Wiener Molkerei
Die Wiener Molkerei, kurz "WIMO" genannt war von 1880 bis 1919 der dritte zentrale und städtische Milchwirtschaftsbetrieb der Monarchie und errichtet worden, um die städtische Milchversorgung der Stadt Wien zu verbessern. Gegründet wurde die bis 1992 bestehende WIMO 1880 als "registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung" in Wien-Landstraße. Die WIMO folgte als Nummer drei unter den Großbetrieben den 1879 in Brünn und 1880 in Graz gegründeten Milchverarbeitungsbetrieben, die damals ab 1880 als "Molkereibetriebe" bezeichnet wurden.
Die Lage
Die WIMO nahm ihren Betrieb 1881 auf einem Areal auf, das man in dieser Zeit "Zum guten Hirten"[1] nannte. Die Wiener Molkerei befand sich in der ehemaligen Prager Straße in der Landstraße im Bereich der Häuser Nummer 6–8 und war zugleich Betriebsgebäude, Wohnhaus für die Arbeiterschaft und landwirtschaftlicher Betrieb, mit einem Innenhof – dem "Molkereihof" -, in dem die Produkte angeliefert und verladen wurden. In der Prager Straße 10 befand sich ein Verkaufslokal der Wiener Molkerei, die weitere Filialen in Wien und Umgebung betrieb.
Infolge der steigenden Nachfrage gelangte das Betriebsgebäude in der Prager Straße an den Rand seiner Kapazität, sodass ab 1892 vom technischen Direktor Franz Josef Kaiser ein Neubau in Wien-Leopoldstadt geplant wurde.
1902 übersiedelte die WIMO in das ab 1898 erbaute und 1901 fertiggestellte neue Gebäude in der Molkereistraße 1. Der 10.000 Quadratmeter umfassende Neubau kostete zwei Millionen Kronen, und wurde nach den Plänen von Franz Josef Kaiser und der Architekten "Gebrüder Drexler" im Neorenaissancestil errichtet. Rechts neben der Einfahrt zum Molkereihof befanden sich das Direktionsgebäude und der Trakt, der für die im Betrieb Tätigen bestimmt war. Im Hof, gleich einem Bahnhof, befanden sich die Belade- und Entladerampen. Am anderen Ende des Hofes befanden sich das Maschinenhaus und die Stallungen für die Pferde der Zulieferer sowie weitere Gebäude und Einrichtungen für das Personal. Direkt vom Direktionsbereich gelangte man in die Milchabfertigungshalle, an die weitere Betriebsräume angeschlossen waren. Neben einigen exklusiven Außenstellen betrieb die WIMO im Jahr 1927 rund 150 eigene Filialen in Wien.
Das ehemalige Betriebsgebäude in Wien-Landstraße wurde nach der Übersiedlung der WIMO durch andere Unternehmen als Fabrikstandort genutzt bis der Gebäudekomplex um etwa 1905 demoliert wurde. Ab 1905 entstand der bis dato bestehende Wohnbau Radetzkystraße 25–27, eine Wohnhausanlage mit vier Stiegen um eine Grünanlage, in einem zur Straße offenen Innenhof gelegen.
Geschichte
Die Geschichte der Wiener Molkerei, von Beginn an Österreichs größter und modernster Milchwirtschafts- und Vorzeigebetrieb, begann mit der Eingemeindung der Wiener Vorstädte (1850) und Vororte (1890/1892), wodurch sich rund 700 kleine Milchmeiereien im Wiener Stadtgebiet befanden.
Die wohl bekannteste "Milchmeierei" war die Meierei Krieau, die 1877 in einem Jagdschloss im k. u. k Prater nahe dem Heustadelwasser auf damals noch kaiserlichem Privatgrund gegründet wurde, für deren Konzession sich Kaiserin Elisabeth von Österreich persönlich einsetzte. Noch vor 1900 wurden zahlreiche Vorstadt- beziehungsweise Vorortmeiereien von der Wiener Molkerei übernommen. 1905 fand eine der Vorstandsitzungen der WIMO[2] in der Meierei Krieau statt.
Die WIMO wurde mit ihrer Betriebsaufnahme im Jahr 1881 der dritte städtische Milchverarbeitungsbetrieb neben Graz und Brünn auf genossenschaftlicher Grundlage. Zu dem Milchlieferanten zählten ab 1881 ausschließlich Großgrundbesitzer aus Nieder- und Oberösterreich, wie auch Lieferanten aus grenznahen Teilen von Mähren. 1903 zählte die WIMO 63 Mitglieder, die von 126 Bauernhöfen Produkte auf vertraglich vereinbarter Grundlage einlieferten.
Der erste Vorstand der Wiener Molkerei, Rudolf Freiherr von Doblhoff, wurde 1882[3] in die Funktion berufen und 1891 zum Präsidenten der WIMO ernannt. Erster Direktor wurde ab 1880 Herr Wanniek, kurz darauf abgelöst von den Herren Brückner und Perda, einem Direktorenteam, das bereits 1882 eine schwere Krise durchmachte. Schon um diese Zeit kam es in Wien zu einem Milchüberfluss.
Laut den Medien der damaligen Zeit drohte der Vertrag mit dem leitenden Direktor Brückner die WIMO lahmzulegen. Erst nach Übernahme der Leitung durch Direktor Georg Jochmann konnte sich die WIMO frei entwickeln, wobei die Zusammenarbeit des leitenden kaufmännischen Direktors Jochmann mit dem fachlich hochgebildeten technischen Leiter Franz Josef Kaiser (* 1862) zu einer Besserung der Umstände beitrug. So wurde dem bereits seit 1882 tätigen "technischen Adjunct" Kaiser volle Betätigungsfreiheit gelassen. 1892 wurde Kaiser zum Betriebsdirektor ernannt und erstellte in dieser Funktion Studien und brachte seine Erfahrung in den Neubau des Betriebsgebäudes in der Molkereistraße ein.
Nach dem plötzlichen Ableben Jochmanns im Jahr 1892 wurde Josef Kampmann wirtschaftlicher Direktor der WIMO. Als Kampmann am 26. Jänner 1911 verstarb,[4] folgte ihm Kaiser als technischer und wirtschaftlicher Direktor. 1923 wurde er zum Generaldirektor der Wiener Molkerei ernannt. Mit 1. Jänner 1925 erfolgte die Pensionierung Kaisers im Alter von 63 Jahren.
Die ersten Jahre der Wiener Molkerei
Nachdem die WIMO im ersten Betriebsjahr 1881/1882 rund zwei Millionen Liter Milch im Jahr umgesetzt hatte, stieg die Menge der Milchproduktion aufgrund der hohen Nachfrage jährlich an. 1890 waren rund fünf Millionen Liter Milch in der Verarbeitung. 1898 wurde mit dem Bau des "Neuen Etablissements" begonnen.
Um 1900 steigerte sich die Produktionsmenge auf zwölf Millionen Liter, womit der Betrieb in der Prager Straße an seine Kapazitätsgrenze gelangte. Am neuen Standort betrug die Produktion im Jahr 1905 bereits 18 Millionen Liter.
Die erste Wiener Milchwirtschaftskrise und der Milchausgleichfond 1934
Die besten "WIMO-Milchjahre" waren die Jahre 1913–1914 mit circa 33 Millionen Litern sowie das Produktionsjahr 1926-1927 mit 38 Millionen Litern. Infolge der ansteigenden Überproduktion kam es ab 1931 zur ersten größeren Krise in der Wiener Milchwirtschaft. Schon ab Anfang der 1930er Jahre lag die produzierte Menge weit über den Bedarf. Infolge dieser Krise entstand nach Beschluss des Nationalrats der Milchausgleichsfond, kundgemacht am 27. Juli 1931. Der Milchausgleichsfond diente dazu, dem Erzeuger, unabhängig von der späteren Verwendung, einen einheitlichen Erzeugerpreis zu garantieren.
Die exklusiven Außenstellen der Wiener Molkerei
Die Meierei Krieau wurde nach ihrer Gründung im Jahr 1880 nicht nur Treffpunkt des Adels, sondern ab circa 1900 eine exklusive Außenstelle der Wiener Molkerei. Dazu folgte ab 1926 der "Milchkurpavillon in der Prater Haupt Allee".
Die 1873 im Zuge der Weltausstellung errichtete "Meierei Prater, Hauptallee Nummer 3" ist bis dato erhalten und wird als "Holzdorfers Meierei im Prater" geführt, somit von einer bekannten Wiener Familie, die zahlreiche Vergnügungseinrichtungen im Prater gründete. Weitere exklusive Außenstellen der WIMO lagen im Park der Kaiservilla in Bad Ischl, "dem Kaiserschlössl", wo die WIMO das Café Cottage betrieb. Auch am Bahnhof im steirischen Stainach, nahe der Tauplitzalm am Rand der Dachsteinregion gelegen, hatte die WIMO eine Vertriebsstelle in Nachbarschaft der 1902 gegründeten Ennstal Milch, die ein paar Häuser weiter in der Bahnhofstraße 182 in Stainach-Pürgg ansässig war. Die Wiener Molkerei und die Ennstal Milch schlossen 1908 Lieferverträge, etwa betreffend Käse, der aus steirischer Milch hergestellt nach Wien geliefert und über die WIMO in Wien vertrieben wurde. Milchlieferungen und Milchprodukte für den Wiener Markt folgten um die 1930er Jahre dazu aus Gröbming, Trofaiach und aus der Dachsteinregion (Ramsau und Schladming).
Zur Wiener Molkerei zählte weiters ab 1927 der Milchkurpavillon im Lainzer Tiergarten in der Hermesstraße. Daneben betrieb die WIMO auch das "Kaffeerestaurant der Wiener Molkerei" im Prater in der Lassallestraße hinter dem Zelt des Zirkus Busch. Die WIMO war weiters im Messepalast und auf dessen Gelände Betreiber gastronomischer Einrichtungen, die sie auch verpachtete.
Das Hochhaus Herrengasse und die WIMO Filiale in Wien-Innere Stadt
Eine weitere exklusive Außenstelle war im 1932 fertiggestellten Hochhaus in der Herrengasse 6-8, das die WIMO als erster Mieter bezog.
Das Hochhaus Herrengasse 6-8 wurde ein Symbol der 1920er Jahre. "Der erste Wolkenkratzer in Wien" prägte den schon früh einsetzenden Anglo-Amerikanismus, der Anfang der 1930er Jahre in Wien einen Höhepunkt erreichte. Die Amerikafaszination der 1920er Jahre umfasste den Glauben an Wohlstand, Fortschritt und Freiheit. Sie führte auch bei der WIMO zu einer damals mit Leuchtreklame umworbenen "Amerikanischen Sauermilch".
Bereits um 1907 übertrug die WIMO die Herstellung von Milchpulver und Kondensmilch aus nicht verkaufter Milch an die Milchindustrie Aktiengesellschaft in Wien. Die Vereinigung der beiden Firmen erfolgte in Form einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung unter dem Namen: „Anglo-österreichische Milch-Industrie-Gesellschaft m. b. H " ("Anglo Austrian Dairy Cy. Ltd."). Als Geschäftsführer (Vorstand) wurden vonseiten der Wiener Molkerei Rudolf Freiherr von Doblhoff, Direktor Franz Josef Kaiser und Direktor Josef Kampmann berufen, vonseiten der Firma "Jg Eisler u. Ko." Direktor Hugo Schwarz, Viktor Leibenfrost und S. Perlhefter. Die technische Leitung wurde Kaiser, die wirtschaftliche Perlhefter übertragen.
Erst in die 1930er Jahre besann sich vor allem die Konkurrenz der WIMO auf regionale Werte, was zur Gründung eines Betriebs der Alpenmilch Zentrale in Wien-Wieden führte, die ihrerseits Alpenmilch aus Salzburger Regionen nach Wien brachte. Dieser Wandel erfolgte in einer Zeit, in der allgemein eine Krise in der Wiener Milchwirtschaft ein Umdenken anregte. Schon vor 1900, und immer wiederkehrend, wie in den 1930er Jahren gab es einen „Milchüberschuss" während der Sommermonate. Das Problem beruhte im Wesentlichen darauf, dass Bauern in der Stadt Wien besser verdienten als in ländlichen Regionen, es damit immer mehr und mehr Interessenten für eine Zugehörigkeit in der Genossenschaft gab.
1992 und die Übernahme durch die Niederösterreich Milch (NÖM)
1992 erfolgte die Übernahme der WIMO - Wiener Molkerei durch die NÖM - Niederösterreich Milch, die bis 1997 ein in Wien-Brigittenau ansässiger Wiener Betrieb war und weitere Wiener Milchwirtschaftbetriebe (beziehungsweise Wiener Großmolkereien) in der NÖM vereinte.[5]. Mit der Übernahme der WIMO erfolgte 1992 die Gründung der Wien Milch AG, die Jahre später weitere Betriebe wie Trösch und Schärdinger Milch in sich vereinte. 1997 übersiedelte die NÖM nach Baden bei Wien.
Hygiene und Qualität bei der Wiener Molkerei
Schon während der ersten Jahre der Wiener Großmolkereien bauten sich zahlreiche Vorurteile gegenüber maschinell produzierter Milch auf, in einer Zeit, in der es noch dazu an Heilmitteln gegen infektiöse Krankheiten wie die Tuberkulose fehlte. Die Meinungen in der Bevölkerung über die "industrialisierte Milch" reichten von "künstlich" erzeugt bis "falsche Milch".
Die "Reinheit der Milch" war daher ein besonderes Anliegen der Betriebe der Gründerzeit, wobei sich das Wort "rein" auf die "Vermeidung gesundheitsschädlicher Produkte" bezog. Man verstand darunter auch die Verringerung der Ansteckungsgefahren, war das bei einigen Krankheiten - damals über nicht-abkochte Milch übertragbar - ein bekanntes Problem. Auch die langen Zulieferwege erkannte man schon ab 1700 als eine Art hygienischer Beeinträchtigung. Dem wirkte man durch kürzere Zulieferwege und einer besseren Kühlung entgegen, um die Milch länger frisch zu halten.
Bei der Zulieferung und ab Hof kamen vertraglich geregelte Normen zur Anwendung. Die Tiere wurden bereits ab Hof tierärztlich untersucht. Die Fütterung wurde überwacht. Nach der Lieferung wurde die Milch zunächst jeweils je Kanne verkostet. Besonders streng galt die Norm bezogen auf zwei Höfe, die „Säuglings- und Kindermilch" nach Wien lieferten. Das betraf eine Menge von circa 1000 Liter pro Tag, die in den Verkauf gelangte. Bei der Kindermilch sprach man von unveränderter Vollmilch, während der Säuglingsmilch das schwer verdauliche Kasein entzogen wurde. Die Milch behielt aber dennoch ihre wertvollen Bestandteile.
Das Laboratorium der Wiener Molkerei
In einem nach modernsten Standards ausgestatteten Labor wurden weitere Qualitätsmerkmale automatisiert gemessen, wie das Gewicht der Milch, der Säure- und der Fettgehalt. Weiters folgte eine bakteriologische Untersuchung. Auch der Gehalt an Schmutzpartikeln wurde untersucht. Von der Entladerampe aus wurde schnell fehlerhafte Milch durch Sichtprüfung und durch das Verkosten jeder Kanne erkannt. Die für die Produktion bestimmte Milch durchlief nach den Kontrollen vorerst sogenannte "Kiesfilter", in deren Verlauf sie auf 3 bis 4 Grad abgekühlt der Produktion zugeführt wurde. Obwohl Kindermilch bereits strengen Kontrollen durch die Lebensmittelpolizei und das Labor unterlag und sie bereits vor 1910 pasteurisiert in den Handel gelangte, erfolgte die Pasteurisierung der gesamten Milch erst ab etwa 1925.
Die Bezahlung der Lieferanten erfolgte nicht auf Basis der eingelieferten Menge, sondern maßgebend für den Preis war der im Labor bestimmte Fettgehalt. Damals lag der Fettgehalt der Vollmilch in der Regel bei 3,6 Prozent.
Die Hausordnung
Nicht nur Erzeuger und Lieferanten, auch die rund 400 Personen (1927 bereits 731 ) umfassende Stammbelegschaft in der Milchverarbeitung unterlag strengen Hygienevorschriften, wie es der damalige tätige Professor Willibald Winkler in seinem Bericht in der Beilage der Wiener Zeitung von 8. August 1903 festhielt. In den frühen Morgenstunden folgten noch weitere rund 400 Bedienstete, die als Verkaufspersonal, im Expedit und in der Zulieferung beschäftigt waren.
Überall im Bereich der Milchabfertigung befanden sich Hinweise auf Tafeln, dass es dem Personal untersagt sei, am Arbeitsplatz zu essen, zu trinken und zu rauchen. Die Hausordnung erfasste überdies hinaus, dass sich das Personal wöchentlichen ärztlichen Kontrollen zu unterziehen hatte. Auch die Bekleidungsvorschriften waren streng, galt Sauberkeit doch als das oberste Prinzip in der Milchabfertigung. Mit weißer Dienstkleidung wollte man Sauberkeit vorzeigen. Alle anderen, nicht in der Milchproduktion Beschäftigten trugen blaue Arbeitskleidung.
Dem Personal wurden Wannen- und Brausebäder zur Verfügung gestellt. Es gab eigene Aufenthaltsräume, Zimmer für Raucher sowie Schlafräume, zudem Betriebsküchen für die Zubereitung eigener Speisen, aber auch eine Betriebskantine, deren günstige Preise durch die Direktion geregelt wurden.
Da es ein Anliegen der Unternehmensleitung war zu verhindern, dass bei Krankheit gearbeitet wurde, aus Angst den Lohn und die Arbeit zu verlieren, wurde schon früh der Lohn bei Krankenständen von kurzer Dauern weiterbezahlt. Auch eine Kündigung wurde nicht ohne Abwägung der genauen Umstände ausgesprochen.
Die Wohlfahrtseinrichtungen der Wiener Molkerei
Auf dem Betriebsgelände befanden sich Schlafsäle, die man damals als bessere Kaserne bezeichnete. Daher plante man den Neubau eines Arbeiterwohnheims mit Wohnungen für Beamte und Angestellte. Bereits unter dem Begriff der Hygiene sorgte man vor, dass den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern alles geboten wurde, was die Einhaltung der Sauberkeit ermöglichte und auch der Zufriedenheit diente: Bad, Dusche, Raucherzimmer, Aufenthaltsräume, Garderoben, Fußbäder, eine Badeanstalt, Kantine, Küchen …
In vielfacher Hinsicht wurde in der Wiener Molkerei optimal vorgesorgt. Nicht nur eine Art "Existenzabsicherung", die die Lohnfortzahlung bei kurzen Krankenständen sicherte, bestand, sondern darüber hinaus auch eine betriebseigene Unfall- und Krankenversicherung.
Trotzdem kam es 1906, wenige Jahre nach dem der Eröffnung des neues Standorts, zu einem Streik der WIMO-Beschäftigten, über den in der Presse als "ein sonderbarer Streik" berichtet wurde.[6] Die Forderungen der Arbeitnehmervertreter - etwa eine Lohnerhöhung - wurden durch die WIMO-Direktion jedoch ablehnt.[7]
Die Flaschenmilch
Das neue Betriebsgebäude umfasste rund 10.000 Quadratmeter, in dessen Mittelpunkt sich der Verladehof befand. Von einer Entladerampe gelangte Kanne für Kanne Milch nach Einhaltung der jeweiligen Kontrollroutinen in die Milchabfertigungshalle, dem Herz des Betriebs. Hier befanden sich die Kiesfilter für die Reinigung und die Anlagen, um die Milch auf 3 bis 4 Grad abzukühlen, um sie danach den Zentrifugen oder direkt der Flaschenabfüllung zuzuführen.
Es gab vier Flaschenabfüllmaschinen, die von rund 70 Personen bedient wurde. An vier Maschinen wurde Flaschenmilch und an einer Maschine das damals beliebte Kaffee- oder auch Teeobers abgefüllt. Das Obers zählte um 1900 zu einer Wiener Tradition.
Neben dem Obers kam in bauchige Flaschen mit breiter Öffnung abgefüllt "Dr. Axelrod's Yoghurt" in den Handel. Besonders umworben wurde das "täglich frisch hergestellte" Produkt als "die Verdauung regulierend" und den "Körper kräftigend". Um 1910 wurde das Produkt von der "Central Molkerei München GesmbH." umworben und in Bayern vertrieben. Das alleinige Recht für Herstellung und Vertrieb hatte aber die Wiener Molkerei.
Die rund 34.000 abgefüllten Flaschen pro Nacht wurden mit einem Porzellanstöpsel mit Gummidichtring verschlossen und durch einen Drahtbügelverschluss mit einer Plombe zusätzlich gesichert. In Transportkisten geschlichtet wurden die Flaschen bei der Abfuhrrampe bereitgestellt, um entweder den Filialen zugeführt oder infolge der Hauszustellung vor den Wohnungstüren gestellt zu werden.
Der Fettgehalt der Flaschenmilch lag zu dieser Zeit zwischen 3,5 und 3,7 Prozent. Der Preis blieb lange Zeit sehr niedrig. Die Zustellung erfolgte vor die Haustüre um rund 28 Heller pro Liter. Der Expedit erfolgte immer während der Nachtstunden. Diese Art des Vertriebs prägte lange Zeit den Handel mit Flaschenmilch in Wien.
Die Butterei der WIMO
In einem speziell eingerichteten Bereich wurde Butter in verschiedenen Sorten hergestellt. Am besten bekannt war die damals als Teebutter verkaufte Süßrahmbutter, die als feinste Butter der Stadt Wien zählte. 1903 kostete ein Kilo dieser Butter rund 4,5 Kronen. Andere Sorten der Butter wurden als Tafelbutter, Speisebutter und Kochbutter vertrieben. Kochbutter wurde um 2,40 Kronen pro Kilo gehandelt.
Die Käserei – Der "Wiener Camembert"
In der Käserei wurde Magermilchkäse hergestellt. Obwohl ein Teil der Magermilch an Wiener Bäckereien verkauft wurde, gab es immer ausreichend Käse und Topfen. Eine Besonderheit für die Wiener war der Käse, der eigentlich aus steirischer Produktion stammte beziehungsweise aus "Steirer Milch" hergestellt wurde, wie der Tilsiter, der Ennstaler Feinkäse und der Gösser Bierkäse, erzeugt im steirischen Stainach nahe der Tauplitzalm.
Die Wiener Käserei der WIMO wurde hingegen bekannt für ihren Weichkäse, eine Art Camembert aus der französischen Feinkäserei stammend, der in Wien unter den Markenname "Monopole" verkauft wurde und sehr beliebt war. Professor Winkler bezeichnete den "Wiener Camembert" als einen der besten Käse aus Österreich.
Weitere Molkereibereiche
Es gab einen hauseigenen Flaschen- und Kannenwaschbereich. Vor den Direktionszimmern im Verwaltungstrakt befand sich ein Warteraum, und für das Personal gab es zahlreiche Einrichtungen (siehe oben "Wohlfahrtseinrichtungen"). Der Bereich der Stallungen für die Pferde der Zulieferer war beim Maschinenhaus, am Ende des Molkereihofs gegenüber der Einfahrt.
Das Maschinenhaus der WIMO
Die Wiener Molkerei war ausgestattet mit technischen Anlagen der Skoda Werke in Pilsen sowie molkereitechnischen Anlagen (zum Beispiel einer Milchschleuderanlage) der Firma Alpha Separator beziehungsweise Alpha Laval aus der Fabrik in Wien-Meidling (Wienerbergstraße 37).[8]
Die Kühlanlage wurde errichtet nach dem System "Linde", die auch der Herstellung von Eis diente. Die Eigenproduktion von Eis am neuen Standort führte zu einer Kosteneinsparung gegenüber der früheren Produktion in Wien-Landstraße. Die elektrische Anlage wurde betrieben von zwei Dynamos mit je 270 Ampere, genutzt für den Betrieb der Beleuchtung, die 20 Bogenlampen und 700 Glühlampen umfasste. Über die hauseigene Stromerzeugung wurden diverse Elektromotoren betrieben, die Pumpenanlagen, der Eisgenerator und die diversen Waschanlagen für die Flaschen sowie für die Kessel der Dampfmaschine. Das sogenannte Kesselhaus wurde errichtet von der Firma Josef Paucker und Sohn. Eine weitere Besonderheit der WIMO war die elektrische Aufbereitung der Frischluft in den Betriebsräumen, ausgeführt über Ventilatoren. Die Kühlräume, gestützt durch Salzwasserreservoirs, wurden am Tag konstant auf 4 bis 7 Grad gehalten, auch wenn die Kühlanlage außer Betrieb geschalten wurde. Die Kühlräume spielten eine wichtige Rolle bei der WIMO, da man in ihnen Milch für bestimmte Anlässe sammeln konnte, wo sie längere Zeit frisch gehalten werden konnte.
Link
- Homepage von Hedi und Paul Gepp zur WIMO
- Technisches Museum Wien: Restaurierungsarbeiten am Modell der Wiener Molkerei
- Wienbibliothek im Rathaus: Wiener Molkerei, Werbeschrift 1927
- Stadtfilm Wien: Die alte WIMO
- Österreichische Nationalbibliothek, Anno: "Das Neue Etablissement der Wiener Molkerei". In: Wiener Zeitung, 08.08.1903
Einzelnachweise
- ↑ Wiener Molkerei 1927, S. 5.
- ↑ Österreichische Nationalbibliothek, Anno: Hans Jörgel Briefe, 5.10.1905.
- ↑ Wiener Industrie Etablissements - Wiener Montagspost 9. Juli 1905
- ↑ Josef Kampmann, † 26. Jänner 1911.
- ↑ Die Geschichte der NÖM.
- ↑ Österreichische Nationalbibliothek, Anno: "Ein sonderbarer Streik". In: Wiener Neueste Nachrichten, 27.08.1906.
- ↑ Österreichische Nationalbibliothek, Anno: Bericht über das Ende des WIMO Streiks. In: Kronen Zeitung, 22.08.1907.
- ↑ Österreichische Nationalbibliothek, Anno: Die neuen Alpha-Separatoren Patent v. Bechtolsheim und de Laval, 1891.