Mädchenschulen
Ordens- und Spinnschulen
Im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert lag das Mädchenschulwesen in der Hand der Ursulinen (ab 1660 in Wien tätig) und der Salesianerinnen (ab 1717 in Wien tätig). Unterrichtet wurden Lesen, Schreiben, Rechnen, Religion, Handarbeiten, Malen, in den höheren Klassen auch Geschichte, Geographie und Französisch.[1] Auf Initiative des späteren Kanzlers der Universität Franz Anton Marxer kam es 1742 zur Gründung eines Waisenhauses am Rennweg, in dem auch Mädchen Unterricht (unter anderem neben elementaren Kulturtechniken auch in weiblichen Handarbeiten und Nähen) erhielten, um sie ab dem 13. Lebensjahr als Hauspersonal oder als Manufakturarbeiterinnen vermitteln zu können. Das gleiche galt auch für Findelkinder im Bürgerspital, später im Findelhaus.[2]
1774-1869
Die Allgemeine Schulordnung (1774) stellte de iure die Pflichtschulbildung von Mädchen und Knaben gleich. Die Elementarschulbildung für Mädchen blieb auch nach Einführung der allgemeinen Schulpflicht zunächst eine Domäne von Damenorden. Im Jahr 1780 bestanden vier Klosterschulen der Kanonissinnen und Ursulinen mit 2.863 Schülerinnen, während die Himmelpfortnerinnen 104, die Jakobinerinnen 63, die Laurenzerinnen 123 Schülerinnen unterrichteten. Dazu kamen als reine Mädchenschulen das Parhamersche Mädchenwaisenhaus mit 223 Kindern und die Zollersche Stiftungsschule am Neubau (Vorstadt).[3] Auf der Wieden und am Rennweg befanden sich Mädchen-Armenschulen. 1789 kam es zur Gründung der k. k. Mädchenschulen in der Bäckerstraße und in der Vorstadt Leopoldstadt. Der Lehrplan entsprach einer Normalschule. Im Vormärz nahm der Schulbesuch von Mädchen in öffentlichen Trivialschulen zu. Über die Elementarschulen hinausgehende Bildung blieb aber auf Töchter des Adels und Großbürgertums beschränkt, die katholische Privatschulen oder das 1775 gegründete staatliche Offizierstöchter-Erziehungsinstitut und das 1786 gegründete Zivilmädchenpensionat besuchen konnten.[4]
Vom Reichsvolksschulgesetz bis zum Ende der Monarchie
Mit dem Reichsvolksschulgesetz erlebte die Mädchenbildung im Grundschulwesen einen großen Aufschwung. Die überwiegende Mehrzahl der Schulen wurden aber weiterhin geschlechtsspezifisch geführt. Das Gesetz erlaubte zwar Koedukation im Unterricht, doch blieb diese in öffentlichen Volksschulen in Wien die Ausnahme von der Regel. In den obersten drei Klassen von achtklassigen Volksschulen und in Bürgerschulen war diese ohnehin nicht erlaubt. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs gab es in Wien unter den städtischen Volksschulen 133 für Mädchen, aber nur 34 für Knaben und Mädchen und nur 22 wurden koedukativ geführt. Unter den privaten Volksschulen überwogen Mädchenschulen deutlich (27 gegenüber 13 für Knaben und neun koedukativ geführte).[5] In den 1920er Jahren wurden lediglich rund zwölf Prozent der Volksschülerinnen und Volksschüler in Wien koedukativ unterrichtet und ihr Anteil stieg in den 1930er Jahren nur geringfügig.[6] In den Bürgerschulen wurde bezeichnenderweise im Jahr 1907 im Mädchenunterricht "Naturlehre", Rechnen, Geometrie, Zeichnen und Turnen gekürzt, um Stunden für "weibliche Handarbeiten" freizubekommen.
Im Bereich der höheren Schulen eröffnete 1892 in Wien das erste Mädchengymnasium im deutschsprachigen Raum als "gymnasiale Mädchenschule". Maturaabschluss und damit Zugang zum Hochschulstudium eröffnete es aber nicht. Den steigenden Bedarf an höherer Mädchenbildung bediente das ab 1900 als neue Schulform eingeführte Mädchenlyceum. Es baute auf dem Bürgerschulwissen auf. Lehrinhalte waren ausschließlich Konversation in modernen Fremdsprachen, Musik und weibliche Handarbeiten.[7]
Im "Roten Wien"
Nach Kriegsende verfolgte der Schulreformer Otto Glöckel das Konzept einer Verstaatlichung des Mädchenschulwesens. Auf Grund der finanziellen Nöte des Staates ließ sich dieses jedoch nicht sofort umsetzen. Dadurch nahm der Anteil von Mädchen an Knabenanstalten rasch zu. 1921 wurde der Schultyp der Frauen-Oberschule eingeführt dessen Lehrplan ab 1928 sich dem Realgymnasium immer mehr anglich. Gleichzeitig erlebten jene Mädchenschulen die aufbauend auf die Unterstufe des Lyzeums eine am Realgymnasium orientierte Oberstufe anschlossen einen starken Zulauf. In der Regel erlaubte der erfolgreiche Abschluss dieses Schultyps den Zugang zu den meisten Hochschulstudien.
Im Bereich der Pflichtschulausbildung wurden mit der Einführung der Hauptschule für diesen Schultyp gegen den Willen des Wiener Stadtschulrates getrennte Lehrpläne für Mädchen und Knaben verordnet. Immerhin wurden "Leibesübungen" nun auch für Mädchen Pflichtfach.[8] In den höheren Schulen lag in der Unterstufe der Anteil der Schülerinnen Mitte der 1920er Jahre um 30%, in der Oberstufe bei 23%.[9]
Mit der Zunahme weiblicher Erwerbstätigkeit erlebten "Frauenberufsschulen" einen temporären Aufschwung. Sie hatten zumeist private Träger. Im Fall der Höheren Lehranstalten für wirtschaftliche Frauenberufe zählte neben umfassenden hauswirtschaftlichen Kenntnissen auch eine begrenzte Bildung auf dem Niveau der Sekundarstufe zum Ausbildungsziel. Im Zug der Weltwirtschaftskrise erlebten viele dieser Schulen einen erheblichen Rückgang der Zahl der Schülerinnen, weil den Familien die finanziellen Mittel fehlten und die Berufsaussichten gering waren.[10]
Im autoritären Staat
Während die Mädchenbildung im Dollfuß-Schuschnigg-Regime eine stark katholisch-konservative Prägung erhielt, nahm der Anteil der Schülerinnen in den höheren Schulen dennoch in der Unterstufe auf 36%, in der Oberstufe auf 38% beträchtlich zu. In den höheren Schulen war in der Unterstufe der Anteil der Schülerinnen Mitte der 1920er Jahre um 30%, in der Oberstufe bei 23% gelegen.[11] Nach dem "Anschluss" die NS-Rassenideologie an dessen Stelle. Funktionärinnen des Bund deutscher Mädel (BDM) erhielten die Möglichkeit weitgehender Eingriffe in den Schulalltag. Rund 8000 jüdische Schülerinnen mussten den normalen Schulbetrieb verlassen und wurden vertrieben oder fielen dem Holokaust zum Opfer. Besonders in den Hauptschulen und höheren Schulen erfolgte die "Ausrichtung des Lebens nach der germanisch-deutschen Wertordnung"; Erziehungsziel war die "Formung des nationalsozialistischen Menschen". Der Deutsch-, Geschichts- und Musikunterricht dienten in besonderer Weise der ideologischen Indoktrinierung im Sinne des Nationalsozialismus. Der Fremdsprachenunterricht (Englisch) war nicht verbindlich.
Zweite Republik
Schon in den Anfangsjahren der Zweiten Republik setzte sich der Trend zu höherer Mädchenbildung aus der Zwischenkriegszeit fort. Dennoch überwogen noch zu Beginn der 1950er Jahre in den höheren Schulen Schüler und etwa 25.000 Hauptschülerinnen standen nur 7.000 Schülerinnen der Unterstufe der höheren Schulen gegenüber. Vor allem ab den 1960er Jahren glichen sich die entsprechenden Anteile sowohl nach Geschlechtern als auch nach der Schulbildung immer mehr an. Zu Beginn der 1980er Jahre erreichte der Mädchenanteil in Unterstufe bereits fast 50%. Rund 16.000 Schülerinnen dieses Schultyps standen nun weniger als 20.000 Hauptschülerinnen gegenüber.[12] Der durch die Bildungsrevolution beförderte Trend zur Öffnung in Richtung höherer Mädchen- und Frauenbildung setzte sich in der Folge fort.
Im Rahmen des Schulgesetzwerkes 1962 wurden die Pflichtgegenstände an den Volksschulen um Leibesübungen für Mädchen erweitert. In den Hauptschulen erhielt die Zweizügigkeit den Vorrang vor der Geschlechtertrennung.[13] Der Schultyp der Frauenoberschule wurde beibehalten, jedoch in "Wirtschaftskundliches Realgymnasium für Mädchen" umbenannt.
Ab den 1970er Jahren verloren im Zug der Bemühungen um Gleichstellung der Geschlechter und Abkehr von Geschlechterstereotypen Schultypen mit einer entsprechenden Ausrichtung auf sogenannte "Frauenberufe" immer mehr an Bedeutung.
Literatur
- Oskar Achs / Peter Pokay: Schulen in Wien - Entwicklungs- und Strukturdaten, in: Statistische Mitteilungen der Stadt Wien 2/1989, S. 3-18.
- Ulrike Denk: Schulwesen und Universität. In: Karl Vocelka / Anita Traninger [Hg.]: Die frühneuzeitliche Residenz (16. bis 18. Jahrhundert). Wien / Köln / Weimar: Böhlau 2003 (Wien. Geschichte einer Stadt, 2), S. 365-421.
- Ernst Gerhard Eder: Schüler/innen, Schulen und Bildungspolitiken seit 1770. In: Andreas Weigl / Peter Eigner / Ernst Gerhard Eder [Hg.]: Sozialgeschichte Wiens 1740-2010. Soziale und ökonomische Ungleichheiten, Wanderungsbewegungen, Hof, Bürokratie, Schule, Theater. Innsbruck / Wien / Bozen: StudienVerlag 2015 (Geschichte der Stadt Wien, 8), S. 585-780.
- Helmut Engelbrecht: Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Erziehung und Unterricht auf dem Boden Österreichs. Band 4. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1986
- Helmut Engelbrecht: Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Erziehung und Unterricht auf dem Boden Österreichs. Band 5. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1988
- Michaela Feurstein-Prasser / Felicitas Heimann-Jelinek: Schulgeschichte Österreichs im 20. Jahrhundert, in: Reinhard Buchberger / Michaela Feurstein-Prasser / Felicitas Heimann-Jelinek / Nina Linke [Hg.]: Tafelkratzer, Tintenpatzer. Schulgeschichten aus Wien, Wien: Metroverlag 2016, S. 160-191.
- Renate Seebauer: Lehrerinnen - Gleichbehandlung, Aktivitäten, Ideen. Zur Sozialgeschichte einer Berufsgruppe mit besonderer Berücksichtigung der Wiener Verhältnisse. Wien: LIT Verlag 2014 (Schul- und Hochschulgeschichte, 4)
- Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien 16 (1913)
Einzelnachweise
- ↑ Ulrike Denk: Schulwesen und Universität. In: Karl Vocelka / Anita Traninger [Hg.]: Die frühneuzeitliche Residenz (16. bis 18. Jahrhundert). Wien / Köln / Weimar: Böhlau 2003 (Wien. Geschichte einer Stadt, 2), S. 386.
- ↑ Renate Seebauer: Lehrerinnen - Gleichbehandlung, Aktivitäten, Ideen. Zur Sozialgeschichte einer Berufsgruppe mit besonderer Berücksichtigung der Wiener Verhältnisse. Wien: LIT Verlag 2014 (Schul- und Hochschulgeschichte, 4), S. 28-30.
- ↑ Ernst Gerhard Eder: Schüler/innen, Schulen und Bildungspolitiken seit 1770. In: Andreas Weigl / Peter Eigner / Ernst Gerhard Eder [Hg.]: Sozialgeschichte Wiens 1740-2010. Soziale und ökonomische Ungleichheiten, Wanderungsbewegungen, Hof, Bürokratie, Schule, Theater. Innsbruck / Wien / Bozen: StudienVerlag 2015 (Geschichte der Stadt Wien, 8), S. 606.
- ↑ Helmut Engelbrecht: Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Erziehung und Unterricht auf dem Boden Österreichs. Band 4, Wien: Österreichischer Bundesverlag 1986, S. 278.
- ↑ Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien 16 (1913), S. 439, S. 476.
- ↑ Helmut Engelbrecht: Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Erziehung und Unterricht auf dem Boden Österreichs. Band 5. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1988, S. 107 f.
- ↑ * Michaela Feurstein-Prasser / Felicitas Heimann-Jelinek: Schulgeschichte Österreichs im 20. Jahrhundert, in: Reinhard Buchberger / Michaela Feurstein-Prasser / Felicitas Heimann-Jelinek / Nina Linke [Hg.]: Tafelkratzer, Tintenpatzer. Schulgeschichten aus Wien, Wien: Metroverlag 2016, S. 164 f.
- ↑ Helmut Engelbrecht: Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Erziehung und Unterricht auf dem Boden Österreichs. Band 5. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1988, S. 111.
- ↑ Oskar Achs / Peter Pokay: Schulen in Wien - Entwicklungs- und Strukturdaten, in: Statistische Mitteilungen der Stadt Wien 2/1989, S. 14.
- ↑ Helmut Engelbrecht: Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Erziehung und Unterricht auf dem Boden Österreichs. Band 5. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1988, S. 202.
- ↑ Oskar Achs / Peter Pokay: Schulen in Wien - Entwicklungs- und Strukturdaten, in: Statistische Mitteilungen der Stadt Wien 2/1989, S. 14.
- ↑ Oskar Achs / Peter Pokay: Schulen in Wien - Entwicklungs- und Strukturdaten, in: Statistische Mitteilungen der Stadt Wien 2/1989, S. 14.
- ↑ Helmut Engelbrecht: Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Erziehung und Unterricht auf dem Boden Österreichs. Band 5. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1988, S. 481.