Tucherzeugung
Die ersten Nachweise einer Tucherzeugung in Wien reichen ins 13. Jahrhundert zurück, ab dem 14. Jahrhundert vermitteln die Quellen einen guten Einblick. Als Rohstoffe dienten zunächst Wolle (Tierhaare) und "Haar" (Pflanzenfasern, aus Lein und Hanf gewonnen), dazu kam im 14. Jahrhundert die über Venedig eingeführte Baumwolle (Fasern aus der Baumwollstaude). Die Zubereitung des Rohmaterials oblag den Wollschlägern und den Spinnerinnen (Frauen in Hausarbeit), der Vertrieb desselben konzentrierte sich auf die Wollzeile (erwähnt um 1252/1261), den Haarmarkt (erwähnt 1288) und den Haarhof (erwähnt 1444). Aus dem Rohmaterial wurden von den Webern (bald spezialisiert in Lein- und Wollweber, Lodenwirker und Barchenter; letztere erzeugten ein Mischgewebe aus Leinen und Baumwolle) Rohgewebe hergestellt. Der nächste Arbeitsgang (das Walken der Rohgewebe) oblag den Tuchbereitern, dann begann die Tätigkeit der Tuchscherer (erwähnt 1310), die das Tuch verfeinerten, in dem sie überstehende Faserreste abschnitten. Nach jedem dieser Arbeitsgänge wurde das Produkt, dessen Größe genau vorgeschrieben war, in einem "Rahmhof" auf Rahmen aufgespannt, kontrolliert und bei positivem Befund mit einer Marke versehen.
Rahmhöfe gab es mehrere im Bereich zwischen Weihburg- und Johannesgasse, Tuchbereiter und Lodenwirker boten im 14. Jahrhundert ihre Ware im Seithaus (Hoher Markt) an. Seide wurde im mittelalterlichen Wien nicht produziert, sondern war Importware.
Für das Färben der Gewebe waren die Färber zuständig. Ihre Werkstätten befanden sich in der ab etwa 1300 nachweisbaren Färberstraße (Dorotheergasse). Ob die erstmals im Jahr 1208 erwähnten Flandrenser Tuchfärber waren, ist unklar. In jedem Fall standen sie mit dem Tuchhandel in Verbindung und kamen wahrscheinlich im Zuge der wirtschaftsfördernden Maßnahmen Herzog Leopolds VI. von Flandern nach Wien, wo sie mit einigen Vorteilen ausgestattet wurden (Flandrenserprivileg).
Die mit der Tucherzeugung befaßten Gewerbe erhielten vom Rat Handwerksordnungen (gewerberechtliche Regelungen) und schlossen sich zu Zechen zusammen. Seit 1396 waren etwa die Wollschläger und Wollweber zu einer gemeinsamen Zeche vereint, im Jahr 1467 kam es schließlich auch zu einer Vereinigung mit den Tuchbereitern. Die Lein- und Barchentweber verbanden sich 1480. Eigene Zeche bildeten jeweils die Tuchscherer und die Färber.
Noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist die Auffächerung in der Tucherzeugung nachweisbar; dann setzten sich allmählich Manufaktur durch. Die Seidenfabrikation (ab 1666 in Österreich heimisch) fasste um 1700 in Wien Fuß (siehe auch Seidenmanufaktur, Industrie), die Tuchfärberei wurde 1709 freigegeben.
Siehe
Literatur
- Markus Gneiß: Das Wiener Handwerksordnungsbuch (1364 bis 1555). Edition und Kommentar. Wien: Böhlau Verlag 2017 (Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, 16) (FWF-E-Book-Library), S. 208-221, 370-372, 384 f., 454-456, 478, 489
- Rudi Palla: Verschwundene Arbeit. Ein Thesaurus der untergegangenen Berufe. Reprint der limitierten Bleisatzausgabe. Frankfurt am Main: Eichborn 1994 (Die andere Bibliothek, 115), S. 337 ff.
- Gerlinde Sanford: Wörterbuch von Berufsbezeichnungen aus dem siebzehnten Jahrhundert. Gesammelt aus den Wiener Totenprotokollen der Jahre 1648-1668 und einigen weiteren Quellen. Bern / Frankfurt am Main: Lang 1975 (Europäische Hochschulschriften. Reihe 1: Deutsche Sprache und Literatur, 136), S. 140 f.
- Richard Perger: Der Hohe Markt. Wien [u.a.]: Zsolnay 1970 (Wiener Geschichtsbücher, 3), S. 52 ff.
- Viktor Thiel: Gewerbe und Industrie. In: Geschichte der Stadt Wien. Hg. vom Altertumsverein zu Wien. Wien: Holzhausen 1911, S. 411 ff.
- Karl Uhlirz: Das Gewerbe. In: Geschichte der Stadt Wien. Hg. vom Altertumsverein zu Wien. Band 2/2. Wien: Holzhausen 1905, S. 592 ff.
- Joseph Feil: Beiträge zur älteren Geschichte der Kunst- und Gewerbstätigkeit in Wien. In: Berichte und Mitteilungen des Altertums-Vereines zu Wien. Band 1. Wien: Gerold 1859, S. 204 ff.