S. L. Gerstel Verlag
48° 12' 7.34" N, 16° 21' 45.78" E zur Karte im Wien Kulturgut
S. L. Gerstel Verlag. Erstmals bemühte sich Sophie Lätitia Gerstel von Ucken im Februar 1929 um eine Konzession für den neu zu gründenden "Ucken-Verlag Wien". Ihr Ansuchen – Gründung eines Verlags und Vertrieb von literarischen und musikalischen Werken aller Art mit Ausschluss des offenen Ladengeschäftes – wurde zunächst abgelehnt: Anfang März 1929 sprach sich die Korporation der Wiener Buch-, Kunst- und Musikalienhändler gegen die Erteilung der Konzession aus. In einer Vorentscheidung des magistratischen Bezirksamts XIX vom 20. April 1929, die mit dem endgültigen Bescheid vom 5. Oktober 1929 bestätigt wurde, erhielt Gerstel dann aber doch die Konzession. Handelsgerichtlich war der Verlag, der neben Wien Leipzig und Zürich als Niederlassungen anführte, nicht protokolliert.
Umstritten blieb für einige Zeit der Name des Unternehmens, die von Gerstel gewünschte Bezeichnung "Ucken Verlag Wien" lehnte die Korporation ab. Erst am 28. November 1931 stand schließlich fest, dass das Unternehmen "S. L. Gerstel Verlag" heißen sollte. Zu diesem Zeitpunkt hatte Gerstel zwar schon diverse Vorkehrungen für die Aufnahme des Betriebs getroffen, nach eigenen Angaben aus Krankheitsgründen aber noch keine Geschäfte gemacht. Zwei Theaterstücke sind dennoch bereits für das Jahr 1931 verzeichnet, weitere Titel folgten. Neben der Buchproduktion führte Gerstel auch einen Bühnenvertrieb.
Sophie Lätitia Gerstel war nicht nur Verlegerin, sondern auch selbst schriftstellerisch tätig. Im Deutsch-Österreichischen Verlag erschien 1913 ein von ihr verfasstes Schauspiel, 1929 kam ein weiteres Stück im Wiener Neudorfer Notz-Verlag heraus. Mit ihrem Mann Adolf Gerstel-Ucken führte sie in Wien-Döbling einen literarischen Salon.
Nach seinem Suizid – Adolf Gerstel-Ucken hatte sich am 22. September 1932 aufgrund einer wirtschaftlichen Notsituation erschossen – kam das Verlagsgeschehen weitgehend zum Erliegen. Für den Lebensunterhalt von Sophie Lätitia Gerstel sorgten nun vermutlich Freunde der Familie, auch der literarische Salon konnte fortgeführt werden.
Mit zwei Neuerscheinungen nahm Gerstel 1934 die Verlagsproduktion wieder auf. Doch schon gegen Ende des Jahres kam es zu einer Übernahme zumindest des Bühnenvertriebs durch den Augarten-Verlag Peter Szabo, der bereits mehrere Druckaufträge für den S. L. Gerstel Verlag durchgeführt hatte. Eine Korrespondenz mit der Korporation der Wiener Buch-, Kunst- und Musikalienhändler aus dem September 1934 belegt zudem, dass Sophie Gerstel aus Krankheitsgründen ihre Verlagstätigkeit zu beenden trachtete. Ihr Versuch, das Unternehmen zu verpachten, scheiterte allerdings am Einspruch der Korporation.
Die drei letzten nachweisbaren Publikationen des S. L. Gerstel Verlags erschienen 1937. Unmittelbar nach dem "Anschluss" stieg Sophie Lätitia Gerstel jedoch erneut in das Verlagsgeschäft ein, diesmal unter der Bezeichnung "Verlag Dr. von Gerstel". Ab 1941 firmierte das Unternehmen unter dem Namen "Karl Lang Verlag".
Sophie Lätitia Gerstel von Uncken starb am 28. Oktober 1957 in Wien.
Produktion
Die Verlagsproduktion des S. L. Gerstel Verlags umfasste bis 1937 weniger als 20 Titel. Durchwegs handelte es sich hierbei um bodenständig-konservative Literatur, deren Autorinnen und Autoren meist im Ständestaat gefördert worden waren und den Übergang zur Ostmark mühelos schafften. Manche – wie der Bibliothekar und Schriftsteller Karl Wache – hatten schon in den 1920er Jahren eine deutschnationale Gesinnung vertreten. Andere, so Hermann Graedener, Otto Emmerich Groh oder Josef Wenter, finden sich in der 1946 vom Bundesministerium für Unterricht erstellten "Liste der gesperrten Autoren und Bücher" wieder.
1931 kamen die ersten beiden Theaterstücke auf den Markt. Otto Emmerich Grohs dreiaktige Tragödie "Attila" ist hier ebenso zu nennen wie Hermann Graedeners "deutsche Tragödie" "Neues Reich". Bereits im nächsten Jahr folgten zwei weitere Stücke, darunter "Spiel um den Staat in neun Bildern" des preisgekrönten Schriftstellers und späteren NSDAP-Mitglieds Josef Wenter. Zu den weiteren Autoren zählte etwa Richard Wahle mit "Don Pizzaro" (1935).
Einen zweiten Schwerpunkt setzte der Verlag auf Lyrik. Allein 1932 erschienen fünf Lyrikbände von Rudolph List, Hans Nüchtern, Käthe Braun-Prager, Ernst Scheibelreiter und Hermann Ferdinand Schell. Andere Bände, beispielsweise von Ludo Gerwald, Hans A. Hayek, Dora von Stockert-Meynert oder Leo Witt, folgten.
Für den Bühnenvertrieb sei auf das Drama "Perikles und die Athener" (1935) und die Tragödie "Das Opfer des Themistokles" (1936) des dem Verlag verbundenen Hubertus Beyer verwiesen. Verfasst wurden beide Stücke unter dem Pseudonym Ludo Gerwald.
Nach der Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit verlegte Gerstel 1938 unter dem Titel "Männer machen die Geschichte" die "Romanreihe – Jugendausgaben". Mit Genehmigung des Rechteinhabers, der Speidel'schen Verlagsbuchhandlung, bearbeitete sie insgesamt neun Bände. Darunter befanden sich fünf Romane von Mirko Jelusich – etwa "Caesar", "Cromwell" oder "Hannibal" – und vier Titel von Gertrud Schmirger, die ihre Werke – wie "Wallenstein" oder "Attila" – unter dem Pseudonym Gerhart Ellert veröffentlichte. Die für Schulzwecke konzipierten, 48 Seiten starken Kleinausgaben entsprachen dem Zeitgeist und setzten starke Heldenfiguren für die "deutsche Jugend" in Szene.
Illustration
Vermutlich aus Kostengründen wurden die Bücher des S. L. Gerstel Verlags nicht illustriert. Auch verzichtete man weitgehend auf eine künstlerische Gestaltung der Umschläge. Lediglich ein Titel, nämlich Hermann Ferdinand Schells "Frauenlieder" (1932), wurde mit einer Zeichnung des Wiener Malers und Grafikers Carry Hauser ausgestattet.
Das repräsentative Signet des S. L. Gerstel Verlags stellte das Familienwappen der Familie Gerstel-Ucken dar.