude der Siccardsburggasse untergebracht, da am Standesausweis der Knabenhauptschule Antonsplatz 12 dokumentiert ist, dass sie schlussendlich im benachbarten Gebäude der Oberschule in der Jagdgasse 40 untergekommen war, weil ihr eigenes Gebäude zerbombt worden war.
Die Schülerinnen- und Schülerzahl sank während der Zeit des Ständestaats sowie weiters in der Kriegszeit um circa die Hälfte. Im Schuljahr 1934/1945 besuchten noch 418 Knaben in elf Klassen sowie 422 Schülerinnen in ebenfalls elf Klassen die Hauptschule. Im Schuljahr 1938/1939 waren es noch 296 Schüler in neun Klassen und 362 Schülerinnen in zehn Klassen, während 1944/1945 nur noch 185 Knaben in fünf Klassen und 209 Schülerinnen in fünf Klassen eingeschrieben waren.
Laut dem Kriegsschädenplan von 1946 hatte das Schulgebäude Bombentreffer abbekommen. Die benachbarte (als ehemalige k. k. Staatsrealschule erbaute) Oberschule in der Jagdgasse 40 erlitt sogar einen Totalschaden.
Nachkriegszeit
Nach dem Zweiten Weltkrieg ist eine Schule in der Siccardsburggasse 55 und 57 nicht mehr auffindbar, weshalb davon auszugehen ist, dass die Hauptschulen nach dem Krieg anderweitig unterkam. Somit finden die Schulen mit Johann Selbitschka als Schulleiter der Knabenhauptschule und mit Heinrich Grim als Schulleiter der Mädchenhauptschule im Handbuch Reichsgau Wien von 1944 ihre letzte Erwähnung am ehemaligen Standort in der Siccardsburggasse 55-57.
Quellen
- Handbuch Reichsgau Wien. 65.66. amtlich redigierter Jahrgang. Wien: Deutscher Verlag für Jugend und Volk 1944.
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Stadtschulrat, A9/1 – Standesausweise: Öffentliche Schulen 1916-1945
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Stadtschulrat, B4 – Standesausweise 1876-1915
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Kartographische Sammlung, Pläne der Plan- und Schriftenkammer, P10/2.120422
- Georeferenzierter Kriegsschädenplan von 1946 in Wien Kulturgut
- Verwaltungsbericht der k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien im Jahre 1904. Bericht des Bürgermeisters Dr. Karl Lueger. Wien: Gerlach & Wiedling, Buch und Kunstverlag 1906
- Verwaltungsbericht der k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien im Jahre 1905. Bericht des Bürgermeisters Dr. Karl Lueger. Wien: Gerlach & Wiedling, Buch und Kunstverlag 1907
- Verwaltungsbericht der k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien im Jahre 1906. Bericht des Bürgermeisters Dr. Karl Lueger. Wien: Gerlach & Wiedling, Buch und Kunstverlag 1908