Ertlsches Stiftungshaus (1., Rotenturmstraße 13, Ertlgasse 2, Kramergasse 12, Lichtensteg 1).
Anstelle des heutigen, an allen vier Seiten freistehenden Hauses standen einst mehrere kleinere Gebäude:
Haus Stadt 527
Haus A
Die erste urkundliche Nennung dieses Hauses stammt aus dem Jahr 1384. Ab 1580 stand es im Besitz der jeweiligen Eigentümer von Haus B.
Haus B
Dieses Gebäude wird im Jahr 1386 erstmals urkundlich genannt. Zu dem Haus gehörte auch ein Turm, der am Lichtensteg lag. Spätestens 1664, möglicherweise aber auch bedeutend früher, wurde es mit Haus A zusammengebaut. Dennoch wurden beide Häuser noch bis ins 19. Jahrhundert im Grundbuch getrennt geführt. Am 5. Dezember 1836 wurde das Gebäude an die Ertlsche Stiftung verkauft.
Haus Stadt 528 "Zu den drei schwäbischen Jungfrauen" / "Zur schwäbischen Jungfrau"
Das Haus Stadt 528, zu dem auch zwei "Krämen" (Kramläden) gehörten, lässt sich seit dem Jahr 1378 urkundlich belegen. Das Haus trug ab dem späten 18. Jahrhundert den Schildnamen "Zu den drei schwäbischen Jungfrauen", der später "Zur schwäbischen Jungfrau" abgekürzt wurde. Im 19. Jahrhundert erhielt es ein entsprechendes Biedermeierschild, das von Johann Nepomuk Mayer geschaffen wurde. Am 14. Februar 1828 erwarb die Ertlsche Stiftung das Gebäude.
Haus Stadt 529
Haus Stadt 529 ist ab dem Jahr 1378 urkundlich belegbar. Es musste mehrfach versteigert werden. Außerdem kam es durch Vererbung zur Zersplitterung der Besitzverhältnisse. Im Jahr 1832 kaufte die Ertlsche Stiftung alle Anteile am Haus.
Haus Stadt 530 "Zum Marokkaner"
Das erste Mal wird dieses Haus am 9. August 1352 urkundlich erwähnt. 1486 erbte es Katharina Rollinger, die mit dem Bildschnitzer Wilhelm Rollinger verheiratet war. Am 9. Jänner 1838 wurde das Haus an die Ertlsche Stiftung verkauft.
Haus Stadt 638
Dieses Gebäude war das größte und wichtigste der genannten Häuser. Die Front lag zur Rotenturmstraße, die Schmalseite am Lichtensteg. Auch hier standen ursprünglich zwei eigenständige Bauwerke, die sich zwischen 1541 und dem letzten Viertel des 17. Jahrhunderts meist in verschiedenen Händen befanden:
Haus A
Die erste urkundliche Erwähnung dieses Hauses stammt aus dem Jahr 1348. 1393 kamen der spätere Bürgermeister Paul Holzkäuffel und seine Gattin Christine in dessen Besitz. Einer Urkunde aus dem Jahr 1456 folgend, befanden sich im Haus ein Metkeller (samt Metrecht) und Fleischbänke, außerdem gab es einen Stall. 1556 erfährt man, dass zum Haus auch ein Metsiedehaus, eine Presse und zwei "Krämen" gehörten. Ende des 17. Jahrhunderts kam das Haus in den Besitz des kaiserlichen Rates Johann Nikolaus Rückenbaum.
Auf dem Haus lag eine Stiftung, die die jeweiligen Besitzer verpflichtete, täglich zwei Pfennige für Brot für die Armen zu spenden. Weiters mussten jeden Freitag zwei Arme zu einem Mahl eingeladen werden, denen danach ein Pfennig für das Selgerät (Beten für das Seelenheil des Spenders) auszuhändigen war. Im 19. Jahrhundert wurde die Stiftung abgelöst.
Haus B
Bis 1541 gehörte dieses Gebäude den jeweiligen Besitzern von Haus A. Gegen 1700 wurde Johann Nikolaus Rückenbaum Eigentümer.
18. Jahrhundert
Erst zwischen 1749 und 1771 wurden die Häuser A und B zu einem zusammengebaut. Bereits vorher wohnte der Barockarchitekt Johann Lukas Hildebrandt über vier Jahrzehnte in einem der Häuser, in dem er auch 1745 im Alter von 80 Jahren verstarb. Auch drei seiner Kinder und seine Ehefrau Franziska starben hier.
1746 besaß der Hof- und Gerichtsadvokat Dr. Franz Anton Ertl die Häuser. Dieser verstarb bereits 1748 schwer verschuldet. Erst seine Schwiegertochter, die mit Ertls Sohn Dr. Johann Nepomuk Edler von Ertl († 1773) verheiratete Irländerin Maria Anna, geborene Freiin O'Malley (in Wien d'Omollay), konnte die Verbindlichkeiten tilgen. In ihrem Testament (12. April 1801) legte sie mit einem beträchtlichen Kapital den Grundstock zu einer Stiftung für angehende Rechtsgelehrte ("junge neu angehende Advocaten"), wobei sie zugleich verfügte, man möge die umliegenden Fleischbänke und Häuser ankaufen, einen Neubau errichten und aus dessen Mieterträgnissen Stipendien vergeben. 1817 wurde das Haus den Administratoren der Stiftung zu Händen des jeweiligen Dekans der juridischen Fakultät der Universität Wien eingeantwortet.
Neubau 1838/1839
1838/1839 (Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien) oder 1841 (Paul Harrer: Wien, seine Häuser) wurden alle oben genannten Häuser abgetragen und ein Neubau nach Plänen von Josef Kornhäusel errichtet (1, Rotenturmstraße 13). 1844 wurde der Stiftsbrief ausgefertigt. 1848 tagte in diesem Haus der Juridisch-Politische Leseverein, der in den Tagen vor der Märzrevolution eine wichtige Rolle spielte. Im selben Jahr zog auch der berühmte Lebkuchenladen und Metkeller "Zum süßen Löchel" in das Haus. Seinen Ursprung hatte er im Metrecht, das auf dem Haus Stadt 638 lag. In der Folge war er bis 1838 im gegenüber liegenden Haus Stadt 531 (1, Ertlgasse 1) und danach im Federlhof (1, Rotenturmstraße 6) untergebracht.
Neubau 1913
Das alte vierstöckige Gebäude wurde vor 1913 demoliert und durch einen Neubau nach Plänen von Ludwig Baumann ersetzt. Auch wurde wieder der erwähnte Metkeller untergebracht. Nach dem ersten Weltkrieg wurde er stark verändert und in "Spanisches Weinhaus Barcelona" umbenannt, wodurch ein Stück Alt-Wien verloren ging. Die Stiftung wurde den geänderten Verhältnissen angepasst und besteht heute noch.
Kriegsschäden 1945
Am 12. März 1945 erlitt das Gebäude einen Bombeneinschlag. Die Bombe drang schief in das Haus ein und zerstörte große Teile des Hauses. Das Dachgeschoß (Frontseite Lichtensteg) wurde beinahe komplett weggerissen. Auch das darunterliegende Stockwerk erlitt schwere Schäden, beim nächsten Geschoß wurde der Eckteil Lichtensteg/Kramergasse stark beschädigt.
Gewerbe und Firmen innerhalb des Hauses im Laufe der Jahre
- zwei "Krämen" (Kramläden)
- Lebkuchenladen und Metkeller "Zum süßen Löchel"
- "Spanisches Weinhaus Barcelona"
Literatur
- Georg W. Rizzi / Roland L. Schachel: Die Zinshäuser im Spätwerk Josef Kornhäusels. Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 1979 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 4), S. 32 ff.
- Katalog zur Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien. Band 96, Wien, S. 204 ff.
- Wilhelm Kisch: Die alten Straßen und Plätze von Wiens Vorstädten und ihre historisch interessanten Häuser. (Photomechanische Wiedergabe [der Ausgabe vom 1883]). Band 1. Cosenza: Brenner 1967, S. 411 f.
- J. E. Schlager: Altertümliche Überlieferungen von Wien. 1844, S. 65 ff.
- Gustav Gugitz: Bibliographie zur Geschichte und Stadtkunde von Wien. Hg. vom Verein für Landeskunde von Niederösterreich und Wien. Band 3: Allgemeine und besondere Topographie von Wien. Wien: Jugend & Volk 1956, S. 335
- Paul Harrer-Lucienfeld: Wien, seine Häuser, Geschichte und Kultur. Band 1, 3. Teil. Wien ²1951 (Manuskript im WStLA), S. 651-662