Julius Ofner
Julius Ofner, * 20. August 1845 Horschenz (Böhmen), † 26. September 1924 Wien, Jurist, Politiker.
Biografie
Der Sohn eines jüdischen Kaufmanns und Landwirts wurde im nordböhmischen Horschenz geboren und besuchte das Gymnasium in Komotau. Von 1863 bis 1865 studierte er Rechtswissenschaften an der Universität Prag und anschließend an der Universität Wien, wo er sein Studium 1869 mit dem Dr. jur. abschloss. Vermutlich ab den späten 1870er Jahren wurde Ofner als Hof- und Gerichtsadvokat tituliert. Nach dem Studienabschluss war er als Advokat tätig und publizierte zu Fachthemen. Vor allem in den 1880er Jahren wurden seine Vorträge und Texte regelmäßig in verschiedenen juristischen Blättern abgedruckt. Auch gab er den "Ur-Entwurf" und die Beratungsprotokolle des Österreichischen Allgemeinen Gesetzbuches heraus und leistete dadurch einen wichtigen Beitrag zur Rechtsgeschichte. Davon überzeugt, dass Rechtsfragen alle Menschen beträfen, schrieb Ofner aber nicht nur für ein Fachpublikum über juristische Themen, sondern auch für Laien – diese Texte erschienen etwa in der "Neuen Freien Presse" oder der "Arbeiterzeitung".
Um die Mitte der 1890er Jahre wurde Julius Ofner politisch aktiv, da er in dieser Tätigkeit einen Weg sah, seine juristischen Ansichten in die Praxis umzusetzen. 1894 kandidierte er erstmals für die Reichsratswahlen, konnte allerdings kein Mandat erreichen. Von 1896 bis 1902 gehörte er dann als Abgeordneter der Städte für die Innere Stadt dem Niederösterreichischen Landtag an und vertrat dort mit Ferdinand Kronawetter und Eugen Philippovich von Philippsberg eine gemeinsame politische Ausrichtung. In den Jahren 1901 bis 1918 war er parteiloser Reichsratsabgeordneter – er selbst bezeichnete sich als "Sozialpolitiker". Nach dem Ende der Monarchie gehörte er sowohl der Provisorischen Landesversammlung von Niederösterreich als auch der Provisorischen Nationalversammlung an. Gemeinsam mit Maximilian Schreier zählte er im Dezember 1918 zu den Gründungsmitgliedern der "Demokratischen Partei", mit der er bei den Wahlen 1919 eine Niederlage erlitt. Julius Ofner war ein äußerst aktiver Politiker. Wenngleich sein Verhältnis zur Sozialdemokratie nicht immer ungetrübt war, gab es hier dennoch die meisten Übereinstimmungen und so wurde er auch vom Klub der sozialdemokratischen Abgeordneten als Mitglied des Reichsgerichts nominiert. Ab 1919 war Julius Ofner ständiger Referent beim Verfassungsgerichtshof.
Ofner fungierte zudem als Vizepräsident der Wiener Rechtsanwaltskammer und der Juristischen Gesellschaft, letztere wählte ihn auch zum Präsidenten. Darüber hinaus war er in einer Reihe von sozialpolitischen Vereinen aktiv. Julius Ofner war an der Entstehung des Allgemeinen Rechtshilfe-Vereins (1891) beteiligt, der es sich zum Ziel machte, auch Bedürftigen Rechtsschutz zukommen zu lassen. 1892 begründete er den Sozialpolitischen Verein mit, der sich für die Einführung des Allgemeinen Wahlrechts einsetzte, ebenso war er an der Gründung der Fabier-Vereinigung (1891) beteiligt, die nach britischem Vorbild soziale und politische Fragen diskutierte und vor allem das Bürgertum mit sozialpolitischen Ideen vertraut machen wollte, um auf diese Weise Sympathien für das auch die Arbeiterschaft inkludierende Allgemeine Wahlrecht zu entwickeln. Weiters war Ofner Gründungsmitglied der Ethischen Gesellschaft (1894), des Vereins "Freie Schule" (1905) sowie der Auskunftsstelle für Wohlfahrtseinrichtungen. Dem Österreichischen Bund für Mutterschutz gehörte er als Ausschussmitglied an und von Beginn an unterstützte er den Eherechtsreformverein. Immer wieder übernahm Julius Ofner für diese Vereine bzw. diesen nahestehenden Personen auch die rechtliche Vertretung. So beriet er etwa den Allgemeinen österreichischen Frauenverein in juristischen Fragen und vertrat Wilhelm Börner, Leiter der Ethischen Gesellschaft, als dieser nach seiner Kriegsdienstverweigerung 1916 wegen Verdachts des Hochverrats verhaftet worden war.
In seinen rechtsphilosophischen Schriften beschäftigte sich Julius Ofner mit dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft. Für ihn war die Rechtswissenschaft eng mit den sozialen Fragen seiner Zeit verbunden und lag der Zweck des Rechts in der Sicherung der Entwicklung des Einzelnen ("Jurisprudenz als soziale Fürsorge"). Er war es auch, der den Begriff "Recht auf Arbeit" prägte. Zudem sah er die Aufgabe der Rechtswissenschaft nicht nur in der Auslegung bestehenden Rechts, sondern auch in der Schaffung neuen Rechts, in das soziologische, ökonomische und psychologische Lebensbedingungen Eingang finden sollten. Ofner erwarb sich große Verdienste um die Entwicklung der österreichischen Gesetzgebung, etwa im Bereich des Arbeitsrechts (Handlungsgehilfen-, Güterbeamten- und Schauspielergesetze, Dienstpragmatik der Staatsbeamten, Verbot der Kinderarbeit, Sonntagsruhe im Bürodienst, Zulassung von Frauen zu bestimmten Berufen, Fürsorge für entlassene Sträflinge etc.), in der Fortbildung des Privatrechts (Novellierung des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, Herabsetzung des Volljährigkeitsalters, Erbbaurecht, Modernisierung der Ehegesetzgebung, Automobilhaftpflicht etc.) und im Strafrecht – die sogenannte "Lex Ofner" über die Herabsetzung der Schadensgrenze bei Eigentumsdelikten trägt seinen Namen, auch dass die Untersuchungshaft der Haftstrafe angerechnet wird, geht auf ihn zurück.
Als früher Unterstützer der Frauenbewegung setzte sich Ofner für das Frauenstudium und das Frauenstimmrecht ein, forderte gleichen Lohn für gleiche Arbeit, sprach sich gegen die soziale Stigmatisierung lediger Mütter und für Frauen als Vormünder aus. Er forderte die obligatorische Zivilehe und die Verstaatlichung des Matrikenwesens.
Anlässlich seines 70. Geburtstages gab der Anzengruber-Verlag eine von Oskar Strnad gestaltete Festschrift für Ofner heraus, in der er von zahlreichen prominenten Weggefährtinnen und -gefährten gewürdigt wurde. Die Festschrift macht deutlich, in wie viele Bereiche Ofner hineingewirkt hat. Julius Ofner verstarb im 79. Lebensjahr im Sanatorium der Wiener Kaufmannschaft. In Wien erinnern der Julius-Ofner-Hof, das Ofnerdenkmal sowie die Ofnergasse an den Rechtsreformer und Sozialpolitiker.
Werke (Auswahl)
- Julius Ofner: Das Recht zu Leben. Wien: Hölder 1884
- Julius Ofner: Das Recht auf Arbeit. Wien: Hölder 1885
- Julius Ofner [Hg.]: Der Ur-Entwurf und die Berathungs-Protokolle des Österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches. Band 1+2. Wien: Hölder 1889
- Julius Ofner: Über das Wesen des Modernen Kapitalismus. Wien: Verlag des niederösterreichischen Gewerbevereines Wien 1891
- Julius Ofner: Das soziale Rechtsdenken. Stuttgart / Gotha: Friedrich Andreas Perthes 1923
- Julius Ofner: Recht und Gesellschaft. Gesammelte Aufsätze. Wien: K. Gerold 1931
Quellen
- Wienbibliothek Digital: Ofner, Julius
- Wienbibliothek Digital: Demokratische Partei. In: Neue Freie Presse, 04.12.1918
- ANNO: Dr. Julius Ofner gestorben. In: Neue Freie Presse, 27.09.1924, S. 2
Literatur
- Marcel Atze / Kyra Waldner [Hg.]: "Es ist Frühling, und ich lebe noch". Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs in Infinitiven. Von Aufzeichnen bis Zensieren. Wien: Residenz 2014, S. 404–407
- Michael Stolleis: Juristen. Ein biographisches Lexikon. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert. München: Beck 1995, S. 462
- Patricia Steines: Hunderttausend Steine. Grabstellen großer Österreicher jüdischer Konfession auf dem Wiener Zentralfriedhof, Tor I und Tor IV. Wien: Falter-Verlag 1993, S. 157 ff.
- Josef Fraenkel: The Jews of Austria. London: Vallentine 1967, S. 31 ff.
- Wilhelm Kosch: Biographisches Staatshandbuch. Lexikon der Politik, Presse und Publizistik. Band 2. Bern: Francke 1963
- Hans Markl: Kennst du die berühmten letzten Ruhestätten auf den Wiener Friedhöfen? Band 1: Zentralfriedhof und Krematorium (Urnenhain). Wien: Pechan 1961, S. 158
- Neue österreichische Biographie. 1815–1918. Band 13. Wien [u. a.]: Amalthea-Verlag 1959
- Österreichisches biographisches Lexikon 1815–1950. Hg. von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften / Wien / Graz: Böhlau 1954–lfd. [Stand: 27.07.2023]
- Julius Ofner zum 70sten Geburtstage. Wien / Leipzig: Anzengruber 1915 (inkl. Werkverzeichnis)
- Hermann Clemens Kosel: Deutsch-österreichisches Künstler- und Schriftsteller-Lexikon. Band 2: Biographien und Bibliographie der deutschen Künstler und Schriftsteller in Österreich-Ungarn außer Wien. Wien: Verlag der Gesellschaft für Graphische Industrie 1906
- Parlament Österreich: Dr. Julius Ofner [Stand: 27.07.2023]
- Biographisches Handbuch des NÖ Landtages 1861–1921 [Stand: 03.02.2023]
- dasrotewien.at – Weblexikon der Wiener Sozialdemokratie: Ofner, Julius [Stand: 27.07.2023]
- Frauen in Bewegung 1848–1938: Ofner, Julius
- Deutsche Biographie: Ofner, Julius
Julius Ofner im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.