Manufaktur
Unter dem Begriff Manufaktur wird im Allgemeinen eine rein handwerkliche oder unter Verwendung von durch Menschen oder Tiere angetriebenen Maschinen organisierte Produktion verstanden, die aber großbetrieblich-zentralisierte und arbeitsteilende Strukturen aufweist. Vom wirtschaftshistorischen Aspekt ist das Manufakturzeitalter die Epoche des Übergangs von der traditionellen, an Stabilisierung der überkommenen integrativen Produktions- und Lebensformen interessierten Wirtschaftsordnung zu einer auf Innovation, Rentabilität, Lohnarbeit und Marktkonkurrenz orientierten Ökonomie, die schließlich mit der Etablierung des kapitalistischen Industriesystems ihren Abschluss findet.
Anfänge in Wien
Vergabe des Fabriksprivilegiums
Das Habsburgerreich und seine Residenzstadt Wien gerieten bei diesem bereits im Spätmittelalter einsetzenden Prozess gegenüber Westeuropa in einen Entwicklungsrückstand. Seit dem Erstarken des absolutistischen Staats und dem Aufkommen des Merkantilismus in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden daher aus macht- und wirtschaftspolitischem Kalkül seitens der Regierungsstellen wachsende Anstrengungen zum Aufholen unternommen. Deren Erfolg wurde allerdings durch gravierende soziokulturelle und institutionelle Barrieren sowie Kapital-, Qualifikations- und Infrastrukturdefizite behindert, die man anfänglich vor allem mittels Heranziehung ausländischer Unternehmer und Fachkräfte sowie durch deren rechtliche Bevorzugung (das heißt Befreiung von zünftischen Beschränkungen in bezug auf Belegschaftsgröße, Lehrlings- und Frauenbeschäftigung, Produktionstechnologie, Produktpalette und so weiter durch Vergabe eines "Fabriksprivilegiums") und finanzielle Unterstützung bei der Betriebsgründung, weiters durch Zollschutz, Abnahmegarantien und so weiter zu überwinden trachtete.
"Kunst- und Werkhaus" am Tabor
Es lag nahe, die Residenzstadt wegen der hier konzentrierten kaufkräftigen Nachfrage und der hiesigen Arbeitsmarktsituation (relativ viele überdurchschnittlich qualifizierte Arbeitskräfte, gleichzeitig breites und wachsendes Segment der Unqualifizierten) als Standort für höherwertige und Luxusproduktionen zu wählen. Der erste Versuch in diese Richtung in Wien war das 1676 fertiggestellte (1683 jedoch von den Türken zerstörte und nicht wieder aufgebaute) "Kunst- und Werkhaus" Am Tabor, das unter anderem ein ehemaliges Laboratorium, eine Seidenband- und Wollmanufaktur sowie eine Werkstätte zur Erzeugung von Haushaltsgeräten umfasste. Ursprünglich unter der Leitung seines Initiators Johann Joachim Becher, wurde das Unternehmen 1677 von Wilhelm von Schröder weitergeführt, konnte dem Ziel der Hebung des hiesigen Qualifikations- und Produktionsniveaus aber nie gerecht werden.
Aufschwung von Manufakturen im 18. Jahrhundert
Texttilmanufakturen
Auch in den folgenden Jahrzehnten blieb die einschlägige Gründungstätigkeit eher vereinzelt. Erst unter Karl VI., der ab 1715 mit der Einrichtung von "Kommerzienkollegien" zur Gewerbeförderung begonnen hatte, wurden die Aktivitäten lebhafter. Branchenmäßige Schwerpunkte für die Errichtung neuer Betriebe waren der Textil- und Metallsektor; die Unternehmer kamen überwiegend aus dem Ausland (beispielsweise aus Frankreich, Italien und der Schweiz, bemerkenswert auch die Niederländerin Katharina Boulman, die 1732 eine Spitzenfabrik gründete) und/oder aus dem Handelsstand; häufig war für den Produktionsaufbau die Anwerbung ausländischer Fachkräfte erforderlich. Den weitaus stärksten Arbeitsmarkteffekt für Wien hatte die 1724 durch die Orientalische Handelskompagnie gegründete und 1740 von einem Wiener Großhändlerkonsortium übernommene Baumwollwarenfabrik in Schwechat; sie war überwiegend im Verlagssystem organisiert und beschäftigte 1752 (also noch vor der Mechanisierung des Spinnvorgangs) allein in Wien und seinen Vororten mittels sieben Faktoreien 2.759 in Heimarbeit tätige Spinnerinnen und Spinner sowie rund 60 Weber. Nach 1750 begann sich die Baumwollverarbeitung allerdings zunehmend in die niederösterreichische Provinz zu verlagern.
Porzellanmanufaktur
Die bedeutendste Neugründung dieser Zeit war die 1718 vom Niederländer Claudius Innozenz Du Paquier nach Meißner Vorbild in der Roßau errichtete Porzellanmanufaktur (9., Porzellangasse 51-53), die aber anfangs unter dem Mangel an Kapital und qualifiziertem Personal litt und 1744 an den Staat verkauft werden musste.
Gewerberechtliche Änderungen
Unter Maria Theresia kam es zu einer für den weiteren Aufschwung der Manufakturen entscheidenden gewerberechtlichen Weichenstellung (Gewerbe): 1754 erfolgte die Unterscheidung zwischen "Polizeigewerben" (beispielsweise Schneider und Bäcker), die den Lokalbedarf befriedigten und weiterhin unter der Kontrolle der Zünfte standen, sowie "Kommerzialgewerben" (beispielsweise Musikinstrumentenmacher, Gold- und Silberarbeiter, Woll- und Seidenzeugmacher), die für den gehobenen und/oder überregionalen beziehungsweise Exportbedarf produzierten und wie privilegierte Fabriken und Manufakturen von zünftigen Beschränkungen weitgehend befreit waren. Damit war der bis dahin in erster Linie von den Behörden und vom Ausland initiierte Strukturwandel auf eine breitere selbsttragende Basis gestellt, da nun auch kleine Handwerksbetriebe allmählich in Manufakturen-Dimensionen hineinwachsen konnten.
Seidenmanufakturen
Eine zusätzliche Beschleunigung dieses Expansionsschubs bewirkte die protektionistische Gewerbepolitik Josephs II. in den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts. Unter diesen Bedingungen entwickelte sich bis zur Jahrhundertwende die Seidenverarbeitung zur weitaus bedeutendsten Wiener Produktionsbranche, wogegen die übrigen Zweige der Textilverarbeitung relativ unbedeutend blieben. Hatte 1760 die Zahl der bei der Seidenfabrikation Beschäftigten nur 607 betragen, so waren im Hochkonjunkturjahr 1801 (nach einer Phase nachlassenden französischen Importdrucks im Gefolge der Revolution und nach dem kriegsbedingten Wegfall der konkurrenzstarken italienischen Provinzen) in den Wiener Seidenzeug-, Band- und Posamentenfabriken, Seidenfärbereien und so weiter rund 8.000 Stühle in Betrieb (darunter in der Bandproduktion bereits etwa 1.000 bis auf den Handantrieb vollmechanisierte "Mühlstühle", die wegen ihrer arbeitskräftesparenden Produktivität erst ab 1753 allmählich erlaubt worden waren) und circa 16.000 Personen (etwa die Hälfte davon Frauen und Mädchen) tätig.
Charakteristisch war die weit aufgefächerte Betriebsgrößenstruktur; neben Hunderten kleiner Meister gab es Großbetriebe, wie jene von Andreas Jonas (4., Mittersteig 13) mit 660 Stühlen und nahezu 2.000 Arbeitskräften und von Cornelius Christian Gottlieb Hornbostel in der Vorstadt Wieden (5., Hartmanngasse 1, ab 1807 in Gumpendorf, 6., Hornbostelgasse 14) mit 200 Stühlen und 600 Arbeitskräften, die aber überwiegend auch außerhalb der Zentrale im Verlag zahlreiche Kleinmeister und/oder Heimarbeiter/innen beschäftigten.
Kernzonen der Seidenverarbeitung (und damit Schwerpunkte im Wiener Gewerbestandortmuster) wurden nun die großteils erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts der Verbauung zugänglich gemachten Vorstädte Gumpendorf (vergleiche beispielsweise den Standortwechsel Hornbostels) und Schottenfeld (letztere erhielt später wegen des Reichtums der dortigen Fabriksherren den Beinamen Brillantengrund).
Die sich an die Webereien anlagernden Färbereien, Appreturen und so weiter siedelten sich überwiegend beiderseits des nahen Wienflusses an, unter anderem um so ihren Wasserbedarf decken zu können (innerhalb des Linienwalls in Gumpendorf und Margareten, außerhalb desselben in Sechshaus, Gaudenzdorf und Meidling sowie weiter flussaufwärts).
Durch marktorientiertes Unternehmerverhalten, den Einsatz moderner Produktionstechnik und billige (weibliche und jugendliche) Arbeitskräfte sowie mithilfe des flexiblen und kapitalsparenden Verlagssystems war die Seidenverarbeitung auch international konkurrenzfähig geworden und verzeichnete insbesonders in Osteuropa und in der Levante wachsende Exporterfolge. Die Kehrseite des Fortschritts war eine Verschlechterung der kaum regulierten Arbeitsverhältnisse (die 1772 in Niederösterreich installierte Fabriksinspektion war diesbezüglich wenig wirkungsvoll) durch Zunahme von Kinderarbeit, Ausdehnung der Arbeitszeiten, sinkende Löhne (vor allem für unqualifizierte [weibliche und jugendliche] Arbeitskräfte) und skandalöse Arbeitsbedingungen.
Handschuhproduktion und andere
Auch einige weitere großstadttypische Branchen (die nachfolgend exemplarisch genannt werden) verzeichneten einen kräftigen, wenngleich nicht so spektakulären Aufschwung, wobei immer wieder die Pionierrolle ausländischer Unternehmer und Fachkräfte auffällt.
Die Grundlegung der Handschuhproduktion erfolgte durch französische Unternehmer und deren mitgebrachte Gehilfen, die sich später teilweise selbständig machten. Der bedeutendste Betrieb war der von Dupuis und Jaquemaire (gegründet 1777, 1782 schon 102 Beschäftigte; 9., Porzellangasse 52). Weitere französische Fabriksgründungen erfolgten etwa durch Kunstblumenmacher sowie in der Erzeugung von Papierdosen, Wachsleinwand und Papiertapeten.
Instrumenten- und Maschinenbau
1789 wurden von Joseph II. circa 100 Genfer Uhrmacher nach Wien geholt, die ihre Produktion hier ursprünglich als einheitliches Unternehmen betrieben, dann aber teilweise als Selbständige zur Etablierung einer bodenständigen Uhrenerzeugung beitrugen. Als ältester Großbetrieb im Bereich des Instrumenten- und Maschinenbaus ist die 1762 vom Leipziger Johann Christoph Voigtländer in Gumpendorf (6., Gumpendorfer Straße 111) eröffnete Werkstätte anzusehen.
Englische Unternehmer engagierten sich vorwiegend im Bereich der Metallverarbeitung; 1765 gründete Matthäus von Rosthorn der Jüngere eine Fabrik für gold- und silberplattierte Knöpfe und Schnallen im ärarischen Fabrikshaus "Zum schwarzen Ochsen" (3., Ungargasse 47-49), 1768 folgte Thomas Lightowler mit einem ähnlichen Betrieb, 1779 errichteten die Gebrüder William und Robert Hikman eine Metallwarenfabrik. Zum bedeutendsten einschlägigen Betrieb wurde die 1750 vom Würzburger Johann Georg Hietl gegründete und 1754 im Margaretner Schloss (5., Margaretenplatz 2-3) untergebrachte Fabrik leonischer Waren (Verwendung eines von dünnem Metalldraht umsponnenen Fadens), die nach Übernahme durch den Großhändler Josef Schwarzleithner 1768 mindestens 400 Arbeitskräfte beschäftigte.
Gerade in dieser Branche wurden nun jedoch für expansive, mit moderner Technologie produzierende Betriebe wegen des damit verbundenen Bedarfs an Platz und Wasserkraft (für den Maschinenantrieb) die großstädtischen Standortnachteile (knapper, teurer Boden, Wassermangel) manifest. Alle vier genannten Unternehmen wanderten zumindest teilweise aus Wien nach Niederösterreich ab: 1786 gingen die Gebrüder Hikman nach Kaiserebersdorf, Schwarzleithner wanderte nach Mannersdorf und Lightowler nach Guntramsdorf ab, Rosthorn baute zusätzlich zur Wiener Fabrik 1790 ein Metallwalzwerk in Fahrafeld.
Graphisches Gewerbe
Johann Thomas Trattner
Das graphische Gewerbe dagegen war und blieb hauptsächlich auf die Residenzstadt konzentriert. Der erste Großbetrieb war die 1748 von Johann Thomas Trattner übernommene Buchdruckerei, die schon 1755 100 Beschäftigte und nach dem Umzug in den 1759/1760 neuerbauten "Typographischen Palast" (8., Albertgasse 28) auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung um 1780 37 Pressen und rund 200 Beschäftigte hatte.
K.K. Hof- und Staatsdruckerei
Auch einige weitere Privatdruckereien verzeichneten in diesen Jahren einen deutlichen Aufschwung; die wichtigste Neugründung erfolgte allerdings 1804 mit der Einrichtung der k. k. Hof- und Staatsdruckerei (Franziskanerkloster; 1, Singerstraße 26) unter Leitung von Joseph Vinzenz Degen, die 1807 bereits 30 Pressen und 200 Arbeitskräfte aufwies.
Die Rolle des Staates
Signifikant für die nach wie vor gewichtige Rolle des Staats im Manufakturzeitalter war, dass Wiens größter Betrieb nun die nach ihrer Verstaatlichung immer besser florierende Porzellanmanufaktur war (1811 nahezu 800 Beschäftigte).
Die Beschwerden der Wiener Zünfte gegen die Expansion der Marktwirtschaft hatten zwar nie nachgelassen, seit dem Regierungsantritt Franz II. (I.) standen aber nicht nur der Monarch, sondern auch Hofstellen und Magistrat Fabriksgründungen in Wien zunehmend skeptisch gegenüber, weil davon Umweltbelastungen und wegen der Zunahme des Proletariats Teuerung, Wohnungsnot und revolutionäre Tendenzen erwartet wurden. Entsprechende allerhöchste Entschlüsse von 1802 und 1804 dekretierten, die Errichtung von Fabriken in Wien zu untersagen beziehungsweise deren Neuanlage nur noch in einer Entfernung von vier Meilen außerhalb der Linien zu gestatten, bereits innerhalb dieser Zone bestehende jedoch nach Möglichkeit abzusiedeln. Die Hofkammer und die niederösterreichische Regierung, beide liberal gesinnt, opponierten gegen diese Regelung, da sie die Konkurrenz und den wirtschaftliche Fortschritt hemme. Das Verbot, das ohnehin mehrfach übertreten wurde (beispielsweise 1804 durch die Gründung der Möbelfabrik von Joseph Ulrich Danhauser in der Vorstadt Wieden, 4., Margaretenstraße 25, die schon 1808 130 Arbeiter beschäftigte), wurde schließlich 1809 für den Bereich der Stadt und 1811 für ihr Umfeld wieder aufgehoben.
Aufkommen des Fabrikssystems
Einen nachhaltigeren Rückschlag für die Entfaltung des Manufakturwesens brachte die mit der Aufhebung der Kontinentalsperre (1813) und der Umstellung auf die Friedenswirtschaft einsetzende Rezession. Der erst Ende der 20er Jahre des 19. Jahrhunderts beginnende Aufschwung war allerdings schon teilweise vom Aufkommen des Fabriksystems mitgetragen: Noch vor 1830 kamen in drei Baumwolldruckereien in Erlaa und Atzgersdorf Dampfmaschinen als Antrieb für die neuaufgekommenen Perotinen (Walzendruckmaschinen) zum Einsatz, 1836 wurde in der k. k. Hof- und Staatsdruckerei eine Dampfmaschine zum Betrieb der beiden ersten Schnellpressen aufgestellt, und mit dem Beginn des Eisenbahnbaus (1837) wurde die Residenzstadt zum Zentrum der modernen Maschinenindustrie (Industrie, Lokomotivfabriken).
Wenngleich also das in der Phase bis 1848 feststellbare Betriebswachstum schon häufig mit der Verdrängung der manufakturiellen Organisation verbunden war, so blieben doch weite Bereiche des Wiener Produktionssektors weiterhin davon und vom Verlagsystem bestimmt. Die Seidenverarbeitung erreichte Ende der 20er Jahre des 19. Jahrhunderts wieder das Beschäftigungsniveau der Blütezeit um die Jahrhundertwende (die wichtigste Innovation war die Ausbreitung des mit Lochkarten "programmierbaren" Jacquard-Stuhls).
Ein erst nach 1800 aufgekommener, aber bald international renommierter Produktionszweig war die Erzeugung wollener Schals. 1845 hatte die größte Firma Zeisel & Blümel, gegründet 1814 durch Johann Blümel (7., Schottenfeldgasse 20), 150 Stühle in Betrieb und 320 Beschäftigte. Weitere erst in den letzten Jahrzehnten emporgekommene Branchen waren beispielsweise die Erzeugung von Ledergalanteriewaren (der größte Betrieb, 1838 von Daniel Prützmann gegründet, 7., Stuckgasse 1, beschäftigte 1845 rund 100 Arbeiter), die Holz-, Elfenbein-, Perlmutter- und Meerschaum-Drechslerei (der Knopfdrechsler Wilhelm Metzner, 6., Gumpendorfer Straße 122, hatte 1825 begonnen und beschäftigte 1845 einschließlich 14 verlegter Meister über 100 Personen) und vor allem die gegen starke englische und französische Konkurrenz wieder zu Prestige gelangte Klaviererzeugung (die bedeutendste Fabrik war [nach einem 1838 erfolgten Neubau] die von Johann Baptist Streicher, 3., Ungargasse 27).
Bahnbrechend im Bereich der Chemie war die Entwicklung eines Verfahrens zur Herstellung von Gummiwebwaren, das der aus Nikolsburg stammende Johann Nepomuk Reithoffer ab den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts in Wien vervollkommnet hatte. 1845 zählte sein noch völlig auf Handarbeit basierender Betrieb (6., Mariahilfer Straße 115) bereits 220 Beschäftigte.
Bezeichnend für das nahe Ende des Manufakturzeitalters war, dass Unternehmer, die ursprünglich mit ihrem Manufakturbetrieb in Wien sehr erfolgreich gewesen waren, mit den Fortschritten der Industrialisierung in die Provinz abzuwandern begannen, wo Boden- und Arbeitskosten niedriger waren. Auch das Wegfallen des Standortnachteils hinsichtlich der Antriebskräfte durch die Dampfmaschine konnte diesen Trend nur bei überdurchschnittlichem Bedarf an hochqualifizierten Arbeitskräften wettmachen, zumal auch Frachtkosten in Wien überhöht waren. Beispiele für solche Verlagerungen sind der Seidenzeugfabrikant Christian Georg Hornbostel (1816, nach Leobersdorf, Niederösterreich), der Baumwoll-, Schafwoll- und Seidenwarenfarikant Philipp Haas (1831, nach Mitterndorf, Niederösterreich) oder Johann Nepomuk Reithoffer (1850, nach Wimpassing, Niederösterreich); auch die Schließung der k. k. Porzellanmanufaktur (1864) steht in diesem Kontext. Die nach der Jahrhundertmitte auf breiter Front einsetzende Abwanderungswelle der Seiden- und Schafwollfabrikanten in die Sudetenländer war ein auslösender Faktor für gravierende Branchenverschiebungen im Wiener Produktionssektor, die zunächst vor allem durch die Ausbreitung kleinbetrieblich-verlagsmäßigen Organisationsstrukturen, speziell im Bekleidungsgewerbe, und erst in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts durch ein von der Elektrotechnik ausgehendes massives Vordringen des Industriesystems (Industrie) gekennzeichnet waren.
Literatur
- Renate Banik-Schweitzer: Wien im Vormärz. Wien [u.a.]: Kommissionsverlag Jugend & Volk 1980 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 8)
- Günter Chaloupek / Peter Eigner / Michael Wagner [Hg.]: Wien. Wirtschaftsgeschichte 1740-1938. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1991
- Josef Ehmer: Familienstruktur und Arbeitsorganisation im frühindustriellen Wien. In: Sozial- und wirtschaftshistorische Studien 13 (1980)
- Herbert Hassinger: Der Stand der Manufakturen in den deutschen Erblanden der Habsburgermonarchie am Ende des 18. Jahrhunderts. In: Friedrich Lütge [Hg.]: Die wirtschaftliche Situation in Deutschland und Österreich um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Bericht über die Erste Arbeitstagung der Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in Mainz 4.-6. März 1963. Stuttgart: Fischer 1964 (Forschungen zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 6)
- Gerhard Meißl: Wirtschaft 1740-1990 beziehungsweise Wirtschaftliche Interessenvertretungen 1740-1990. In: Peter Csendes / Ferdinand Opll [Hg.]: Die Stadt Wien. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1999 (Österreichisches Städtebuch, 7)
- Johann Slokar: Geschichte der österreichischen Industrie und ihrer Förderung unter Kaiser Franz I. Mit besonderer Berücksichtigung der Großindustrie. Wien: Tempsky 1914