Israelitischer Bethausverein Machsike Hadass
48° 12' 41.06" N, 16° 22' 25.55" E zur Karte im Wien Kulturgut
Vereinsgeschichte
Der Israelitische Bethausverein Machsike Hadass (=Festiger des Glaubens) wurde im Jahr 1901 gegründet und unterhielt bis 1938 in 1., Lazenhof 2, Judengasse 8 ein Jüdisches Bethaus und eine Talmud-Thora Schule. Die Proponenten Josef Schreier, 1901 wohnhaft in 1., Fischerstiege 3 (Obmann), Bernhard Hofbauer, 1., Tuchlauben 26, Moriz Goldstein, 1., Wipplingerstraße 2, Adolf Rosenthal, 1., Judengasse 7 und Herman Spitzer, 2., Praterstraße 25 legten der Vereinsbehörde im März 1901 die Statuten vor. Der Vereinszweck lautete: "1) Für die Erhaltung des seit dem Jahre 1884 in Wien bestehenden und von Herrn Josef Schreier gegründeten, gegenwärtig im Hause Judengasse 12 befindlichen Bethauses und der damit verbundenen und zu vereinbarenden frommen Werke für das Seelenheil verstorbener Mitglieder Sorge zu tragen, 2) durch anregende Vorträge das Studium und das Verständnis der heiligen Gotteslehre in wahrhaft religiösem Sinne auch auf das moralische und humanitäre Gefühl der Glaubensgenossen zu wirken" (Statut 1901, § 1). In § 3 des Statuts von 1901 stand, dass vom orthodoxen Ritus niemals abgegangen werden dürfe. Mitglied konnte "jeder Israelit" werden, "der das 20. Lebensjahr zurückgelegt hat" (§ 4). Im Jahr 1920 wurde in geänderten Statuten betont, dass das Bethaus nach dem "Minhag Aschkenas" (=aschkenasischer Brauch im Gegensatz zum sephardischen Brauch) geführt werden müsse (Statut 1920, § 3). [1] Im Jahr 1920 wurde diesem Verein eine Talmud-Thora Schule und ein Jüdischer Kindergarten Jessod Hathora angeschlossen. 1929 spalteten sich einige Mitglieder ab und gründeten den nach sephardischem Ritus ausgerichteten Israelitischen Bethausverein Kahilath Jakob in [[1]., Judengasse 11.[2]. 1931 wurde der Talmud-Thora-Schulverein im Bethaus Lazenhof 2 gegründet. [3] Der Israelitische Bethausverein Machsike Hadass mit allen angeschlossenen Institutionen wurde nach 1945 nicht wieder begründet.
Schließung des Bethauses, Novemberpogrom, Arisierung und Vereinsauflösung 1938/1939
Das Bethaus, die Talmud-Thora Schule und der Jessod-Hathora Kindergarten wurden nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten behördlich geschlossen und von der Gestapo versiegelt. Die Gehälter der Lehrer konnten nicht mehr ausbezahlt werden. Am 12. Dezember 1939 fragte der Amtsdirektor der Israelitischen Kultusgemeinde Wien Josef Loewenherz bei der Gestapo an, ob das der Kultusgemeinde vom Stillhaltekommissar eingewiesene Bethaus wieder geöffnet werden könne.[4] Das Bethaus und die Talmud-Thora Schule wurden während des Novemberpogroms am 10. November 1938 geplündert und im Inneren vollkommen zerstört. Im Zuge dieser Ausschreitungen wurden jüdische Bewohner des Hauses Lazenhof 2 schwer misshandelt. Der wegen § 3, § 4, § 6 und § 7 Kriegsverbrechergesetz und § 8 und § 10/3 Verbotsgesetz vom Volksgericht Wien angeklagte Heinrich Turba (*29. Jänner 1884 Wien) hatte gemeinsam mit Mitangeklagten nach Zeugenaussagen alles im Bethaus "zerschlagen" und sich die "Teppiche vom Bethaus" und andere Gegenstände "angeeignet". In der Hauptverhandlung am 26. November 1947 behauptete Heinrich Turba, dass er das Bethaus nicht gekannt habe. "An der Zertrümmerung von Einrichtungsgegenständen habe ich mich nicht beteiligt. Auch war ich nicht im Bethaus drinnen". Im Beweisverfahren schilderte eine Zeugin die Vorgänge während des Pogroms im Bethaus: "Latzenhof 2 und Judengasse 8 ist ein Haus. Das Haus hat 2 Eingänge. Dort befand sich ein Bethaus. Man geht direkt von der Strasse in das Bethaus. Bei offener Türe konnte man in das Bethaus hineinschauen. Als ich hineinschaute, sah ich Turba und noch 3 Männer, die ich nicht kannte, sie waren in Zivil. Turba schlug eben die letzten Glühlampen des Lusters herunter. (...) Ich hörte Turba sagen 'Eine Lampe brennt noch, die werden wir noch herunter werfen'. Ausser mir haben noch viele Leute die Demolierung im Bethaus gesehen. Es war eine ganze Menschenansammlung". [5] Die Auflösung des Bethausvereins der Machsike-Hadass und des Talmud-Thora-Schulvereins, sowie deren Löschung aus dem Vereinsregister durch den Stillhaltekommissar für Vereine, Organisationen und Verbände erfolgte im Verlauf des Jahres 1939. Ein Vereinsvermögen von 2005,21 Reichsmark abzüglich einer an den NS-Staat bezahlten Aufbauumlage in der Höhe von 20% (501, 30 Reichsmark) musste zwangsweise auf ein Konto der Israelitischen Kultusgemeinde für Fürsrorgezwecke überwiesen werden. [6]
Eigentumsverhältnisse: Arisierung und Restitution der Liegenschaft
Eigentümer eines Teils (11/15) des 1844 errichteten Hauses 1., Lazenhof 2, Judengasse 8, KG Innere Stadt, EZ 694 war bis 1942 die Israelitische Kultusgemeinde Wien als Rechtsnachfolgerin der aufgelösten Vereine Bethausverein der Machsike Hadass und Talmud-Thora-Schulverein.[7] Am 6. August 1942 kam es zum Kaufvertrag zwischen der Israelitischen Kultusgemeinde Wien und Max und Klothilde Kirchlechner.[8] Der Kaufpreis erging aber an die Stadt Wien. [9] Laut Bescheid der Gemeindeverwaltung des Reichsgaues Wien, Abteilung H 1/5 - Preisbehörde, Gruppe: Entjudung von Liegenschaften, Zeichen Schu/Ba, Nr. 8483 a/II/7 vom 29. April 1943 wurde der Kaufpreis von 16.000 auf 30.000 Reichsmark erhöht. Max Kirchlechner war Mitglied der NSDAP und Kreisamtsleiter des Kreisrechtsamtes .[10] Im Jahr 1947 wurde vor der Rückstellungskommission beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien ein Vergleich über die Rückstellung des Hausanteils an die Israelitische Kultusgemeinde geschlossen. [11] Die Israelitische Kultusgemeinde vermietete das Vereinslokal im Lazenhof viele Jahre lang an die Jüdische Jugendbewegung Hashomer Hatzair. Das Haus befand sich im Jahr 2000 noch im Besitz der Israelitischen Kultusgemeinde, die es aber nicht mehr als Bethaus nützte. [12].
Bedeutende Rabbiner
- Der Oberrabbiner der jüdischen Weltbewegung Agudas Jisrael und letzter Rabbiner der Schiffschul Sigmund Jeschaja Fürst wirkte auch im Bethausverein der Machsike Hadass.[13]
- Rabbiner Samuel Neuwirth, ein Schüler von Rabbiner Sigmund Jeschaja Fürst, war Rabbiner des Schönlatern-Bethaus-Vereins Machsike Thora und des Bethausvereins der Machsike Hadass in den Jahren 1918 bis 1938.[14]
Vereinsvorstand
- Obman: Josef Schreier (1884 bis mindestens 1901), Trödler, 1., Fischerstiege 3
- Obmann: Bernhard Hofbauer (1922), Inhaber der Firma Adolf & Bernhard Hofbauer, Band- und Seidenwarenhandlung, 1., Tuchlauben 24-26
- Obmann: Simon Kohn (1932), Firmenbesitzer Schneidergewerbe, wohnhaft 1., Riemergasse 9, Geschäft: 1., Hoher Markt 10
- Letzter Obmann: Ludwig Kritzler (1938), Baumeister, Ingenieur, 1938 wohnhaft: 1., Franz-Josephs-Kai 19.[15]
Quellen
- Anno Jüdische Presse 29. September 1922, Nr. 35/36, S. 216
- Central Archives for the History of the Jewish People (CAHP), A/W 602 und 1574
- Wiener Friedhöfe Verstorbenensuche
- Adolph Lehmann's allgemeiner Wohnungs-Anzeiger : nebst Handels- u. Gewerbe-Adressbuch für d. k.k. Reichshaupt- u. Residenzstadt [...]
- Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, Stillhaltekommissar Wien: IV Ac 31 A 1/2, Schachtel 554
- Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, Vermögensverkehrsstelle Lg. 8483, Bd. I, Karton 532
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Volksgericht, A1: Vg Vr 4795/1946
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, M. Abt. 119, A 32: 8993/31
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, M. Abt 119, A 32: Zl. 669/1939
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, M. Abt 119, A41: und 1. Bezirk, Nr. 976
Literatur
- David Jüdische Kulturzeitschrift
- Hugo Gold: Geschichte der Juden in Wien. Ein Gedenkbuch. Tel-Aviv: Publishing House Olamenu 1966, S. 117
- Elisheva Shirion: Gedenkbuch der Synagogen und Jüdischen Gemeinden Österreichs. Hg. Vom Synagogen Memorial, Jerusalem. Wien: Berger-Horn 2012 (Synagogen Gedenkbücher Deutschland und Deutschsprachige Gebiete, 5 Österreich), S. 94
Einzelnachweise
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, M. Abt 119, A 32: Zl. 669/1939.
- ↑ Hugo Gold: Geschichte der Juden in Wien. Ein Gedenkbuch. Tel-Aviv: Publishing House Olamenu 1966, S. 117
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, M. Abt. 119, A 32: 8993/1931.
- ↑ Central Archives for the History of the Jewish People (CAHP), A/W 602 und 1574.
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, Volksgericht, A1: Vg Vr 4795/1946, S. 25, S. 32, S. 131, Hauptverhandlung S. 7, S. 14.
- ↑ Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, Stillhaltekommissar Wien: IV Ac 31 A 1/2, Schachtel 554.
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, M. Abt 119, A41, 1. Bezirk, Nr. 976 und Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, Vermögensverkehrsstelle Lg. 8483, Bd. I, Karton 532.
- ↑ Max Kirchlechner, bestattet 5. Mai 1966 im 80. Lebensjahr, Klothilde Kirchlechner *24. Oktober 1899, bestattet 16. Oktober 1996 im 96. Lebensjahr, siehe Wiener Friedhöfe Verstorbenensuche.
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, M. Abt 119, A41: 1. Bezirk, Nr. 976.
- ↑ Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, Vermögensverkehrsstelle Lg. 8483, Bd. I, Karton 532
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, M. Abt 119, A 41: 1. Bezirk, Zahl 9769 und Landesgericht für Strafsachen, A11: Vr 4825/47.
- ↑ Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde Wien nach 1945, Hausstammliste, 3. Oktober 2000 (Signatur aus dem Jahr 2000).
- ↑ David Jüdische Kulturzeitschrift
- ↑ Central Archives for the History of the Jewish People (CAHP) A/W 602 und Anno Jüdische Presse 29. September 1922, Nr. 35/36, S. 216 und David Jüdische Kulturzeitschrift.
- ↑ Adolph Lehmann's allgemeiner Wohnungs-Anzeiger : nebst Handels- u. Gewerbe-Adressbuch für d. k.k. Reichshaupt- u. Residenzstadt [...].